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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Rokckostudien

den Lieblingsausdruck "Grillen" zusammenfaßte. Ihnen erklären die Sänger
des Rokoko immer von neuem den Krieg.


Immer lustig, ohne Grille",
Allzeit fröhlich, stets vergnügt!

ist die Losung. Lieber sei man ein schellenlauter Thor, nur nicht grillig und
langweilig. "Wer gesellschaftlich und galant sein will -- so predigt ein
Mvdeheld in einem Gellertschen Lustspiele --, muß viel reden und von lustigen
Sachen, sonst schläft man ein. Man muß durch gute Einfälle, durch artige
Scherze, dnrch Mienen, durch ungezwungene Bewegungen einander beleben
und ermuntern. Wenn wir einmal in Gesellschaft sind, so kann man nie zu
aufgeweckt seyn."

In dem Vollbesitz galanter Kultur sah das Geschlecht des Rokoko auf
frühere Zeiten und Zustände, die es als überwunden betrachtete, mit stolzem
Gefühl zurück und freute sich, "es so herrlich weit gebracht" zu haben. Es
ist oft genug ausgeführt worden, wie wenig sich die glückliche Naivität dieser
Zeit durch geschichtliche Betrachtungsweise in ihrem Urteil beirren ließ. Wie
das, was sie liebte, für ihr Wesen charakteristisch ist, so nicht minder das,
was sie haßte. Von nichts fühlte man sich in den Kreisen der Modebilduug
so sehr abgestoßen, als von allem, was nach alter deutscher Art schmeckte.
Es erschien als das gerade Widerspiel des Artigen und Galanten. Das ge¬
schichtliche Verständnis dafür schlummerte völlig.

Am schärfsten richtete sich diese Verachtung gegen die alte deutsche Dich¬
tung, so wenig man auch wirklich davon wußte. Die Entwurzelung des
nationalen Sinnes von seinem Mutterboden erhält dadurch ein trauriges
Zeugnis. Als Inbegriff der nltväterischen Sangesweise galten die Reime von
Hans Sachs; er war der Vertreter aller geschmacklosen Altertümlichkeit, von
der mau sich glücklich losgerissen hatte. Der ehrwürdige Handwerksmeister,
der nach der Arbeit mit Pfriemen und Ahle am Feierabend den Reichtum
eines beschaulichen Gemütes in schlichte Reime fügte, war diesem zierlichen
Geschlecht eine lächerliche Gestalt, in deren Verspottung man seinen Witz
spielen lasse" konnte. Bekannte doch selbst ein Mann wie Thomasius, daß
"den Namen ni'un Iivrniruz av hoir Zone derjenige verdiene, der mehr von
Hofmanns oder Caspars l'ook-ivL hält als von Hans Sachsens Reimen oder
andern Meistergesängen." Ein so seichter Reimer wie Philander von der Linde
verspottet einen Poeten,


Der oft fo zierlich schreibt, als ob er mit Hanß Sachsen
Noch in der alten Zeit verwildert aufgewachsen,
Der hau vor haben braucht und sich noch kaum enthält.
Daß uicht ein Lobesau aus seiner Feder fällt.

Es war schon ein großes Zugeständnis, wenn sich einer der Wortführer der
galanten Dichtung, Menantes (Christian Friedrich Huuold, 1680 bis 1721),


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den Lieblingsausdruck „Grillen" zusammenfaßte. Ihnen erklären die Sänger
des Rokoko immer von neuem den Krieg.


Immer lustig, ohne Grille»,
Allzeit fröhlich, stets vergnügt!

ist die Losung. Lieber sei man ein schellenlauter Thor, nur nicht grillig und
langweilig. „Wer gesellschaftlich und galant sein will — so predigt ein
Mvdeheld in einem Gellertschen Lustspiele —, muß viel reden und von lustigen
Sachen, sonst schläft man ein. Man muß durch gute Einfälle, durch artige
Scherze, dnrch Mienen, durch ungezwungene Bewegungen einander beleben
und ermuntern. Wenn wir einmal in Gesellschaft sind, so kann man nie zu
aufgeweckt seyn."

In dem Vollbesitz galanter Kultur sah das Geschlecht des Rokoko auf
frühere Zeiten und Zustände, die es als überwunden betrachtete, mit stolzem
Gefühl zurück und freute sich, „es so herrlich weit gebracht" zu haben. Es
ist oft genug ausgeführt worden, wie wenig sich die glückliche Naivität dieser
Zeit durch geschichtliche Betrachtungsweise in ihrem Urteil beirren ließ. Wie
das, was sie liebte, für ihr Wesen charakteristisch ist, so nicht minder das,
was sie haßte. Von nichts fühlte man sich in den Kreisen der Modebilduug
so sehr abgestoßen, als von allem, was nach alter deutscher Art schmeckte.
Es erschien als das gerade Widerspiel des Artigen und Galanten. Das ge¬
schichtliche Verständnis dafür schlummerte völlig.

Am schärfsten richtete sich diese Verachtung gegen die alte deutsche Dich¬
tung, so wenig man auch wirklich davon wußte. Die Entwurzelung des
nationalen Sinnes von seinem Mutterboden erhält dadurch ein trauriges
Zeugnis. Als Inbegriff der nltväterischen Sangesweise galten die Reime von
Hans Sachs; er war der Vertreter aller geschmacklosen Altertümlichkeit, von
der mau sich glücklich losgerissen hatte. Der ehrwürdige Handwerksmeister,
der nach der Arbeit mit Pfriemen und Ahle am Feierabend den Reichtum
eines beschaulichen Gemütes in schlichte Reime fügte, war diesem zierlichen
Geschlecht eine lächerliche Gestalt, in deren Verspottung man seinen Witz
spielen lasse» konnte. Bekannte doch selbst ein Mann wie Thomasius, daß
„den Namen ni'un Iivrniruz av hoir Zone derjenige verdiene, der mehr von
Hofmanns oder Caspars l'ook-ivL hält als von Hans Sachsens Reimen oder
andern Meistergesängen." Ein so seichter Reimer wie Philander von der Linde
verspottet einen Poeten,


Der oft fo zierlich schreibt, als ob er mit Hanß Sachsen
Noch in der alten Zeit verwildert aufgewachsen,
Der hau vor haben braucht und sich noch kaum enthält.
Daß uicht ein Lobesau aus seiner Feder fällt.

Es war schon ein großes Zugeständnis, wenn sich einer der Wortführer der
galanten Dichtung, Menantes (Christian Friedrich Huuold, 1680 bis 1721),


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[0584] Rokckostudien den Lieblingsausdruck „Grillen" zusammenfaßte. Ihnen erklären die Sänger des Rokoko immer von neuem den Krieg. Immer lustig, ohne Grille», Allzeit fröhlich, stets vergnügt! ist die Losung. Lieber sei man ein schellenlauter Thor, nur nicht grillig und langweilig. „Wer gesellschaftlich und galant sein will — so predigt ein Mvdeheld in einem Gellertschen Lustspiele —, muß viel reden und von lustigen Sachen, sonst schläft man ein. Man muß durch gute Einfälle, durch artige Scherze, dnrch Mienen, durch ungezwungene Bewegungen einander beleben und ermuntern. Wenn wir einmal in Gesellschaft sind, so kann man nie zu aufgeweckt seyn." In dem Vollbesitz galanter Kultur sah das Geschlecht des Rokoko auf frühere Zeiten und Zustände, die es als überwunden betrachtete, mit stolzem Gefühl zurück und freute sich, „es so herrlich weit gebracht" zu haben. Es ist oft genug ausgeführt worden, wie wenig sich die glückliche Naivität dieser Zeit durch geschichtliche Betrachtungsweise in ihrem Urteil beirren ließ. Wie das, was sie liebte, für ihr Wesen charakteristisch ist, so nicht minder das, was sie haßte. Von nichts fühlte man sich in den Kreisen der Modebilduug so sehr abgestoßen, als von allem, was nach alter deutscher Art schmeckte. Es erschien als das gerade Widerspiel des Artigen und Galanten. Das ge¬ schichtliche Verständnis dafür schlummerte völlig. Am schärfsten richtete sich diese Verachtung gegen die alte deutsche Dich¬ tung, so wenig man auch wirklich davon wußte. Die Entwurzelung des nationalen Sinnes von seinem Mutterboden erhält dadurch ein trauriges Zeugnis. Als Inbegriff der nltväterischen Sangesweise galten die Reime von Hans Sachs; er war der Vertreter aller geschmacklosen Altertümlichkeit, von der mau sich glücklich losgerissen hatte. Der ehrwürdige Handwerksmeister, der nach der Arbeit mit Pfriemen und Ahle am Feierabend den Reichtum eines beschaulichen Gemütes in schlichte Reime fügte, war diesem zierlichen Geschlecht eine lächerliche Gestalt, in deren Verspottung man seinen Witz spielen lasse» konnte. Bekannte doch selbst ein Mann wie Thomasius, daß „den Namen ni'un Iivrniruz av hoir Zone derjenige verdiene, der mehr von Hofmanns oder Caspars l'ook-ivL hält als von Hans Sachsens Reimen oder andern Meistergesängen." Ein so seichter Reimer wie Philander von der Linde verspottet einen Poeten, Der oft fo zierlich schreibt, als ob er mit Hanß Sachsen Noch in der alten Zeit verwildert aufgewachsen, Der hau vor haben braucht und sich noch kaum enthält. Daß uicht ein Lobesau aus seiner Feder fällt. Es war schon ein großes Zugeständnis, wenn sich einer der Wortführer der galanten Dichtung, Menantes (Christian Friedrich Huuold, 1680 bis 1721),

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/584>, abgerufen am 24.07.2024.