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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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seinen Landsleuten ein Bildungsideal auf, das an den deutschen Charakter
starke Anforderungen stellte, dn es die Vereinigung innerer Gediegenheit und
äußerer weltmännischer Gewandtheit verlangte. Der Galanthvmme sollte der
gesellschaftliche Jdealmensch sein,


Des Hofmanns Auge, des Gelehrten Zunge,
Der Sitte Spiegel und der Bildung Muster.

Diese hochgesteckten Ziele des Thomasius, der den besten Gehalt des
französischen Geistes mit dem deutschen Wesen zur erhöhten Einheit ver¬
schmelzen wollte, spottete" der Verwirklichung. Die Mschnngselemente waren
zunächst zu ungleich, das Übergewicht der französischen Form war zu mächtig.
So wurde bei dem neuen Bildnngsban sehr bald die Fassade die Hauptsache,
der Ausbau des Innern wurde weniger betont. Galant zu sein und überall
dafür zu gelten wurde ebenso allgemeines Bedürfnis, als heute "gebildet" zu
sein. Derselbe Mißbrauch, der mit diesem Losungswort unsrer Zeit getrieben
wird, heftete sich an das Wort galant. Bis in die unterstell Schichten drang
sein verklärender Schimmer. "Es ist wahr, wer galant reden kaun, ist doch
allenthalben beliebt," äußerte in Pieanders Lustspiel "Der Säufer" ein Diener
mit sehnsüchtigem Blick in ein ihm verschlossenes Paradies. Es ist der
schillernde Schein, die gefällige Außenseite, der Reiz des für deutsche Geiniiter
immer mächtigen Fremden, denen man bei diesem Vildungseifer nachjagte.

Gerade das, was Thomasius zu gegenseitiger Durchdringung vereinigen
wollte, der innere Gehalt und die äußere Form, trennte sich oft feindlich.
Die schwerfällige Gediegenheit deutscher Natur verschärfte sich zur Pedanterie,
die Anmut galanter Bildung verbarg oft leichtfertige Hohlheit. Thomasius
rühmte es an den französischen Gelehrten, "daß sie bemüht gewesen, die un-
nötigen Grillen der Schulfüchse auszutilgen und aus dein Lande zu jagen."
Der Schulfuchs, der Pedant ist der verhaßte Gegensatz des Galanthvmme.
Bor nichts hatte sich dieser mehr zu hüten, als vor dem Bleigewicht "schul-
füchsigeu Wesens" oder der "Schulfttchserei."


So soll ein KnIiurb'Kowwv auch teilt?o<l",Ms seyn
Und wie Orluli"" stets beim Donats sitze",

heißt es bei Philander von der Linde. Wie langweilig erschien das Leben
des in sein Museum gebannten und unter Folianten vergrabenen Schulfuchses!
Wie beklagte man ein zur Lebenslust geschaffenes artiges Weibchen, das lieben
einem solchen gelehrten Murmeltier sein Dasein vertrauern mußte!


Ach wie hat ein armes Weib
So gar schlechten Zeitvertreib,
Wenn sie einen allen Schulfuchs freyet!

Die größten Feinde galanter Leichtlebigkeit und Beweglichkeit sind nichtige
Sorgen, Grübeleien und gelehrte Schrullen, kurz alles das, was die Zeit in


seinen Landsleuten ein Bildungsideal auf, das an den deutschen Charakter
starke Anforderungen stellte, dn es die Vereinigung innerer Gediegenheit und
äußerer weltmännischer Gewandtheit verlangte. Der Galanthvmme sollte der
gesellschaftliche Jdealmensch sein,


Des Hofmanns Auge, des Gelehrten Zunge,
Der Sitte Spiegel und der Bildung Muster.

Diese hochgesteckten Ziele des Thomasius, der den besten Gehalt des
französischen Geistes mit dem deutschen Wesen zur erhöhten Einheit ver¬
schmelzen wollte, spottete« der Verwirklichung. Die Mschnngselemente waren
zunächst zu ungleich, das Übergewicht der französischen Form war zu mächtig.
So wurde bei dem neuen Bildnngsban sehr bald die Fassade die Hauptsache,
der Ausbau des Innern wurde weniger betont. Galant zu sein und überall
dafür zu gelten wurde ebenso allgemeines Bedürfnis, als heute „gebildet" zu
sein. Derselbe Mißbrauch, der mit diesem Losungswort unsrer Zeit getrieben
wird, heftete sich an das Wort galant. Bis in die unterstell Schichten drang
sein verklärender Schimmer. „Es ist wahr, wer galant reden kaun, ist doch
allenthalben beliebt," äußerte in Pieanders Lustspiel „Der Säufer" ein Diener
mit sehnsüchtigem Blick in ein ihm verschlossenes Paradies. Es ist der
schillernde Schein, die gefällige Außenseite, der Reiz des für deutsche Geiniiter
immer mächtigen Fremden, denen man bei diesem Vildungseifer nachjagte.

Gerade das, was Thomasius zu gegenseitiger Durchdringung vereinigen
wollte, der innere Gehalt und die äußere Form, trennte sich oft feindlich.
Die schwerfällige Gediegenheit deutscher Natur verschärfte sich zur Pedanterie,
die Anmut galanter Bildung verbarg oft leichtfertige Hohlheit. Thomasius
rühmte es an den französischen Gelehrten, „daß sie bemüht gewesen, die un-
nötigen Grillen der Schulfüchse auszutilgen und aus dein Lande zu jagen."
Der Schulfuchs, der Pedant ist der verhaßte Gegensatz des Galanthvmme.
Bor nichts hatte sich dieser mehr zu hüten, als vor dem Bleigewicht „schul-
füchsigeu Wesens" oder der „Schulfttchserei."


So soll ein KnIiurb'Kowwv auch teilt?o<l»,Ms seyn
Und wie Orluli»» stets beim Donats sitze»,

heißt es bei Philander von der Linde. Wie langweilig erschien das Leben
des in sein Museum gebannten und unter Folianten vergrabenen Schulfuchses!
Wie beklagte man ein zur Lebenslust geschaffenes artiges Weibchen, das lieben
einem solchen gelehrten Murmeltier sein Dasein vertrauern mußte!


Ach wie hat ein armes Weib
So gar schlechten Zeitvertreib,
Wenn sie einen allen Schulfuchs freyet!

Die größten Feinde galanter Leichtlebigkeit und Beweglichkeit sind nichtige
Sorgen, Grübeleien und gelehrte Schrullen, kurz alles das, was die Zeit in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/583>, abgerufen am 24.07.2024.