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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Rokokostndien

der Unterhaltung bezahlte und bezahlt wurde. In einer wunderbare": Gesell¬
schaft läßt Gellert einmal die Worte erscheinen. "Ist nicht meine Frau, ruft
ein Ehemann ans, die artigste, die liebreichste, die klügste, die wirtschaftlichste,
die galanteste, die frömmste Frau von der Welt?" Es soll hier die sinnlose
Anwendung der Modewörter anschaulich gemacht werden. In viele" Fällen
bot die Wahl des einen oder des andern Wortes den stilistischen Vorteil, mit
dem Ausdrucke wechseln zu können. Eine feine Empfindung für den Unter¬
schied von artig und galant zeigt der Verfasser einer Abhandlung: "Pflichten
der Mannspersonen gegen das Frauenzimmer." Da heißt es: "Wenn ich
mit Fikchen landete, so habe ich dabey öfters ernsthaftere und nützlichere Be¬
trachtungen gehabt als ein junger Herr, wenn er mit seiner Schönen die
galantesten (artigsten würde doch nicht galant genng klingen) Unterredungen
gehalten."

Das vollste Geniigen bot die Verschmelzung beider Ausdrücke, dn sich bei
dieser deutsch-französischen Amalgamirnug das Nachdenken über ihre Vedentuugs-
verschiedeuheit ganz überflüssig machte und nnr dunkel ihre Ergänzungs-
fähigkeit empfunden wurde.


Dermaßen müßt ihr um euch neige", schmiegen, bücken
Und eure Falten stets nach andrer Willen rücke",
Damit euch jedermann galant und artig heißt!

ruft Philander von der Linde den Jünglingen zu, die die Blüte geselliger
Bildung zur Erscheinung bringen wollen. "Das wäre vortrefflich sagt
Herr Dämon in Gellerts Lustspiel "Das Los in der Lotterie" --, wenn Sie
meine Jungfer Muhme recht verliebt machen könnten. Ihnen traue ich alles
zu; deun Sie sind artig und galant." Auch bei Goethe erscheint das Zwie-
gespann. Wilhelm Meister (Buch 3, Kap. Z0) wird aufgegeben, "er solle
seine Ehemcmusrvlle so gut und so lange als möglich spielen; wenn er sich
aber endlich entdecken müßte, so solle er hübsch artig und galant sein."

Während sich aber die große Menge die Wörter als den glücklichen Aus¬
druck mehr instinktiv empfundener, als zu deutlicher Vorstellung gebrachter
Ideale sür den bequemen Gebrauch nutzbar machte, suchten sich einzelne Rechen¬
schaft über die Bedeutung zu geben, den Gehalt der Wörter zu prüfen.
Thomasius sucht in seiner erwähnten Abhandlung eine Wertbestimmung des
Ausdruckes galnut zu geben, die ihm die beste und vornehmste Seite nbgewiuut.
Er hält es für schwer, den Begriff günz scharf zu fassen. "Ich halte meines
Bedünkens davor -- führt er aus --, daß es etwas gemischtes sey, so aus
dem jo us se^ quoi, aus der guten Art etwas zu thuen und der umnior zu
leben, so am Hofe gebräuchlich ist, aus Verstand und Gelehrsamkeit, einem
guten ^"clikitt, Höflichkeit und Freudigkeit zusammengesetzt werde, und deine
aller Zwang, lallte-wtimi und unanständige Plumpheit zuwider sey." Erstellte


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der Unterhaltung bezahlte und bezahlt wurde. In einer wunderbare«: Gesell¬
schaft läßt Gellert einmal die Worte erscheinen. „Ist nicht meine Frau, ruft
ein Ehemann ans, die artigste, die liebreichste, die klügste, die wirtschaftlichste,
die galanteste, die frömmste Frau von der Welt?" Es soll hier die sinnlose
Anwendung der Modewörter anschaulich gemacht werden. In viele» Fällen
bot die Wahl des einen oder des andern Wortes den stilistischen Vorteil, mit
dem Ausdrucke wechseln zu können. Eine feine Empfindung für den Unter¬
schied von artig und galant zeigt der Verfasser einer Abhandlung: „Pflichten
der Mannspersonen gegen das Frauenzimmer." Da heißt es: „Wenn ich
mit Fikchen landete, so habe ich dabey öfters ernsthaftere und nützlichere Be¬
trachtungen gehabt als ein junger Herr, wenn er mit seiner Schönen die
galantesten (artigsten würde doch nicht galant genng klingen) Unterredungen
gehalten."

Das vollste Geniigen bot die Verschmelzung beider Ausdrücke, dn sich bei
dieser deutsch-französischen Amalgamirnug das Nachdenken über ihre Vedentuugs-
verschiedeuheit ganz überflüssig machte und nnr dunkel ihre Ergänzungs-
fähigkeit empfunden wurde.


Dermaßen müßt ihr um euch neige», schmiegen, bücken
Und eure Falten stets nach andrer Willen rücke»,
Damit euch jedermann galant und artig heißt!

ruft Philander von der Linde den Jünglingen zu, die die Blüte geselliger
Bildung zur Erscheinung bringen wollen. „Das wäre vortrefflich sagt
Herr Dämon in Gellerts Lustspiel »Das Los in der Lotterie« —, wenn Sie
meine Jungfer Muhme recht verliebt machen könnten. Ihnen traue ich alles
zu; deun Sie sind artig und galant." Auch bei Goethe erscheint das Zwie-
gespann. Wilhelm Meister (Buch 3, Kap. Z0) wird aufgegeben, „er solle
seine Ehemcmusrvlle so gut und so lange als möglich spielen; wenn er sich
aber endlich entdecken müßte, so solle er hübsch artig und galant sein."

Während sich aber die große Menge die Wörter als den glücklichen Aus¬
druck mehr instinktiv empfundener, als zu deutlicher Vorstellung gebrachter
Ideale sür den bequemen Gebrauch nutzbar machte, suchten sich einzelne Rechen¬
schaft über die Bedeutung zu geben, den Gehalt der Wörter zu prüfen.
Thomasius sucht in seiner erwähnten Abhandlung eine Wertbestimmung des
Ausdruckes galnut zu geben, die ihm die beste und vornehmste Seite nbgewiuut.
Er hält es für schwer, den Begriff günz scharf zu fassen. „Ich halte meines
Bedünkens davor — führt er aus —, daß es etwas gemischtes sey, so aus
dem jo us se^ quoi, aus der guten Art etwas zu thuen und der umnior zu
leben, so am Hofe gebräuchlich ist, aus Verstand und Gelehrsamkeit, einem
guten ^»clikitt, Höflichkeit und Freudigkeit zusammengesetzt werde, und deine
aller Zwang, lallte-wtimi und unanständige Plumpheit zuwider sey." Erstellte


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[0582] Rokokostndien der Unterhaltung bezahlte und bezahlt wurde. In einer wunderbare«: Gesell¬ schaft läßt Gellert einmal die Worte erscheinen. „Ist nicht meine Frau, ruft ein Ehemann ans, die artigste, die liebreichste, die klügste, die wirtschaftlichste, die galanteste, die frömmste Frau von der Welt?" Es soll hier die sinnlose Anwendung der Modewörter anschaulich gemacht werden. In viele» Fällen bot die Wahl des einen oder des andern Wortes den stilistischen Vorteil, mit dem Ausdrucke wechseln zu können. Eine feine Empfindung für den Unter¬ schied von artig und galant zeigt der Verfasser einer Abhandlung: „Pflichten der Mannspersonen gegen das Frauenzimmer." Da heißt es: „Wenn ich mit Fikchen landete, so habe ich dabey öfters ernsthaftere und nützlichere Be¬ trachtungen gehabt als ein junger Herr, wenn er mit seiner Schönen die galantesten (artigsten würde doch nicht galant genng klingen) Unterredungen gehalten." Das vollste Geniigen bot die Verschmelzung beider Ausdrücke, dn sich bei dieser deutsch-französischen Amalgamirnug das Nachdenken über ihre Vedentuugs- verschiedeuheit ganz überflüssig machte und nnr dunkel ihre Ergänzungs- fähigkeit empfunden wurde. Dermaßen müßt ihr um euch neige», schmiegen, bücken Und eure Falten stets nach andrer Willen rücke», Damit euch jedermann galant und artig heißt! ruft Philander von der Linde den Jünglingen zu, die die Blüte geselliger Bildung zur Erscheinung bringen wollen. „Das wäre vortrefflich sagt Herr Dämon in Gellerts Lustspiel »Das Los in der Lotterie« —, wenn Sie meine Jungfer Muhme recht verliebt machen könnten. Ihnen traue ich alles zu; deun Sie sind artig und galant." Auch bei Goethe erscheint das Zwie- gespann. Wilhelm Meister (Buch 3, Kap. Z0) wird aufgegeben, „er solle seine Ehemcmusrvlle so gut und so lange als möglich spielen; wenn er sich aber endlich entdecken müßte, so solle er hübsch artig und galant sein." Während sich aber die große Menge die Wörter als den glücklichen Aus¬ druck mehr instinktiv empfundener, als zu deutlicher Vorstellung gebrachter Ideale sür den bequemen Gebrauch nutzbar machte, suchten sich einzelne Rechen¬ schaft über die Bedeutung zu geben, den Gehalt der Wörter zu prüfen. Thomasius sucht in seiner erwähnten Abhandlung eine Wertbestimmung des Ausdruckes galnut zu geben, die ihm die beste und vornehmste Seite nbgewiuut. Er hält es für schwer, den Begriff günz scharf zu fassen. „Ich halte meines Bedünkens davor — führt er aus —, daß es etwas gemischtes sey, so aus dem jo us se^ quoi, aus der guten Art etwas zu thuen und der umnior zu leben, so am Hofe gebräuchlich ist, aus Verstand und Gelehrsamkeit, einem guten ^»clikitt, Höflichkeit und Freudigkeit zusammengesetzt werde, und deine aller Zwang, lallte-wtimi und unanständige Plumpheit zuwider sey." Erstellte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/582>, abgerufen am 24.07.2024.