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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Schweizer Briefe aus der Revolutionszeit

werden könne. Wer die gelassensten Einwendungen gegen ihre Grundsätze
mache, sei ein "Stokrat." Lavater habe dem Direktorium "auf eine ächt-
Lutherische Art" geschrieben und werde dafür wohl mindestens deportirt werden.
"Der Schwärmer Pestalnz" (Pestalozzi) hat den Bauern von Arrau bewiesen,
daß der Zehnte aus der Hölle stamme, und so haben sie diesen schleunigst
abgeschafft. Müller selbst hat trotz alles Sträubens die Nizestatthalterstelle
für die Stadt Schaffhausen annehmen müssen, und da er es mit seinem Amt
ernst und ehrlich nimmt, lastet es schwer auf ihm. "Hätte ich Zeit, ich ver¬
folgte die Geschichte der Idee der Freyheit und Gleichheit seit den Zeiten der
Anabaptisten und früheren Vauren Aufrühren." In zehn Jahren werde man
kaum glauben, daß das verfluchte Pack so ganz ungestraft habe rauben und
die Grenzen Deutschlands in Besitz nehmen können.

Hie und da kommt ein wenig Galgenhumor zum Durchbruch; so wenn er
erzählt, wie er in großer grüner Schärpe mit einem Schul (Schleife) an der
linken Seite und Fransen in drei Farben über dem blauen Kleid ->> In. Rspublieuin
und schwefelgelber Weste bei den Distrikts-Gericht-Wahlen seines Amtes walten
werde, oder wie die Aarauer Gesetzgeber "ganz herrlich trnyeu" (gedeihen),
immer fetter werden.

Der Bruder in Wien giebt unterdessen gute Lehren, aber mehr für die
Zeit der erwarteten Befreiung für die Schweiz, als für die schwierige Gegen¬
wart. Dann solle man die frühern Kantvnsregierungen wieder einsetzen und
nnr zu allgemeinen Angelegenheiten, etwa monatlich einmal, Vertreter der
Gemeinden beiziehen. Er erwähnt das Auftauchen der Idee einer Teilung
der Schweiz: bis an die Urre französisch, bis an den Rhein zum Reiche,
Räthien zu Österreich. Deu schweizer Bauern werde es ergehen, wie die
Elsässer gesagt haben: den Zehnten erlasse man ihnen, aber die Neun werden
ihnen genommen.

Im September 1798 wird gemeldet, daß der Minister Stapfer Pestalozzi,
I. G. Müller und andre zur Herausgabe eines Volksblattes aufgefordert hat.
Dazu die richtige Bemerkung: "Die Gelehrten, die fürs Volk schreiben, nehmen
gewöhnlich eine gewisse matte, schleppende, populär seyn sollende Sprache an,
die mir in der Nntnr znwieder ist, da sie die Gegenstände aufs langweiligste
ausdehnt. Ich glaube vielmehr, ein kurzer energischer Ton, ohne viel Ge¬
schwätz, wie Luther ihn brauchte, ist eigentlich der, der allein auf das Volk,
sowie auf die Kinder wirkt. Meines Orts gebe sgehe?^ ich nicht in diese
Sprache und will reden, wie mir der Schnabel gewachsen ist. Ich habe dem
Minister einen etwas beißenden Privatbrief darüber geschrieben, wie nötig es
allerdings sey, das Volk oder einen Teil desselben, nicht den schlimmsten, mit
einzelnen Verordnungen der Regierung auszusöhnen; aber wen" mau es zu
voreilig und unbedingt thun wollte, so könnte sich das Blatt gerade dadurch
bei solchen verdächtig machen, für die es eigentlich geschrieben werde. Und


Schweizer Briefe aus der Revolutionszeit

werden könne. Wer die gelassensten Einwendungen gegen ihre Grundsätze
mache, sei ein „Stokrat." Lavater habe dem Direktorium „auf eine ächt-
Lutherische Art" geschrieben und werde dafür wohl mindestens deportirt werden.
„Der Schwärmer Pestalnz" (Pestalozzi) hat den Bauern von Arrau bewiesen,
daß der Zehnte aus der Hölle stamme, und so haben sie diesen schleunigst
abgeschafft. Müller selbst hat trotz alles Sträubens die Nizestatthalterstelle
für die Stadt Schaffhausen annehmen müssen, und da er es mit seinem Amt
ernst und ehrlich nimmt, lastet es schwer auf ihm. „Hätte ich Zeit, ich ver¬
folgte die Geschichte der Idee der Freyheit und Gleichheit seit den Zeiten der
Anabaptisten und früheren Vauren Aufrühren." In zehn Jahren werde man
kaum glauben, daß das verfluchte Pack so ganz ungestraft habe rauben und
die Grenzen Deutschlands in Besitz nehmen können.

Hie und da kommt ein wenig Galgenhumor zum Durchbruch; so wenn er
erzählt, wie er in großer grüner Schärpe mit einem Schul (Schleife) an der
linken Seite und Fransen in drei Farben über dem blauen Kleid ->> In. Rspublieuin
und schwefelgelber Weste bei den Distrikts-Gericht-Wahlen seines Amtes walten
werde, oder wie die Aarauer Gesetzgeber „ganz herrlich trnyeu" (gedeihen),
immer fetter werden.

Der Bruder in Wien giebt unterdessen gute Lehren, aber mehr für die
Zeit der erwarteten Befreiung für die Schweiz, als für die schwierige Gegen¬
wart. Dann solle man die frühern Kantvnsregierungen wieder einsetzen und
nnr zu allgemeinen Angelegenheiten, etwa monatlich einmal, Vertreter der
Gemeinden beiziehen. Er erwähnt das Auftauchen der Idee einer Teilung
der Schweiz: bis an die Urre französisch, bis an den Rhein zum Reiche,
Räthien zu Österreich. Deu schweizer Bauern werde es ergehen, wie die
Elsässer gesagt haben: den Zehnten erlasse man ihnen, aber die Neun werden
ihnen genommen.

Im September 1798 wird gemeldet, daß der Minister Stapfer Pestalozzi,
I. G. Müller und andre zur Herausgabe eines Volksblattes aufgefordert hat.
Dazu die richtige Bemerkung: „Die Gelehrten, die fürs Volk schreiben, nehmen
gewöhnlich eine gewisse matte, schleppende, populär seyn sollende Sprache an,
die mir in der Nntnr znwieder ist, da sie die Gegenstände aufs langweiligste
ausdehnt. Ich glaube vielmehr, ein kurzer energischer Ton, ohne viel Ge¬
schwätz, wie Luther ihn brauchte, ist eigentlich der, der allein auf das Volk,
sowie auf die Kinder wirkt. Meines Orts gebe sgehe?^ ich nicht in diese
Sprache und will reden, wie mir der Schnabel gewachsen ist. Ich habe dem
Minister einen etwas beißenden Privatbrief darüber geschrieben, wie nötig es
allerdings sey, das Volk oder einen Teil desselben, nicht den schlimmsten, mit
einzelnen Verordnungen der Regierung auszusöhnen; aber wen» mau es zu
voreilig und unbedingt thun wollte, so könnte sich das Blatt gerade dadurch
bei solchen verdächtig machen, für die es eigentlich geschrieben werde. Und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/572>, abgerufen am 24.07.2024.