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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Schweizer Briefe aus der Revolutionszeit

Verlag." In dem ältere" Werke war Johann Georg ganz gegen den berühmten
und von ihm bewunderten Bruder zurückgetreten, er hatte aber anch, von
mancherlei Rücksichten geleitet, die Briefe von Johannes Änderungen und
Kürzuugeu unterzogen, die mitunter sehr wesentlicher Natur sind. Solche
Zeusurstriche, namentlich wo sie dem damaligem Herausgeber durch die Zeit¬
verhältnisse (1810!) geboten erschienen, endlich getilgt zu sehen, war ein be¬
rechtigter Wunsch; abgesehen davon, daß die Äußerungen Johann Georgs oft
zum Berstäuduisse notwendig waren, haben sie auch ihren unabhängigen Wert
als Kundgebungen eines durch und durch tüchtigen Mannes, der dem glänzender
begabten Bruder an Charakter entschieden überlegen war, und als Beiträge
zur inneren Geschichte der Schweiz in einem so draug- und gefahrvollen Zeit¬
abschnitte. Dem Abdrucke des ganzen, so vervollständigten Briefwechsels stellte
sich leider der Kostenpunkt entgegen. Der Herausgeber hat sich deshalb begnügt,
auf die betreffenden Briefe von Johannes zu verweisen, und wo es nötig war, sie
in ihrer ursprünglichen Gestalt mitzuteilen; daß er diese Einschaltungen in einen
Anhang verwiesen hat, schafft die Unbequemlichkeit, sozusagen gleichzeitig an zwei
verschiedenen Stellen des Buches lesen zu müssen, indessen lassei, wir sie uus
gern gefallen, da im übrigen die Arbeit Hangs alles Lob beanspruchen darf.

Beide Brüder unterhielten von 1778 bis zu des älterem Tode 1809
regelmäßigem schriftlichen Verkehr und hoben beide die Briefe sorgfältig ans,
aber die Johann Georgs aus den ersten elf Jahren scheinen verloren gegangen
zik sein, sodnß die Sammluug mit dem denkwürdigen Datum der Aufhebung
der geistlichen Zehnten in Frankreich (10. August 1789) beginnt. Der "arme
Tagelöhner" -- Katechet und Privatlehrer -- in Schaffhausen ist schon am
23. desselben Monats von seiner Begeisterung für die französische Revolution
etwas zurückgekommen und fürchtet gefährliche Folgen von den "fieberhaften
Reformen der Verfassung" auch für seine Heimat, wenn er auch zunächst um
die Schädigung des Handels der Schweiz denkt. Ernster wird seine Sprache
zwei Monate später. "Nun ist in Frankreich gar kein Haupt, als das viel-
köpfichte wütende Ungeheuer, das Volk! Welch schreckliches Ende wird das
noch nehmen! Von welch wichtigen Folgen ster Europa! sein Schiedrichter
ist gefallen. Was wird in 100 Jahren Preußen seyn! Wie leicht kan Eng¬
land eben auch durch seinen Luxus fallen! Die einzige Hofnung scheint mir
zu sey", daß Ostreich und der Gog und Magog einander endlich selbst in die
Haare fallen werden. Wenn ein einzelner Kahn auf den Wellen eines wüten¬
den Meeres, das Flotten verschlingt, zur Rettung Hofnung hat, so hat sie
auch unser gutes Vaterland!" Bald hat dieses den Einfluß des französischen
Beispiels zu spüren. Die Bauern von Hallau knüpfen Bedingungen an die
Huldigung, die beiden Räte von Schaffhausen "deliberiren," und Johannes,
schon in Wien, rät, dem etwaigen Zugeständnissen ja nie das Ansehen eines
abgedrungcnen, sondern eines ganz freiwilligen Gnadengeschenkes zu geben,


Schweizer Briefe aus der Revolutionszeit

Verlag." In dem ältere» Werke war Johann Georg ganz gegen den berühmten
und von ihm bewunderten Bruder zurückgetreten, er hatte aber anch, von
mancherlei Rücksichten geleitet, die Briefe von Johannes Änderungen und
Kürzuugeu unterzogen, die mitunter sehr wesentlicher Natur sind. Solche
Zeusurstriche, namentlich wo sie dem damaligem Herausgeber durch die Zeit¬
verhältnisse (1810!) geboten erschienen, endlich getilgt zu sehen, war ein be¬
rechtigter Wunsch; abgesehen davon, daß die Äußerungen Johann Georgs oft
zum Berstäuduisse notwendig waren, haben sie auch ihren unabhängigen Wert
als Kundgebungen eines durch und durch tüchtigen Mannes, der dem glänzender
begabten Bruder an Charakter entschieden überlegen war, und als Beiträge
zur inneren Geschichte der Schweiz in einem so draug- und gefahrvollen Zeit¬
abschnitte. Dem Abdrucke des ganzen, so vervollständigten Briefwechsels stellte
sich leider der Kostenpunkt entgegen. Der Herausgeber hat sich deshalb begnügt,
auf die betreffenden Briefe von Johannes zu verweisen, und wo es nötig war, sie
in ihrer ursprünglichen Gestalt mitzuteilen; daß er diese Einschaltungen in einen
Anhang verwiesen hat, schafft die Unbequemlichkeit, sozusagen gleichzeitig an zwei
verschiedenen Stellen des Buches lesen zu müssen, indessen lassei, wir sie uus
gern gefallen, da im übrigen die Arbeit Hangs alles Lob beanspruchen darf.

Beide Brüder unterhielten von 1778 bis zu des älterem Tode 1809
regelmäßigem schriftlichen Verkehr und hoben beide die Briefe sorgfältig ans,
aber die Johann Georgs aus den ersten elf Jahren scheinen verloren gegangen
zik sein, sodnß die Sammluug mit dem denkwürdigen Datum der Aufhebung
der geistlichen Zehnten in Frankreich (10. August 1789) beginnt. Der „arme
Tagelöhner" — Katechet und Privatlehrer — in Schaffhausen ist schon am
23. desselben Monats von seiner Begeisterung für die französische Revolution
etwas zurückgekommen und fürchtet gefährliche Folgen von den „fieberhaften
Reformen der Verfassung" auch für seine Heimat, wenn er auch zunächst um
die Schädigung des Handels der Schweiz denkt. Ernster wird seine Sprache
zwei Monate später. „Nun ist in Frankreich gar kein Haupt, als das viel-
köpfichte wütende Ungeheuer, das Volk! Welch schreckliches Ende wird das
noch nehmen! Von welch wichtigen Folgen ster Europa! sein Schiedrichter
ist gefallen. Was wird in 100 Jahren Preußen seyn! Wie leicht kan Eng¬
land eben auch durch seinen Luxus fallen! Die einzige Hofnung scheint mir
zu sey», daß Ostreich und der Gog und Magog einander endlich selbst in die
Haare fallen werden. Wenn ein einzelner Kahn auf den Wellen eines wüten¬
den Meeres, das Flotten verschlingt, zur Rettung Hofnung hat, so hat sie
auch unser gutes Vaterland!" Bald hat dieses den Einfluß des französischen
Beispiels zu spüren. Die Bauern von Hallau knüpfen Bedingungen an die
Huldigung, die beiden Räte von Schaffhausen „deliberiren," und Johannes,
schon in Wien, rät, dem etwaigen Zugeständnissen ja nie das Ansehen eines
abgedrungcnen, sondern eines ganz freiwilligen Gnadengeschenkes zu geben,


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[0568] Schweizer Briefe aus der Revolutionszeit Verlag." In dem ältere» Werke war Johann Georg ganz gegen den berühmten und von ihm bewunderten Bruder zurückgetreten, er hatte aber anch, von mancherlei Rücksichten geleitet, die Briefe von Johannes Änderungen und Kürzuugeu unterzogen, die mitunter sehr wesentlicher Natur sind. Solche Zeusurstriche, namentlich wo sie dem damaligem Herausgeber durch die Zeit¬ verhältnisse (1810!) geboten erschienen, endlich getilgt zu sehen, war ein be¬ rechtigter Wunsch; abgesehen davon, daß die Äußerungen Johann Georgs oft zum Berstäuduisse notwendig waren, haben sie auch ihren unabhängigen Wert als Kundgebungen eines durch und durch tüchtigen Mannes, der dem glänzender begabten Bruder an Charakter entschieden überlegen war, und als Beiträge zur inneren Geschichte der Schweiz in einem so draug- und gefahrvollen Zeit¬ abschnitte. Dem Abdrucke des ganzen, so vervollständigten Briefwechsels stellte sich leider der Kostenpunkt entgegen. Der Herausgeber hat sich deshalb begnügt, auf die betreffenden Briefe von Johannes zu verweisen, und wo es nötig war, sie in ihrer ursprünglichen Gestalt mitzuteilen; daß er diese Einschaltungen in einen Anhang verwiesen hat, schafft die Unbequemlichkeit, sozusagen gleichzeitig an zwei verschiedenen Stellen des Buches lesen zu müssen, indessen lassei, wir sie uus gern gefallen, da im übrigen die Arbeit Hangs alles Lob beanspruchen darf. Beide Brüder unterhielten von 1778 bis zu des älterem Tode 1809 regelmäßigem schriftlichen Verkehr und hoben beide die Briefe sorgfältig ans, aber die Johann Georgs aus den ersten elf Jahren scheinen verloren gegangen zik sein, sodnß die Sammluug mit dem denkwürdigen Datum der Aufhebung der geistlichen Zehnten in Frankreich (10. August 1789) beginnt. Der „arme Tagelöhner" — Katechet und Privatlehrer — in Schaffhausen ist schon am 23. desselben Monats von seiner Begeisterung für die französische Revolution etwas zurückgekommen und fürchtet gefährliche Folgen von den „fieberhaften Reformen der Verfassung" auch für seine Heimat, wenn er auch zunächst um die Schädigung des Handels der Schweiz denkt. Ernster wird seine Sprache zwei Monate später. „Nun ist in Frankreich gar kein Haupt, als das viel- köpfichte wütende Ungeheuer, das Volk! Welch schreckliches Ende wird das noch nehmen! Von welch wichtigen Folgen ster Europa! sein Schiedrichter ist gefallen. Was wird in 100 Jahren Preußen seyn! Wie leicht kan Eng¬ land eben auch durch seinen Luxus fallen! Die einzige Hofnung scheint mir zu sey», daß Ostreich und der Gog und Magog einander endlich selbst in die Haare fallen werden. Wenn ein einzelner Kahn auf den Wellen eines wüten¬ den Meeres, das Flotten verschlingt, zur Rettung Hofnung hat, so hat sie auch unser gutes Vaterland!" Bald hat dieses den Einfluß des französischen Beispiels zu spüren. Die Bauern von Hallau knüpfen Bedingungen an die Huldigung, die beiden Räte von Schaffhausen „deliberiren," und Johannes, schon in Wien, rät, dem etwaigen Zugeständnissen ja nie das Ansehen eines abgedrungcnen, sondern eines ganz freiwilligen Gnadengeschenkes zu geben,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/568>, abgerufen am 24.07.2024.