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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Zum deutsch-österreichischen Handelsverträge

waldigen Respekt hat, den ihm Bismarck einflößte, wohl schwerer wiegende
Freundschaftsbeweise verlangen als ehemals, und so könnte die Freundschaft
uns leicht zu derer werden.

Das mag nun sein, wie es will; jedenfalls scheint es uns zu spät, für
den vorliegenden besondern Fall durch eine Amiäheruug Deutschlands an
Rußland noch viel zu ändern. Wir stehen vor der Thatsache, daß der Ver¬
trag mit Österreich-Ungarn von der Neichsregierung abgeschlossen ist, und daß
eine Mehrheit sür ihn im Reichstage so gut wie gesichert ist.

Nicht ausgeschlossen ist dagegen, daß die Neichstagsmehrheit, die deutsche
Reichsregierung und selbst die österreichisch-ungarische Regierung zu gewissen
Abänderungen des Vertrages noch die Hand bieten würden, wenn aus der
Minderheit heraus Vorschlüge gemacht würden, die geeignet schienen, den
Zwecken und Zielen der vertragschließenden Regierungen in gleicher Weise zu
dienen wie die zwischen ihnen vereinbarten Bestimmungen, auf der andern
Seite aber die Nachteile beseitigten, die, wie wir nicht bezweifeln dürfen,
weiten Schichten des deutschen Volkes nach der jetzigen Gestalt des Ver¬
trages drohen. Wir haben natürlich den Getreidezollsntz im Auge. Denn
was der Vertrag sonst enthält, wissen wir überhaupt noch nicht.

Es ist uicht zu erwarten, daß die Regierungen bezüglich der Höhe des
Zollsatzes für Getreide mit sich werden handeln lassen. Man mag es ver¬
suchen und soll es versuchen; aber wenn sich zeigt, daß in dieser Richtung
nichts durchzuführen ist, so wird man aus einen andern Ausweg bedacht
sein müssen.

In einer Adresse, die vor kurzem aus Süddeutschland an den Fürsten
Bismarck gerichtet und von den "Hamburger Nachrichten" veröffentlicht wurde,
war ein solcher Vorschlag gemacht, und er scheint in der gesamten deutscheu
Presse eine gewisse Beachtuug gefunden zu haben. Wenigstens konnte es aus¬
fallen, daß die meisten von den Blättern, die die Adresse nur in Auszügen
wiedergaben, gerade diesen Vorschlag hervorzuheben für gut befanden. Nach
diesem Vorschlage sollten die Getreidezölle überhaupt aufgehoben und durch ein
Reichsmvnopol auf die Getreideeinfuhr ersetzt werden. Es ist klar, daß eine
solche Einrichtung dem Reiche die Möglichkeit bieten würde, die Einfuhr von
Getreide aus Österreich-Ungarn in jeder wünschenswerten Weise vor der
andrer Länder zu begünstigen und selbst der österreichisch-ungarischen Regierung
gegenüber sich vertragsmäßig hierzu zu verpflichten. Sie konnte also Öster¬
reich-Ungarn vollen Ersatz bieten für das, was jetzt die Zollermäßigung ge¬
währen soll, und könnte doch durch Beschrünknng der Einfuhr aus andern
Ländern die Inlandspreise auf der Höhe halten, unter die sie nicht sinken
dürfen, wenn der deutsche Getreidebau in seiner Existenz nicht bedroht werdeu
soll. Außerdem aber könnte die Reichsregiernng auf der andern Seite in
Fällen unverhältnismäßig hoher Preise auch wieder zu Gunsten der Kor-


Zum deutsch-österreichischen Handelsverträge

waldigen Respekt hat, den ihm Bismarck einflößte, wohl schwerer wiegende
Freundschaftsbeweise verlangen als ehemals, und so könnte die Freundschaft
uns leicht zu derer werden.

Das mag nun sein, wie es will; jedenfalls scheint es uns zu spät, für
den vorliegenden besondern Fall durch eine Amiäheruug Deutschlands an
Rußland noch viel zu ändern. Wir stehen vor der Thatsache, daß der Ver¬
trag mit Österreich-Ungarn von der Neichsregierung abgeschlossen ist, und daß
eine Mehrheit sür ihn im Reichstage so gut wie gesichert ist.

Nicht ausgeschlossen ist dagegen, daß die Neichstagsmehrheit, die deutsche
Reichsregierung und selbst die österreichisch-ungarische Regierung zu gewissen
Abänderungen des Vertrages noch die Hand bieten würden, wenn aus der
Minderheit heraus Vorschlüge gemacht würden, die geeignet schienen, den
Zwecken und Zielen der vertragschließenden Regierungen in gleicher Weise zu
dienen wie die zwischen ihnen vereinbarten Bestimmungen, auf der andern
Seite aber die Nachteile beseitigten, die, wie wir nicht bezweifeln dürfen,
weiten Schichten des deutschen Volkes nach der jetzigen Gestalt des Ver¬
trages drohen. Wir haben natürlich den Getreidezollsntz im Auge. Denn
was der Vertrag sonst enthält, wissen wir überhaupt noch nicht.

Es ist uicht zu erwarten, daß die Regierungen bezüglich der Höhe des
Zollsatzes für Getreide mit sich werden handeln lassen. Man mag es ver¬
suchen und soll es versuchen; aber wenn sich zeigt, daß in dieser Richtung
nichts durchzuführen ist, so wird man aus einen andern Ausweg bedacht
sein müssen.

In einer Adresse, die vor kurzem aus Süddeutschland an den Fürsten
Bismarck gerichtet und von den „Hamburger Nachrichten" veröffentlicht wurde,
war ein solcher Vorschlag gemacht, und er scheint in der gesamten deutscheu
Presse eine gewisse Beachtuug gefunden zu haben. Wenigstens konnte es aus¬
fallen, daß die meisten von den Blättern, die die Adresse nur in Auszügen
wiedergaben, gerade diesen Vorschlag hervorzuheben für gut befanden. Nach
diesem Vorschlage sollten die Getreidezölle überhaupt aufgehoben und durch ein
Reichsmvnopol auf die Getreideeinfuhr ersetzt werden. Es ist klar, daß eine
solche Einrichtung dem Reiche die Möglichkeit bieten würde, die Einfuhr von
Getreide aus Österreich-Ungarn in jeder wünschenswerten Weise vor der
andrer Länder zu begünstigen und selbst der österreichisch-ungarischen Regierung
gegenüber sich vertragsmäßig hierzu zu verpflichten. Sie konnte also Öster¬
reich-Ungarn vollen Ersatz bieten für das, was jetzt die Zollermäßigung ge¬
währen soll, und könnte doch durch Beschrünknng der Einfuhr aus andern
Ländern die Inlandspreise auf der Höhe halten, unter die sie nicht sinken
dürfen, wenn der deutsche Getreidebau in seiner Existenz nicht bedroht werdeu
soll. Außerdem aber könnte die Reichsregiernng auf der andern Seite in
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[0554] Zum deutsch-österreichischen Handelsverträge waldigen Respekt hat, den ihm Bismarck einflößte, wohl schwerer wiegende Freundschaftsbeweise verlangen als ehemals, und so könnte die Freundschaft uns leicht zu derer werden. Das mag nun sein, wie es will; jedenfalls scheint es uns zu spät, für den vorliegenden besondern Fall durch eine Amiäheruug Deutschlands an Rußland noch viel zu ändern. Wir stehen vor der Thatsache, daß der Ver¬ trag mit Österreich-Ungarn von der Neichsregierung abgeschlossen ist, und daß eine Mehrheit sür ihn im Reichstage so gut wie gesichert ist. Nicht ausgeschlossen ist dagegen, daß die Neichstagsmehrheit, die deutsche Reichsregierung und selbst die österreichisch-ungarische Regierung zu gewissen Abänderungen des Vertrages noch die Hand bieten würden, wenn aus der Minderheit heraus Vorschlüge gemacht würden, die geeignet schienen, den Zwecken und Zielen der vertragschließenden Regierungen in gleicher Weise zu dienen wie die zwischen ihnen vereinbarten Bestimmungen, auf der andern Seite aber die Nachteile beseitigten, die, wie wir nicht bezweifeln dürfen, weiten Schichten des deutschen Volkes nach der jetzigen Gestalt des Ver¬ trages drohen. Wir haben natürlich den Getreidezollsntz im Auge. Denn was der Vertrag sonst enthält, wissen wir überhaupt noch nicht. Es ist uicht zu erwarten, daß die Regierungen bezüglich der Höhe des Zollsatzes für Getreide mit sich werden handeln lassen. Man mag es ver¬ suchen und soll es versuchen; aber wenn sich zeigt, daß in dieser Richtung nichts durchzuführen ist, so wird man aus einen andern Ausweg bedacht sein müssen. In einer Adresse, die vor kurzem aus Süddeutschland an den Fürsten Bismarck gerichtet und von den „Hamburger Nachrichten" veröffentlicht wurde, war ein solcher Vorschlag gemacht, und er scheint in der gesamten deutscheu Presse eine gewisse Beachtuug gefunden zu haben. Wenigstens konnte es aus¬ fallen, daß die meisten von den Blättern, die die Adresse nur in Auszügen wiedergaben, gerade diesen Vorschlag hervorzuheben für gut befanden. Nach diesem Vorschlage sollten die Getreidezölle überhaupt aufgehoben und durch ein Reichsmvnopol auf die Getreideeinfuhr ersetzt werden. Es ist klar, daß eine solche Einrichtung dem Reiche die Möglichkeit bieten würde, die Einfuhr von Getreide aus Österreich-Ungarn in jeder wünschenswerten Weise vor der andrer Länder zu begünstigen und selbst der österreichisch-ungarischen Regierung gegenüber sich vertragsmäßig hierzu zu verpflichten. Sie konnte also Öster¬ reich-Ungarn vollen Ersatz bieten für das, was jetzt die Zollermäßigung ge¬ währen soll, und könnte doch durch Beschrünknng der Einfuhr aus andern Ländern die Inlandspreise auf der Höhe halten, unter die sie nicht sinken dürfen, wenn der deutsche Getreidebau in seiner Existenz nicht bedroht werdeu soll. Außerdem aber könnte die Reichsregiernng auf der andern Seite in Fällen unverhältnismäßig hoher Preise auch wieder zu Gunsten der Kor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/554>, abgerufen am 24.07.2024.