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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Zum deutsch-österreichischen Handelsverträge

So war es also ein Vermächtnis Kaiser Wilhelms, die russische Freund¬
schaft zu Pflegen. Es hatte nicht den Anschein, als ob Kaiser Friedrich ge¬
neigt wäre, dieses Vermächtnis anzunehmen. Aber Kaiser Wilhelm II., der
jn in allem unmittelbar an die Überlieferungen seines Großvaters anknüpfen
wollte, säumte keinen Augenblick, dessen Wünschen in Betreff Rußlands fast in
nnffülliger Weise nachzukommen. Es ist nicht bekannt, welche Stellung Bis-
marck zu diesem Vorgehen des jungen Monarchen eingenommen hat; es soll
auch nicht etwa gesagt werden, daß dieser im Übereifer gehandelt habe. Die
Thatsache allein, daß es bekannt geworden war, wie dringend Kaiser Wilhelm I.
noch während seiner letzten Atemzüge ein gutes Einvernehmen mit Rußland
empfohlen hatte, genügt vollauf, zu erklären, was nun geschah: man über¬
schätzte in Nußland das deutsche Freundschaftsbedürfnis und nahm eine
Gönnermiene an, die verstimmen und abkühlen mußte. Wenn es wirklich
wahr wäre, daß die Vorliebe des Kaisers für Rußland in ihr Gegenteil um¬
geschlagen sei, so wäre das hiernach wohl kein Wunder.

Aus dein Gesagten ist ersichtlich, daß unter der Pflege der guten Be¬
ziehungen zu Rußland zweierlei Dinge verstanden wurden. Unter dem Bis-
marckschen Gesichtspunkte lief sie einfach darauf hinaus, alles zu vermeiden,
was ohne Not oder zur Unzeit einen Krieg heraufbeschwören konnte, gleich¬
zeitig aber die Möglichkeit eines engern Bündnisses gerade so weit offen zu
halten, daß andre Staaten damit rechnen mußten. Unter dem Gesichtspunkte
Kaiser Wilhelms I. aber bedeutete sie wahre Herzensfreundschaft. Wäre seit
dem Jahre 1879 der erste Gesichtspunkt allein maßgebend geblieben und der
letzte nicht gelegentlich in einer Weise hervorgetreten, die der russischen Über-
hebung Nahrung geben mußte, so wäre wohl der jetzt augenscheinlich vorhandne
Rückschlag nicht erfolgt.

Wenn nun wirklich die Abkühlung so stark ist, daß Österreich-Ungarn
glaubt, die Möglichkeit einer Wiederherstellung der deutsch-russischen Beziehungen
nicht in Rechnung stellen zu müssen, und deshalb dem deutschen Reiche mit
Rücksicht auf dessen Stellung zwischen den zwei Feuern Frankreichs und Ru߬
lands unentbehrlich zu sein glaubt, so ist es ja allerdings nicht unmöglich,
daß man sich in Wien hierauf gesteift und Deutschland in dem Handels¬
vertrage Zugeständnisse abgerungen hat, die zu verlangen man sollst nicht den
Mut gehabt hätte. Alsdann ist es von diesem Gesichtspunkte aus gewiß zu
bedauern, daß man den goldnen Mittelweg der Bismarckschen Politik Ru߬
land gegenüber verlassen hat. Das muß auch der anerkennen, der nie einen
Funken von Sympathie für Rußland besessen hat. Man kann sich unter
diesem Gesichtspunkte wohl anch gern damit einverstanden erklären, daß die
alten Beziehungen zu Nußland -- im Bismarckschen Sinne, nicht in dem
Kaiser Wilhelms I. -- wieder hergestellt werden möchten. Allein Rußland
dürfte gegenüber einem deutschen Staatsmanne, vor dem es nicht den ge-


Zum deutsch-österreichischen Handelsverträge

So war es also ein Vermächtnis Kaiser Wilhelms, die russische Freund¬
schaft zu Pflegen. Es hatte nicht den Anschein, als ob Kaiser Friedrich ge¬
neigt wäre, dieses Vermächtnis anzunehmen. Aber Kaiser Wilhelm II., der
jn in allem unmittelbar an die Überlieferungen seines Großvaters anknüpfen
wollte, säumte keinen Augenblick, dessen Wünschen in Betreff Rußlands fast in
nnffülliger Weise nachzukommen. Es ist nicht bekannt, welche Stellung Bis-
marck zu diesem Vorgehen des jungen Monarchen eingenommen hat; es soll
auch nicht etwa gesagt werden, daß dieser im Übereifer gehandelt habe. Die
Thatsache allein, daß es bekannt geworden war, wie dringend Kaiser Wilhelm I.
noch während seiner letzten Atemzüge ein gutes Einvernehmen mit Rußland
empfohlen hatte, genügt vollauf, zu erklären, was nun geschah: man über¬
schätzte in Nußland das deutsche Freundschaftsbedürfnis und nahm eine
Gönnermiene an, die verstimmen und abkühlen mußte. Wenn es wirklich
wahr wäre, daß die Vorliebe des Kaisers für Rußland in ihr Gegenteil um¬
geschlagen sei, so wäre das hiernach wohl kein Wunder.

Aus dein Gesagten ist ersichtlich, daß unter der Pflege der guten Be¬
ziehungen zu Rußland zweierlei Dinge verstanden wurden. Unter dem Bis-
marckschen Gesichtspunkte lief sie einfach darauf hinaus, alles zu vermeiden,
was ohne Not oder zur Unzeit einen Krieg heraufbeschwören konnte, gleich¬
zeitig aber die Möglichkeit eines engern Bündnisses gerade so weit offen zu
halten, daß andre Staaten damit rechnen mußten. Unter dem Gesichtspunkte
Kaiser Wilhelms I. aber bedeutete sie wahre Herzensfreundschaft. Wäre seit
dem Jahre 1879 der erste Gesichtspunkt allein maßgebend geblieben und der
letzte nicht gelegentlich in einer Weise hervorgetreten, die der russischen Über-
hebung Nahrung geben mußte, so wäre wohl der jetzt augenscheinlich vorhandne
Rückschlag nicht erfolgt.

Wenn nun wirklich die Abkühlung so stark ist, daß Österreich-Ungarn
glaubt, die Möglichkeit einer Wiederherstellung der deutsch-russischen Beziehungen
nicht in Rechnung stellen zu müssen, und deshalb dem deutschen Reiche mit
Rücksicht auf dessen Stellung zwischen den zwei Feuern Frankreichs und Ru߬
lands unentbehrlich zu sein glaubt, so ist es ja allerdings nicht unmöglich,
daß man sich in Wien hierauf gesteift und Deutschland in dem Handels¬
vertrage Zugeständnisse abgerungen hat, die zu verlangen man sollst nicht den
Mut gehabt hätte. Alsdann ist es von diesem Gesichtspunkte aus gewiß zu
bedauern, daß man den goldnen Mittelweg der Bismarckschen Politik Ru߬
land gegenüber verlassen hat. Das muß auch der anerkennen, der nie einen
Funken von Sympathie für Rußland besessen hat. Man kann sich unter
diesem Gesichtspunkte wohl anch gern damit einverstanden erklären, daß die
alten Beziehungen zu Nußland — im Bismarckschen Sinne, nicht in dem
Kaiser Wilhelms I. — wieder hergestellt werden möchten. Allein Rußland
dürfte gegenüber einem deutschen Staatsmanne, vor dem es nicht den ge-


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[0553] Zum deutsch-österreichischen Handelsverträge So war es also ein Vermächtnis Kaiser Wilhelms, die russische Freund¬ schaft zu Pflegen. Es hatte nicht den Anschein, als ob Kaiser Friedrich ge¬ neigt wäre, dieses Vermächtnis anzunehmen. Aber Kaiser Wilhelm II., der jn in allem unmittelbar an die Überlieferungen seines Großvaters anknüpfen wollte, säumte keinen Augenblick, dessen Wünschen in Betreff Rußlands fast in nnffülliger Weise nachzukommen. Es ist nicht bekannt, welche Stellung Bis- marck zu diesem Vorgehen des jungen Monarchen eingenommen hat; es soll auch nicht etwa gesagt werden, daß dieser im Übereifer gehandelt habe. Die Thatsache allein, daß es bekannt geworden war, wie dringend Kaiser Wilhelm I. noch während seiner letzten Atemzüge ein gutes Einvernehmen mit Rußland empfohlen hatte, genügt vollauf, zu erklären, was nun geschah: man über¬ schätzte in Nußland das deutsche Freundschaftsbedürfnis und nahm eine Gönnermiene an, die verstimmen und abkühlen mußte. Wenn es wirklich wahr wäre, daß die Vorliebe des Kaisers für Rußland in ihr Gegenteil um¬ geschlagen sei, so wäre das hiernach wohl kein Wunder. Aus dein Gesagten ist ersichtlich, daß unter der Pflege der guten Be¬ ziehungen zu Rußland zweierlei Dinge verstanden wurden. Unter dem Bis- marckschen Gesichtspunkte lief sie einfach darauf hinaus, alles zu vermeiden, was ohne Not oder zur Unzeit einen Krieg heraufbeschwören konnte, gleich¬ zeitig aber die Möglichkeit eines engern Bündnisses gerade so weit offen zu halten, daß andre Staaten damit rechnen mußten. Unter dem Gesichtspunkte Kaiser Wilhelms I. aber bedeutete sie wahre Herzensfreundschaft. Wäre seit dem Jahre 1879 der erste Gesichtspunkt allein maßgebend geblieben und der letzte nicht gelegentlich in einer Weise hervorgetreten, die der russischen Über- hebung Nahrung geben mußte, so wäre wohl der jetzt augenscheinlich vorhandne Rückschlag nicht erfolgt. Wenn nun wirklich die Abkühlung so stark ist, daß Österreich-Ungarn glaubt, die Möglichkeit einer Wiederherstellung der deutsch-russischen Beziehungen nicht in Rechnung stellen zu müssen, und deshalb dem deutschen Reiche mit Rücksicht auf dessen Stellung zwischen den zwei Feuern Frankreichs und Ru߬ lands unentbehrlich zu sein glaubt, so ist es ja allerdings nicht unmöglich, daß man sich in Wien hierauf gesteift und Deutschland in dem Handels¬ vertrage Zugeständnisse abgerungen hat, die zu verlangen man sollst nicht den Mut gehabt hätte. Alsdann ist es von diesem Gesichtspunkte aus gewiß zu bedauern, daß man den goldnen Mittelweg der Bismarckschen Politik Ru߬ land gegenüber verlassen hat. Das muß auch der anerkennen, der nie einen Funken von Sympathie für Rußland besessen hat. Man kann sich unter diesem Gesichtspunkte wohl anch gern damit einverstanden erklären, daß die alten Beziehungen zu Nußland — im Bismarckschen Sinne, nicht in dem Kaiser Wilhelms I. — wieder hergestellt werden möchten. Allein Rußland dürfte gegenüber einem deutschen Staatsmanne, vor dem es nicht den ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/553>, abgerufen am 24.07.2024.