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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Zum deutsch-ösierveichischen Handelsverträge

wohl anzunehmen, und wer ihn damals gesehen hat, wird nie den Unterschied
seiner Haltung und seiner Gesichtszüge vor und nach der Verhandlung ver¬
gessen. Auf dem Hinwege wars der Kaiser, der sich in seinem Herrscherglanze
seinem Volke zeigt -- was hätte ihn auch bedrücken sollen? Er ging, zwischen
sich nud einem lieben Verwandten ein kleines Mißverständnis zu beseitige",
seinem Neffen zur Versöhnung die Hand hinzustrecken, in die dieser gewiß
gern und freudig einschlagen würde. Aber man wollte damals schon in
Alexandrowo wissen, die sehr lange dauernde Unterredung zwischen den Kaisern
habe durchnns nicht einen so einfachen Verlauf genommen. Ein unbefugter
Beobachter, der sah, wie der Zar aufgeregt im Gemache auf- und abging, sich
niedersetzte, um Notizen zu machen, und wieder aufsprang, schloß daraus, daß
über ganz konkrete Streitpunkte verhandelt worden sei. Wie das auch sein
mag, jedenfalls nahm Kaiser Wilhelm die Überzeugung mit nach Hanse, daß
die russisch-deutschell Beziehungen durch tiefere Ursachen gefährdet seien, als
etwa nur durch die augenblickliche Kriegslust der Zeitungen, und daß die jetzt
eben geflickte Freundschaft die Lebenszeit der beiden Monarchen, die ihre
eigentlichen Träger waren, kaum lauge überdauern würde. Der Kaiser sah
gebückt, abgespannt, mißmutig aus, als er am andern Tage die Heimreise
antrat. Und nicht umsonst fragten die Zeitungen, ob es denn wirklich nötig
gewesen sei, daß der Oheim dem Neffen, der deutsche Kaiser dem Zaren in
solcher Weise entgegengekommen sei, wie man es eben gesehen hatte. Mail
traute dem guten Wetter keinen langen Bestand zu.

Dennoch wurde selbst ucich dem baldigen jammervollen Ende Alexanders II.
und dem Regierungsantritt seines nichts weniger als deutschfrenndlichen
Sohnes ein leidliches Verhältnis gewahrt. War es vor dem Tage von
Alexandrowo, worüber wir ja nicht bestimmt urteilen können, etwa Bismarcks
Gedanke gewesen, den Handschuh aufzunehmen, den Rußland Miene machte
hinzuwerfen, so läßt sich ganz bestimmt sagen, daß nach Alexandrowo die Politik
Bismarcks schon aus Ättitzlichleitsgründen mit den Gefühlen des Kaisers über¬
einstimmen und sich wieder in ähnlichen Bahnen bewegen mußte, wie vor
der Verstimmung, die der Berliner Kongreß hervorgerufen hatte. Die große
Gelegenheit war vorbei. Nußland begann sich von den Folgen des Türken-
krieges zu erholen, und selbst wer überzeugt war, daß ein Bruch mit dem öst¬
lichen Nachbar in der Zukunft unvermeidlich sein würde, sah keinen Grund, die
Herbeiführung zu beschleunigen. Von russischer Seite freilich that man sich
keinen Zwang an und suchte keineswegs alles zu vermeiden, was Deutschland
verletzen konnte, sei es nnn ans angeborner Unart oder weil man die deutsche
Freundschaft doch nicht für echt hielt. Nicht ohne Grund fuhr wohl Kaiser
Wilhelm deshalb fort, besorgt zu sein, daß es nach seinem Tode und Bis¬
marcks etwaigem Abgang zum Bruch mit Rußland kommen würde, und er
gab dieser Besorgnis auf seinem Sterbebette unzweideutigen Ausdruck.


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wohl anzunehmen, und wer ihn damals gesehen hat, wird nie den Unterschied
seiner Haltung und seiner Gesichtszüge vor und nach der Verhandlung ver¬
gessen. Auf dem Hinwege wars der Kaiser, der sich in seinem Herrscherglanze
seinem Volke zeigt — was hätte ihn auch bedrücken sollen? Er ging, zwischen
sich nud einem lieben Verwandten ein kleines Mißverständnis zu beseitige»,
seinem Neffen zur Versöhnung die Hand hinzustrecken, in die dieser gewiß
gern und freudig einschlagen würde. Aber man wollte damals schon in
Alexandrowo wissen, die sehr lange dauernde Unterredung zwischen den Kaisern
habe durchnns nicht einen so einfachen Verlauf genommen. Ein unbefugter
Beobachter, der sah, wie der Zar aufgeregt im Gemache auf- und abging, sich
niedersetzte, um Notizen zu machen, und wieder aufsprang, schloß daraus, daß
über ganz konkrete Streitpunkte verhandelt worden sei. Wie das auch sein
mag, jedenfalls nahm Kaiser Wilhelm die Überzeugung mit nach Hanse, daß
die russisch-deutschell Beziehungen durch tiefere Ursachen gefährdet seien, als
etwa nur durch die augenblickliche Kriegslust der Zeitungen, und daß die jetzt
eben geflickte Freundschaft die Lebenszeit der beiden Monarchen, die ihre
eigentlichen Träger waren, kaum lauge überdauern würde. Der Kaiser sah
gebückt, abgespannt, mißmutig aus, als er am andern Tage die Heimreise
antrat. Und nicht umsonst fragten die Zeitungen, ob es denn wirklich nötig
gewesen sei, daß der Oheim dem Neffen, der deutsche Kaiser dem Zaren in
solcher Weise entgegengekommen sei, wie man es eben gesehen hatte. Mail
traute dem guten Wetter keinen langen Bestand zu.

Dennoch wurde selbst ucich dem baldigen jammervollen Ende Alexanders II.
und dem Regierungsantritt seines nichts weniger als deutschfrenndlichen
Sohnes ein leidliches Verhältnis gewahrt. War es vor dem Tage von
Alexandrowo, worüber wir ja nicht bestimmt urteilen können, etwa Bismarcks
Gedanke gewesen, den Handschuh aufzunehmen, den Rußland Miene machte
hinzuwerfen, so läßt sich ganz bestimmt sagen, daß nach Alexandrowo die Politik
Bismarcks schon aus Ättitzlichleitsgründen mit den Gefühlen des Kaisers über¬
einstimmen und sich wieder in ähnlichen Bahnen bewegen mußte, wie vor
der Verstimmung, die der Berliner Kongreß hervorgerufen hatte. Die große
Gelegenheit war vorbei. Nußland begann sich von den Folgen des Türken-
krieges zu erholen, und selbst wer überzeugt war, daß ein Bruch mit dem öst¬
lichen Nachbar in der Zukunft unvermeidlich sein würde, sah keinen Grund, die
Herbeiführung zu beschleunigen. Von russischer Seite freilich that man sich
keinen Zwang an und suchte keineswegs alles zu vermeiden, was Deutschland
verletzen konnte, sei es nnn ans angeborner Unart oder weil man die deutsche
Freundschaft doch nicht für echt hielt. Nicht ohne Grund fuhr wohl Kaiser
Wilhelm deshalb fort, besorgt zu sein, daß es nach seinem Tode und Bis¬
marcks etwaigem Abgang zum Bruch mit Rußland kommen würde, und er
gab dieser Besorgnis auf seinem Sterbebette unzweideutigen Ausdruck.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/552>, abgerufen am 24.07.2024.