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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Ludwig Anzeiigruber

des "Sternsteinhofs" angiebt, daß "zielbewußte Kraft nnter Umständen der
Gesamtheit bedeutsamere, dankenswertere Dienste leistet, als kraftlose, nnr ans
den engsten Kreis beschränkte Empfindsamkeit." Diese Anschauung wird auch
durch die andern Dichtungen Anzengrubers bestätigt. Seine Sympathie steht
nicht unter allen Umständen ohne Bedenken auf feiten der auch in seinem
eignen Sinne wahrhaft frommen Menschen, sondern nnr dann, wenn sich
Thatkraft, Frische, Aufgewecktheit, verständiges Wahrnehmen mit Herzensgüte
vereinigen. In seiner herrlichsten Frauengestalt, in der Horlacherlies im
"Gwissenswurm," dem weiblichen Gegenstück zum Steinklopferhans, hat er so ein
volles Menschenbild nach seinem Herzen geschaffen. Der Mucker, der dn augen¬
verdrehend sagt: "'s Leben is ein Obstgarten, aber zulangen is net verlaubt,
dös verwihrt einem der liebe Gott," antwortet sie kurz angebunden: "Geh zu,
Schwarzer, mußt unsern Herrgott nit zum Vogelschrecker machen." Auch sie
weiß gut um Gott Bescheid, wie so viele Anzengrubersche Menschen. Wie
einer ist, so stellt er sich seinen Gott vor; ihr ist er ein frischer, fröhlicher
Gott, und das gleiche Bewußtsein tönt jubelnd aus den Gstanzeln der Ver¬
liebten im "Pfarrer" und im "Doppelselbstmord" entgegen: es ist der Gottes-
glaube Anzengrnbers selbst.

Wir haben den Versuch gemacht, aus der Eigenart des Dichters den
Charakter seiner poetischen Welt zu beschreiben, und nahmen dabei, im Gegen¬
satze zu seinem Biographen, den Standpunkt in der Innerlichkeit des Dichters.
Dies hat uns zu einem tiefern Verständnis des Dichters verholfen, seine Natur
erscheint uns durchsichtig. Dabei füllt uns einige Verwandtschaft mit seinem
großen Landsmann Grillparzer, aber auch die Verschiedenheit von ihm ans.
Auch Grillparzer liebte die Beschaulichkeit und gestaltete sie in den verschie¬
densten Formen als armen Spielmann, als Kaiser Rudolf; ein Kontrast, wie
der zwischen König Ottokar und seiner frommen Gemahlin Margarethe, ist echt
anzengrnberisch. Grillparzer hat mit Vorliebe die Tragik von Menschen ge¬
zeichnet, die dem Leben nicht gewachsen sind. Aber bei dieser gemeinsamen
Neigung zur Gestaltung und Verklärung der frommen, aber auch schwächern
Menschen ist doch ein wesentlicher Unterschied zwischen dein ältern und dem
jünger" Dramatiker. Sie nehmen einen verschiednen Standpunkt dein Lebe"
gegeuüber ein. Dem Ideal der thatenloser innern Harmonie Grillparzers steht
Anzengrnbers frischeres, kräftigeres Ideal entgegen, das zum fröhlichen Zu¬
greifen ohne Spintisiren und Grübelei auffordert. Ju der Tiefe der Seelen-
kunde ist Grillparzer gewiß seinem Nachfolger überlegen, ebenso im Reichtum
der Bildung und in der poetischen Beherrschung der verschiedensten Stände.
Aber Anzeugruber ist urwüchsiger und volkstümlicher als dieser wesentlich
aristokratische Geist; schon sein mächtiger Humor trägt dazu bei. Den größten
Gegensatz zwischen beiden liefert Anzengrnbers "katechetischer Zug." Grill¬
parzer sprach über alles in der Welt lieber, als über kirchliche "ut religiöse


Ludwig Anzeiigruber

des „Sternsteinhofs" angiebt, daß „zielbewußte Kraft nnter Umständen der
Gesamtheit bedeutsamere, dankenswertere Dienste leistet, als kraftlose, nnr ans
den engsten Kreis beschränkte Empfindsamkeit." Diese Anschauung wird auch
durch die andern Dichtungen Anzengrubers bestätigt. Seine Sympathie steht
nicht unter allen Umständen ohne Bedenken auf feiten der auch in seinem
eignen Sinne wahrhaft frommen Menschen, sondern nnr dann, wenn sich
Thatkraft, Frische, Aufgewecktheit, verständiges Wahrnehmen mit Herzensgüte
vereinigen. In seiner herrlichsten Frauengestalt, in der Horlacherlies im
„Gwissenswurm," dem weiblichen Gegenstück zum Steinklopferhans, hat er so ein
volles Menschenbild nach seinem Herzen geschaffen. Der Mucker, der dn augen¬
verdrehend sagt: „'s Leben is ein Obstgarten, aber zulangen is net verlaubt,
dös verwihrt einem der liebe Gott," antwortet sie kurz angebunden: „Geh zu,
Schwarzer, mußt unsern Herrgott nit zum Vogelschrecker machen." Auch sie
weiß gut um Gott Bescheid, wie so viele Anzengrubersche Menschen. Wie
einer ist, so stellt er sich seinen Gott vor; ihr ist er ein frischer, fröhlicher
Gott, und das gleiche Bewußtsein tönt jubelnd aus den Gstanzeln der Ver¬
liebten im „Pfarrer" und im „Doppelselbstmord" entgegen: es ist der Gottes-
glaube Anzengrnbers selbst.

Wir haben den Versuch gemacht, aus der Eigenart des Dichters den
Charakter seiner poetischen Welt zu beschreiben, und nahmen dabei, im Gegen¬
satze zu seinem Biographen, den Standpunkt in der Innerlichkeit des Dichters.
Dies hat uns zu einem tiefern Verständnis des Dichters verholfen, seine Natur
erscheint uns durchsichtig. Dabei füllt uns einige Verwandtschaft mit seinem
großen Landsmann Grillparzer, aber auch die Verschiedenheit von ihm ans.
Auch Grillparzer liebte die Beschaulichkeit und gestaltete sie in den verschie¬
densten Formen als armen Spielmann, als Kaiser Rudolf; ein Kontrast, wie
der zwischen König Ottokar und seiner frommen Gemahlin Margarethe, ist echt
anzengrnberisch. Grillparzer hat mit Vorliebe die Tragik von Menschen ge¬
zeichnet, die dem Leben nicht gewachsen sind. Aber bei dieser gemeinsamen
Neigung zur Gestaltung und Verklärung der frommen, aber auch schwächern
Menschen ist doch ein wesentlicher Unterschied zwischen dein ältern und dem
jünger« Dramatiker. Sie nehmen einen verschiednen Standpunkt dein Lebe»
gegeuüber ein. Dem Ideal der thatenloser innern Harmonie Grillparzers steht
Anzengrnbers frischeres, kräftigeres Ideal entgegen, das zum fröhlichen Zu¬
greifen ohne Spintisiren und Grübelei auffordert. Ju der Tiefe der Seelen-
kunde ist Grillparzer gewiß seinem Nachfolger überlegen, ebenso im Reichtum
der Bildung und in der poetischen Beherrschung der verschiedensten Stände.
Aber Anzeugruber ist urwüchsiger und volkstümlicher als dieser wesentlich
aristokratische Geist; schon sein mächtiger Humor trägt dazu bei. Den größten
Gegensatz zwischen beiden liefert Anzengrnbers „katechetischer Zug." Grill¬
parzer sprach über alles in der Welt lieber, als über kirchliche »ut religiöse


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/54>, abgerufen am 24.07.2024.