Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.Italie, ist erst 1870 eine Nation geworden, und was die Maler seit diesem Italie, ist erst 1870 eine Nation geworden, und was die Maler seit diesem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0537" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/210404"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1482" prev="#ID_1481" next="#ID_1483"> Italie, ist erst 1870 eine Nation geworden, und was die Maler seit diesem<lb/> Anfang des neuen Staatslebens aus der Geschichte der kleinen Fürstentümer<lb/> und Republiken herausgeholt haben, hat nur das Gepräge des Genrebildes<lb/> mit einer den Neigungen der Zeit entsprechenden, immer starker werdenden<lb/> Betonung des Kostüms und des übrigen archäologischen Apparats, ohne das;<lb/> irgend eine dieser Darstellungen einen weitern Nachhall im Volke oder mich<lb/> nur ein lebendiges Verständnis gefunden hätte. Wir brauchen also nicht an<lb/> der schöpferischen Kraft unsrer Kunst zu verzweifeln, sondern müssen mit Ge¬<lb/> duld die natürliche Entwicklung der Dinge und vor allem die Erstarkung<lb/> unsers Nntivnalgefühls abwarten, die den Boden für das Gedeihen der<lb/> Geschichtsmalerei großen Stils vorzubereiten haben. Denn daß das National-<lb/> gefühl sehr wesentlich zu großen und edeln Kunstschöpfungen beiträgt, ist eine<lb/> der wichtigsten und eindringlichsten Lehren, die uns die Berliner inter¬<lb/> nationale Kunstausstellung giebt. Wir wollen dabei die russischen Maler,<lb/> in deren Werken sich die nationale Tendenz als einseitige Feindseligkeit gegen<lb/> das Germanentnm verkörpert hat, das Nationalgefühl also mehr den Eindruck<lb/> einer künstlich zum Wachstum gebrachten Pflanze macht, außer Acht lassen.<lb/> Was aber bei thuen zur Glut des Fanatismus geworden ist, leuchtet<lb/> bei den Spaniern, den Polen, den Tschechen als Flamme der Begeisterung.<lb/> Von neuem stehen wir, wie 1883 in München, vor der überraschenden Er¬<lb/> scheinung, daß in einem kleinen Lande wie Spanien gegenwärtig die Geschichts¬<lb/> malerei in höchster Blüte steht, weil sich die Spanier trotz ihrer politischen<lb/> Zerrissenheit, trotz der häufigen Bürgerkriege dieses Jahrhunderts als eine<lb/> Nntiou fühlen, und weil sie mit leidenschaftlicher Liebe an der Geschichte ihres<lb/> Landes hangen, ohne sich dadurch abschrecken zu lassen, daß die meisten Blätter<lb/> dieser Geschichte mit Blut und Thränen geschrieben sind. Was die formale<lb/> Seite der Darstellung der spanischen Malerei betrifft, so ist von dem Einflüsse<lb/> der Franzosen, nnter dem die neuere spanische Malerei eine Zeit lang stand,<lb/> nur wenig noch zu bemerken, ebensowenig aber auch von einem Zusammen¬<lb/> hang mit der klassischen Malerei ihres Landes im sechzehnten und siebzehnten<lb/> Jahrhundert. Mau könnte höchstens insofern an das Vorbild von Velazquez<lb/> denken, als vielen spanischen Malern der Gegenwart dasselbe künstlerische<lb/> Ideal vorschwebt wie dem Großmeister der unverfälschten, dnrch kein Mittel<lb/> getrübten Nachahmung der Natur: nämlich der Natur mit den einfachsten<lb/> Mitteln am nächsten zu kommen. Das hat aber nichts mit dem modernen, in<lb/> Frankreich erdachten Naturalismus zu thun, der sich von der Natur nichts<lb/> weiter als den Namen geborgt hat. Obgleich die Spanier in ihrer alten<lb/> Malerei eine Richtung gehabt haben, die in ihrer Vorliebe für das Krasse<lb/> und Übertriebene etwas an den sogenannte» Naturalismus von heute erinnert,<lb/> halten sie sich jetzt von dieser Verirrung völlig fern. Es scheint, als ob sie<lb/> ein Grundzug ihres nationalen Charakters davor schützte, nämlich das Streben</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0537]
Italie, ist erst 1870 eine Nation geworden, und was die Maler seit diesem
Anfang des neuen Staatslebens aus der Geschichte der kleinen Fürstentümer
und Republiken herausgeholt haben, hat nur das Gepräge des Genrebildes
mit einer den Neigungen der Zeit entsprechenden, immer starker werdenden
Betonung des Kostüms und des übrigen archäologischen Apparats, ohne das;
irgend eine dieser Darstellungen einen weitern Nachhall im Volke oder mich
nur ein lebendiges Verständnis gefunden hätte. Wir brauchen also nicht an
der schöpferischen Kraft unsrer Kunst zu verzweifeln, sondern müssen mit Ge¬
duld die natürliche Entwicklung der Dinge und vor allem die Erstarkung
unsers Nntivnalgefühls abwarten, die den Boden für das Gedeihen der
Geschichtsmalerei großen Stils vorzubereiten haben. Denn daß das National-
gefühl sehr wesentlich zu großen und edeln Kunstschöpfungen beiträgt, ist eine
der wichtigsten und eindringlichsten Lehren, die uns die Berliner inter¬
nationale Kunstausstellung giebt. Wir wollen dabei die russischen Maler,
in deren Werken sich die nationale Tendenz als einseitige Feindseligkeit gegen
das Germanentnm verkörpert hat, das Nationalgefühl also mehr den Eindruck
einer künstlich zum Wachstum gebrachten Pflanze macht, außer Acht lassen.
Was aber bei thuen zur Glut des Fanatismus geworden ist, leuchtet
bei den Spaniern, den Polen, den Tschechen als Flamme der Begeisterung.
Von neuem stehen wir, wie 1883 in München, vor der überraschenden Er¬
scheinung, daß in einem kleinen Lande wie Spanien gegenwärtig die Geschichts¬
malerei in höchster Blüte steht, weil sich die Spanier trotz ihrer politischen
Zerrissenheit, trotz der häufigen Bürgerkriege dieses Jahrhunderts als eine
Nntiou fühlen, und weil sie mit leidenschaftlicher Liebe an der Geschichte ihres
Landes hangen, ohne sich dadurch abschrecken zu lassen, daß die meisten Blätter
dieser Geschichte mit Blut und Thränen geschrieben sind. Was die formale
Seite der Darstellung der spanischen Malerei betrifft, so ist von dem Einflüsse
der Franzosen, nnter dem die neuere spanische Malerei eine Zeit lang stand,
nur wenig noch zu bemerken, ebensowenig aber auch von einem Zusammen¬
hang mit der klassischen Malerei ihres Landes im sechzehnten und siebzehnten
Jahrhundert. Mau könnte höchstens insofern an das Vorbild von Velazquez
denken, als vielen spanischen Malern der Gegenwart dasselbe künstlerische
Ideal vorschwebt wie dem Großmeister der unverfälschten, dnrch kein Mittel
getrübten Nachahmung der Natur: nämlich der Natur mit den einfachsten
Mitteln am nächsten zu kommen. Das hat aber nichts mit dem modernen, in
Frankreich erdachten Naturalismus zu thun, der sich von der Natur nichts
weiter als den Namen geborgt hat. Obgleich die Spanier in ihrer alten
Malerei eine Richtung gehabt haben, die in ihrer Vorliebe für das Krasse
und Übertriebene etwas an den sogenannte» Naturalismus von heute erinnert,
halten sie sich jetzt von dieser Verirrung völlig fern. Es scheint, als ob sie
ein Grundzug ihres nationalen Charakters davor schützte, nämlich das Streben
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