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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Der zukünftige Unterricht in der neuesten Geschichte

Regensburg und seinen höchst verwickelten Einrichtungen zu frcigeu, so würde
vermutlich niemals einer eine Lehramtsprüfung bestanden haben.

Trotzdem bin ich sehr bereit, anzuerkennen, daß der der Verfügung zu
Grunde liegende Gedanke ganz richtig war, und ich meine nicht, daß der
Lehrer für neuere Geschichte nichts von Verfassungen wissen sollte. Im Gegen-,
teil; nur gestatte man mir zu sagen, daß mit einem Kolleg über Tacitus
(Z"zring,nig. gar nichts gethan ist, auch das viele Einpauker der Waitzischen
Verfassungsgeschichte leinen Nutzen bringen kam:. Man muß, da wir nun einmal
keine Engländer sind, die ihren Hallam in der Tasche tragen können, schon
etwas tiefer in die moderne Jurisprudenz hineingreifen, wenn mau Lehrer zu
haben wünscht, die die neueste Geschichte wissen sollen.

Wie man es auch angreifen mag, man kommt immer wieder zu demselben
Schlüsse, daß dem neuern Geschichtslehrer seine schönste Philologie gar keinen
unmittelbar ans seinen Zweck gerichteten Nutzen schassen wird. Ich bescheide
mich gern, wenn man mit Treitschke sagt: Laßt doch in unserm guten Deutsch¬
land die Sache überhaupt beim Alten: die neuere Geschichte taugt ohnehin
nicht viel für junge Leute von sechzehn bis neunzehn Jahren; es ist also besser,
daß die Schüler bei den Griechen und Römern in die Schule gehe"; Gott
wird weiter helfen. Das hochgespannte Interesse der Jugend wird ja ein paar
Prozent vou Studenten bestimmen, später bei den gewiegtesten Kennern der
neuesten Geschichte ein zweistündiges Publikum zu hören, und die übrigen
neunzig Prozent, Ärzte, Richter, Geistliche u. s. w, uun, die bilden sich eben
historisch mit den Tagesblättern in der Hand recht und schlecht weiter.

Will man diesen thatsächlichen Bestand der Dinge ferner bestehen lassen,
so bin ich der letzte, der ein Wehgeschrei erheben möchte, als stünde der
Verfall unsers Staates bevor. Aus tausend Quellen -- das weiß ich wohl --
fließt eiuer lebenskräftigen Nation tagtäglich ihr historisch-politisches Bewußtsein
stark und immer neubelebend zu. Die Vorstellung, als müßte alles und jedes
immer uur durch den Schulmeister besorgt werden, veraltet hoffentlich immer
mehr und mehr. Wenn man aber behauptet, es müsse und solle neuere
Geschichte in unsern höhern Lehranstalten gelehrt und gelernt werden, dann
fluukere man nicht, daß dies durch die philologisch im übrige" gewiß ausgezeichnet
gebildeten Lehrer besorgt werden könne, sondern man sorge dafür, daß die
neuere und neueste Geschichte in dem zu ihrem Verständnis erforderlichen Um¬
fang von den künftigen Lehrern wirklich studiert worden sei.




Der zukünftige Unterricht in der neuesten Geschichte

Regensburg und seinen höchst verwickelten Einrichtungen zu frcigeu, so würde
vermutlich niemals einer eine Lehramtsprüfung bestanden haben.

Trotzdem bin ich sehr bereit, anzuerkennen, daß der der Verfügung zu
Grunde liegende Gedanke ganz richtig war, und ich meine nicht, daß der
Lehrer für neuere Geschichte nichts von Verfassungen wissen sollte. Im Gegen-,
teil; nur gestatte man mir zu sagen, daß mit einem Kolleg über Tacitus
(Z«zring,nig. gar nichts gethan ist, auch das viele Einpauker der Waitzischen
Verfassungsgeschichte leinen Nutzen bringen kam:. Man muß, da wir nun einmal
keine Engländer sind, die ihren Hallam in der Tasche tragen können, schon
etwas tiefer in die moderne Jurisprudenz hineingreifen, wenn mau Lehrer zu
haben wünscht, die die neueste Geschichte wissen sollen.

Wie man es auch angreifen mag, man kommt immer wieder zu demselben
Schlüsse, daß dem neuern Geschichtslehrer seine schönste Philologie gar keinen
unmittelbar ans seinen Zweck gerichteten Nutzen schassen wird. Ich bescheide
mich gern, wenn man mit Treitschke sagt: Laßt doch in unserm guten Deutsch¬
land die Sache überhaupt beim Alten: die neuere Geschichte taugt ohnehin
nicht viel für junge Leute von sechzehn bis neunzehn Jahren; es ist also besser,
daß die Schüler bei den Griechen und Römern in die Schule gehe»; Gott
wird weiter helfen. Das hochgespannte Interesse der Jugend wird ja ein paar
Prozent vou Studenten bestimmen, später bei den gewiegtesten Kennern der
neuesten Geschichte ein zweistündiges Publikum zu hören, und die übrigen
neunzig Prozent, Ärzte, Richter, Geistliche u. s. w, uun, die bilden sich eben
historisch mit den Tagesblättern in der Hand recht und schlecht weiter.

Will man diesen thatsächlichen Bestand der Dinge ferner bestehen lassen,
so bin ich der letzte, der ein Wehgeschrei erheben möchte, als stünde der
Verfall unsers Staates bevor. Aus tausend Quellen — das weiß ich wohl —
fließt eiuer lebenskräftigen Nation tagtäglich ihr historisch-politisches Bewußtsein
stark und immer neubelebend zu. Die Vorstellung, als müßte alles und jedes
immer uur durch den Schulmeister besorgt werden, veraltet hoffentlich immer
mehr und mehr. Wenn man aber behauptet, es müsse und solle neuere
Geschichte in unsern höhern Lehranstalten gelehrt und gelernt werden, dann
fluukere man nicht, daß dies durch die philologisch im übrige» gewiß ausgezeichnet
gebildeten Lehrer besorgt werden könne, sondern man sorge dafür, daß die
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fang von den künftigen Lehrern wirklich studiert worden sei.




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[0530] Der zukünftige Unterricht in der neuesten Geschichte Regensburg und seinen höchst verwickelten Einrichtungen zu frcigeu, so würde vermutlich niemals einer eine Lehramtsprüfung bestanden haben. Trotzdem bin ich sehr bereit, anzuerkennen, daß der der Verfügung zu Grunde liegende Gedanke ganz richtig war, und ich meine nicht, daß der Lehrer für neuere Geschichte nichts von Verfassungen wissen sollte. Im Gegen-, teil; nur gestatte man mir zu sagen, daß mit einem Kolleg über Tacitus (Z«zring,nig. gar nichts gethan ist, auch das viele Einpauker der Waitzischen Verfassungsgeschichte leinen Nutzen bringen kam:. Man muß, da wir nun einmal keine Engländer sind, die ihren Hallam in der Tasche tragen können, schon etwas tiefer in die moderne Jurisprudenz hineingreifen, wenn mau Lehrer zu haben wünscht, die die neueste Geschichte wissen sollen. Wie man es auch angreifen mag, man kommt immer wieder zu demselben Schlüsse, daß dem neuern Geschichtslehrer seine schönste Philologie gar keinen unmittelbar ans seinen Zweck gerichteten Nutzen schassen wird. Ich bescheide mich gern, wenn man mit Treitschke sagt: Laßt doch in unserm guten Deutsch¬ land die Sache überhaupt beim Alten: die neuere Geschichte taugt ohnehin nicht viel für junge Leute von sechzehn bis neunzehn Jahren; es ist also besser, daß die Schüler bei den Griechen und Römern in die Schule gehe»; Gott wird weiter helfen. Das hochgespannte Interesse der Jugend wird ja ein paar Prozent vou Studenten bestimmen, später bei den gewiegtesten Kennern der neuesten Geschichte ein zweistündiges Publikum zu hören, und die übrigen neunzig Prozent, Ärzte, Richter, Geistliche u. s. w, uun, die bilden sich eben historisch mit den Tagesblättern in der Hand recht und schlecht weiter. Will man diesen thatsächlichen Bestand der Dinge ferner bestehen lassen, so bin ich der letzte, der ein Wehgeschrei erheben möchte, als stünde der Verfall unsers Staates bevor. Aus tausend Quellen — das weiß ich wohl — fließt eiuer lebenskräftigen Nation tagtäglich ihr historisch-politisches Bewußtsein stark und immer neubelebend zu. Die Vorstellung, als müßte alles und jedes immer uur durch den Schulmeister besorgt werden, veraltet hoffentlich immer mehr und mehr. Wenn man aber behauptet, es müsse und solle neuere Geschichte in unsern höhern Lehranstalten gelehrt und gelernt werden, dann fluukere man nicht, daß dies durch die philologisch im übrige» gewiß ausgezeichnet gebildeten Lehrer besorgt werden könne, sondern man sorge dafür, daß die neuere und neueste Geschichte in dem zu ihrem Verständnis erforderlichen Um¬ fang von den künftigen Lehrern wirklich studiert worden sei.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/530>, abgerufen am 24.07.2024.