Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ludwig Anzengruber

schon bei Lebzeiten überlassen hat. Bei der unrechtmäßigen Tochter muß
Neiudorfer ein Plätzchen suchen, um zu sterben. Und noch schärfer tritt diese
Überzeugung von der Kluft zwischen Moral und Erfolg in seinen: zweiten
Roman "Der Sternsteinhvf" hervor, sie liegt der ganzen Erfindung zu Grunde.
Wohlstand und Besitz, werden nicht dem zu teil, der sich andern selbstlos liebend
widmet, sondern der mit starkem Willen, jede Gelegenheit für seine Zwecke
ausnutzend, sein Ziel verfolgt; mag er über Leichen hinwegschreiten: der Er¬
folg läßt die Menschen alles vergessen. Das wird in der Geschichte Helenens
gezeigt. Ihr Widerspiel, die aufopferungsvolle Seybert, wandert ins Armen¬
haus, die schöne Helene gewinnt deu Sternsteinhof.

Warum aber ist das so? fragt man sich, und der Dichter giebt uns auch
darauf Antwort. So liebevoll er sich auch in deu Charakter der Frommen
vertiefen kann, so ist er sich doch auch der Schranken dieser beschaulichen Naturen
bewußt. Er verklärt sie mit den goldigsten Farben seines Humors, aber sie sind
doch uicht die Menschen, denen er ohne Rückhalt zustimmt. Wenn wir seine
Dichtung vom Anfang an verfolgen, vom "Pfarrer" bis zum "Sternsteinhof,"
bemerken wir eine zunehmende Abwendung von diesem Ideal der Beschaulichkeit.
Bewunderungswürdig ist aber jedenfalls der Reichtum an solchen frommen
Gestalten in Anzengrubers Poesie: der Pfarrer Hell ist das pathetische Ideal,
die fromme Katherin das humoristische, kraftvoll realistisch ist der Steinklvpfer-
haus, komisch ist der Hauderer, gar nicht zu reden von deu vielen feinen Ge¬
stalten aus dem katholischen Priesterstand, die in allen Werken Anzeugrnbers
uns entgegentreten: der Pfarrer in der Einöd, der im Sternsteinhof, im Fleck ans
der Ehr u. s. w. Eine verkümmerte Ausgabe dieses Typus der Beschaulichkeit
ist der "Sinuirer," der seine Unfähigkeit zum Leben, zur Arbeit, zum recht¬
schaffenen Thun und Handeln hinter der eitelsten Gedankenmacherei verbirgt:
warum das El rund sei und nicht eckig, warum der Hahn keine Henne sei
u. dergl. Schon in dem sonst so sympathisch gezeichneten Bruder Martin des
"Süudkindes" ist die Schwäche solcher beschaulichen Menschen angedeutet. Dieser
Bruder Hütte durch ein mannhaftes Eintreten für seine bessere Überzeugung
zur rechten Zeit das tragische Schicksal vom Haupte des Sündkindes ablenken
können: damals als ihm seine Mutter ihre Absicht kundgab, das in Sünden
empfangene Kind der Kirche zu widmen. Aber dazu war der gute Mann zu
schwach, und er trügt einen, wenn auch geringen Teil der Mitschuld an dem
Unglück seines Bruders. So wie in ihm, paart sich die Schwäche öfter mit
der Frömmigkeit in den beschaulichen Naturen, z. B. im Vater Reindorfer
"der im Muckerl, dem Holzschnitzer des Romans "Sternsteinhof" und in
Seybert. Einen Stich ins Tadelhafte hat auch der in diese Reihe gehörige
Grvßknecht im "Meiueidbauer." Gegen diese Charakterschwäche wendet sich
Anzengrubers strenges Urteil, und es ist vollkommen wahr, wenn es anch zu¬
nächst maechiavellistisch klingt, wenn Bettelheim als die Moral oder Idee


Ludwig Anzengruber

schon bei Lebzeiten überlassen hat. Bei der unrechtmäßigen Tochter muß
Neiudorfer ein Plätzchen suchen, um zu sterben. Und noch schärfer tritt diese
Überzeugung von der Kluft zwischen Moral und Erfolg in seinen: zweiten
Roman „Der Sternsteinhvf" hervor, sie liegt der ganzen Erfindung zu Grunde.
Wohlstand und Besitz, werden nicht dem zu teil, der sich andern selbstlos liebend
widmet, sondern der mit starkem Willen, jede Gelegenheit für seine Zwecke
ausnutzend, sein Ziel verfolgt; mag er über Leichen hinwegschreiten: der Er¬
folg läßt die Menschen alles vergessen. Das wird in der Geschichte Helenens
gezeigt. Ihr Widerspiel, die aufopferungsvolle Seybert, wandert ins Armen¬
haus, die schöne Helene gewinnt deu Sternsteinhof.

Warum aber ist das so? fragt man sich, und der Dichter giebt uns auch
darauf Antwort. So liebevoll er sich auch in deu Charakter der Frommen
vertiefen kann, so ist er sich doch auch der Schranken dieser beschaulichen Naturen
bewußt. Er verklärt sie mit den goldigsten Farben seines Humors, aber sie sind
doch uicht die Menschen, denen er ohne Rückhalt zustimmt. Wenn wir seine
Dichtung vom Anfang an verfolgen, vom „Pfarrer" bis zum „Sternsteinhof,"
bemerken wir eine zunehmende Abwendung von diesem Ideal der Beschaulichkeit.
Bewunderungswürdig ist aber jedenfalls der Reichtum an solchen frommen
Gestalten in Anzengrubers Poesie: der Pfarrer Hell ist das pathetische Ideal,
die fromme Katherin das humoristische, kraftvoll realistisch ist der Steinklvpfer-
haus, komisch ist der Hauderer, gar nicht zu reden von deu vielen feinen Ge¬
stalten aus dem katholischen Priesterstand, die in allen Werken Anzeugrnbers
uns entgegentreten: der Pfarrer in der Einöd, der im Sternsteinhof, im Fleck ans
der Ehr u. s. w. Eine verkümmerte Ausgabe dieses Typus der Beschaulichkeit
ist der „Sinuirer," der seine Unfähigkeit zum Leben, zur Arbeit, zum recht¬
schaffenen Thun und Handeln hinter der eitelsten Gedankenmacherei verbirgt:
warum das El rund sei und nicht eckig, warum der Hahn keine Henne sei
u. dergl. Schon in dem sonst so sympathisch gezeichneten Bruder Martin des
„Süudkindes" ist die Schwäche solcher beschaulichen Menschen angedeutet. Dieser
Bruder Hütte durch ein mannhaftes Eintreten für seine bessere Überzeugung
zur rechten Zeit das tragische Schicksal vom Haupte des Sündkindes ablenken
können: damals als ihm seine Mutter ihre Absicht kundgab, das in Sünden
empfangene Kind der Kirche zu widmen. Aber dazu war der gute Mann zu
schwach, und er trügt einen, wenn auch geringen Teil der Mitschuld an dem
Unglück seines Bruders. So wie in ihm, paart sich die Schwäche öfter mit
der Frömmigkeit in den beschaulichen Naturen, z. B. im Vater Reindorfer
»der im Muckerl, dem Holzschnitzer des Romans „Sternsteinhof" und in
Seybert. Einen Stich ins Tadelhafte hat auch der in diese Reihe gehörige
Grvßknecht im „Meiueidbauer." Gegen diese Charakterschwäche wendet sich
Anzengrubers strenges Urteil, und es ist vollkommen wahr, wenn es anch zu¬
nächst maechiavellistisch klingt, wenn Bettelheim als die Moral oder Idee


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0053" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209920"/>
          <fw type="header" place="top"> Ludwig Anzengruber</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_127" prev="#ID_126"> schon bei Lebzeiten überlassen hat. Bei der unrechtmäßigen Tochter muß<lb/>
Neiudorfer ein Plätzchen suchen, um zu sterben. Und noch schärfer tritt diese<lb/>
Überzeugung von der Kluft zwischen Moral und Erfolg in seinen: zweiten<lb/>
Roman &#x201E;Der Sternsteinhvf" hervor, sie liegt der ganzen Erfindung zu Grunde.<lb/>
Wohlstand und Besitz, werden nicht dem zu teil, der sich andern selbstlos liebend<lb/>
widmet, sondern der mit starkem Willen, jede Gelegenheit für seine Zwecke<lb/>
ausnutzend, sein Ziel verfolgt; mag er über Leichen hinwegschreiten: der Er¬<lb/>
folg läßt die Menschen alles vergessen. Das wird in der Geschichte Helenens<lb/>
gezeigt. Ihr Widerspiel, die aufopferungsvolle Seybert, wandert ins Armen¬<lb/>
haus, die schöne Helene gewinnt deu Sternsteinhof.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_128" next="#ID_129"> Warum aber ist das so? fragt man sich, und der Dichter giebt uns auch<lb/>
darauf Antwort. So liebevoll er sich auch in deu Charakter der Frommen<lb/>
vertiefen kann, so ist er sich doch auch der Schranken dieser beschaulichen Naturen<lb/>
bewußt. Er verklärt sie mit den goldigsten Farben seines Humors, aber sie sind<lb/>
doch uicht die Menschen, denen er ohne Rückhalt zustimmt. Wenn wir seine<lb/>
Dichtung vom Anfang an verfolgen, vom &#x201E;Pfarrer" bis zum &#x201E;Sternsteinhof,"<lb/>
bemerken wir eine zunehmende Abwendung von diesem Ideal der Beschaulichkeit.<lb/>
Bewunderungswürdig ist aber jedenfalls der Reichtum an solchen frommen<lb/>
Gestalten in Anzengrubers Poesie: der Pfarrer Hell ist das pathetische Ideal,<lb/>
die fromme Katherin das humoristische, kraftvoll realistisch ist der Steinklvpfer-<lb/>
haus, komisch ist der Hauderer, gar nicht zu reden von deu vielen feinen Ge¬<lb/>
stalten aus dem katholischen Priesterstand, die in allen Werken Anzeugrnbers<lb/>
uns entgegentreten: der Pfarrer in der Einöd, der im Sternsteinhof, im Fleck ans<lb/>
der Ehr u. s. w. Eine verkümmerte Ausgabe dieses Typus der Beschaulichkeit<lb/>
ist der &#x201E;Sinuirer," der seine Unfähigkeit zum Leben, zur Arbeit, zum recht¬<lb/>
schaffenen Thun und Handeln hinter der eitelsten Gedankenmacherei verbirgt:<lb/>
warum das El rund sei und nicht eckig, warum der Hahn keine Henne sei<lb/>
u. dergl. Schon in dem sonst so sympathisch gezeichneten Bruder Martin des<lb/>
&#x201E;Süudkindes" ist die Schwäche solcher beschaulichen Menschen angedeutet. Dieser<lb/>
Bruder Hütte durch ein mannhaftes Eintreten für seine bessere Überzeugung<lb/>
zur rechten Zeit das tragische Schicksal vom Haupte des Sündkindes ablenken<lb/>
können: damals als ihm seine Mutter ihre Absicht kundgab, das in Sünden<lb/>
empfangene Kind der Kirche zu widmen. Aber dazu war der gute Mann zu<lb/>
schwach, und er trügt einen, wenn auch geringen Teil der Mitschuld an dem<lb/>
Unglück seines Bruders. So wie in ihm, paart sich die Schwäche öfter mit<lb/>
der Frömmigkeit in den beschaulichen Naturen, z. B. im Vater Reindorfer<lb/>
»der im Muckerl, dem Holzschnitzer des Romans &#x201E;Sternsteinhof" und in<lb/>
Seybert. Einen Stich ins Tadelhafte hat auch der in diese Reihe gehörige<lb/>
Grvßknecht im &#x201E;Meiueidbauer." Gegen diese Charakterschwäche wendet sich<lb/>
Anzengrubers strenges Urteil, und es ist vollkommen wahr, wenn es anch zu¬<lb/>
nächst maechiavellistisch klingt, wenn Bettelheim als die Moral oder Idee</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0053] Ludwig Anzengruber schon bei Lebzeiten überlassen hat. Bei der unrechtmäßigen Tochter muß Neiudorfer ein Plätzchen suchen, um zu sterben. Und noch schärfer tritt diese Überzeugung von der Kluft zwischen Moral und Erfolg in seinen: zweiten Roman „Der Sternsteinhvf" hervor, sie liegt der ganzen Erfindung zu Grunde. Wohlstand und Besitz, werden nicht dem zu teil, der sich andern selbstlos liebend widmet, sondern der mit starkem Willen, jede Gelegenheit für seine Zwecke ausnutzend, sein Ziel verfolgt; mag er über Leichen hinwegschreiten: der Er¬ folg läßt die Menschen alles vergessen. Das wird in der Geschichte Helenens gezeigt. Ihr Widerspiel, die aufopferungsvolle Seybert, wandert ins Armen¬ haus, die schöne Helene gewinnt deu Sternsteinhof. Warum aber ist das so? fragt man sich, und der Dichter giebt uns auch darauf Antwort. So liebevoll er sich auch in deu Charakter der Frommen vertiefen kann, so ist er sich doch auch der Schranken dieser beschaulichen Naturen bewußt. Er verklärt sie mit den goldigsten Farben seines Humors, aber sie sind doch uicht die Menschen, denen er ohne Rückhalt zustimmt. Wenn wir seine Dichtung vom Anfang an verfolgen, vom „Pfarrer" bis zum „Sternsteinhof," bemerken wir eine zunehmende Abwendung von diesem Ideal der Beschaulichkeit. Bewunderungswürdig ist aber jedenfalls der Reichtum an solchen frommen Gestalten in Anzengrubers Poesie: der Pfarrer Hell ist das pathetische Ideal, die fromme Katherin das humoristische, kraftvoll realistisch ist der Steinklvpfer- haus, komisch ist der Hauderer, gar nicht zu reden von deu vielen feinen Ge¬ stalten aus dem katholischen Priesterstand, die in allen Werken Anzeugrnbers uns entgegentreten: der Pfarrer in der Einöd, der im Sternsteinhof, im Fleck ans der Ehr u. s. w. Eine verkümmerte Ausgabe dieses Typus der Beschaulichkeit ist der „Sinuirer," der seine Unfähigkeit zum Leben, zur Arbeit, zum recht¬ schaffenen Thun und Handeln hinter der eitelsten Gedankenmacherei verbirgt: warum das El rund sei und nicht eckig, warum der Hahn keine Henne sei u. dergl. Schon in dem sonst so sympathisch gezeichneten Bruder Martin des „Süudkindes" ist die Schwäche solcher beschaulichen Menschen angedeutet. Dieser Bruder Hütte durch ein mannhaftes Eintreten für seine bessere Überzeugung zur rechten Zeit das tragische Schicksal vom Haupte des Sündkindes ablenken können: damals als ihm seine Mutter ihre Absicht kundgab, das in Sünden empfangene Kind der Kirche zu widmen. Aber dazu war der gute Mann zu schwach, und er trügt einen, wenn auch geringen Teil der Mitschuld an dem Unglück seines Bruders. So wie in ihm, paart sich die Schwäche öfter mit der Frömmigkeit in den beschaulichen Naturen, z. B. im Vater Reindorfer »der im Muckerl, dem Holzschnitzer des Romans „Sternsteinhof" und in Seybert. Einen Stich ins Tadelhafte hat auch der in diese Reihe gehörige Grvßknecht im „Meiueidbauer." Gegen diese Charakterschwäche wendet sich Anzengrubers strenges Urteil, und es ist vollkommen wahr, wenn es anch zu¬ nächst maechiavellistisch klingt, wenn Bettelheim als die Moral oder Idee

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/53
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/53>, abgerufen am 24.07.2024.