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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Der zukünftige Unterricht in der neuesten Geschichte

sehen. Sehr zu wünschen wäre ja allerdings, daß dein Geschichtslehrer anch
Kirchenrecht geläufig wäre, aber es ist zuzugeben, daß dieses Fach, wenn es
nicht bloß uach seiner historischen Seite gelehrt wird, aus zu spezielle Wege
fuhrt, die dein Lehrer an den Mittelschulen doch ferner liegen. Freilich macht
man mit jungen Historikern (rseto Philologen), die eben die Geschichte ohne
jede Kenntnis des öffentlichen Rechtes betreiben, oft heitere Erfahrungen. So
kann man sich bei einem Examen gut und gern eine halbe Stunde über alle
Phasen des Investiturstreits unterhalten, um schließlich zu bemerken, daß der
junge Mann nicht die leiseste Ahnung davon hat, wie eigentlich in Preußen
heutzutage ein Bischof erschaffen wird, oder man bespricht die sämtlichen Kirchen¬
konflikte seit Luther und Zwingli und merkt schließlich, daß der junge Ge¬
lehrte Worte wie etwa M-u, oiroa ^or". in seinem Leben nie gehört hat.
Dieser landesübliche Mangel hatte wenig auf sich, so lange der Geschichts¬
lehrer, seines Zeichens Philolog, ans dem Gymnasium fast ausschließlich alte
Geschichte lehrte und gelegentlich ein bischen Unterricht in neuerer erteilte.
Ganz anders liegt aber die Sache, wenn man wirklich die Absicht haben sollte,
eine entsprechende und folglich Überwiegelide Stundenzahl der neuen Geschichte
zuzuwenden. Daß dies nur auf Kosten des jetzt vorherrschenden Unterrichts
in alter Geschichte wird geschehen können, ist wenigstens wahrscheinlich, und
es hätte dann in Zukunft gar keinen Sinn mehr, den Philologen den Unter¬
richt in Geschichte anzuvertrauen. Die nötige Ausbildung des künftigen Ge¬
schichtslehrers müßte aus der philologischen Gruppe herausgezogen und mehr
in die staatswissenschaftliche verschoben werden.

Für die Gegenstünde der neuern Geschichte und der Philologie selbst
würde die Auflösung der jetzt bestehenden Ehe beiderseits nur zum Vorteile
gereichen, deun der Philolog würde sich nach der Entlastung von Gegenständen,
die er sich meist rein mechanisch erwerben muß, weil ihm die Zeit zu einer
gründlichen Vertiefung fehlt, sehr viel mehr mit seinem Fache beschäftigen
können; während der Historiker schon auf der Universität seine wahren und
wirklichen Fachstudien ins Ange fassen könnte. Wenn die Schulbehörden
Kombinationen mehrerer Fächer zu fordern genötigt siud, würde" dazu die
modernen Sprachen oder die Geographie auch in Verbindung mit einem Teil
der Naturwissenschaften weit passender erscheinen und leichter zu bewältigen
sein, als das große, eigenartige und ganz abseits liegende Gebiet der klassischen
Philologie, das der Natur der Sache nach als eine alte Großmacht das neue
Fach der modernen Geschichte immer mir ins Schlepptau nehmen kaun.

Welche Entscheidungen aber auch aus Rücksicht auf eine wünschenswerte
Ersparung von Lehrkräften die Schulbehörden treffen möchten, von einer
ernstern Ausbildung des Geschichtslehrers dürften sie doch schwerlich absehen
können, wenn nicht der ausgiebigere Betrieb der neuern Geschichte mehr schaden und
sich zu einer von mancher Seite schon heute geweissagtm Gefahr gestalten soll.


Der zukünftige Unterricht in der neuesten Geschichte

sehen. Sehr zu wünschen wäre ja allerdings, daß dein Geschichtslehrer anch
Kirchenrecht geläufig wäre, aber es ist zuzugeben, daß dieses Fach, wenn es
nicht bloß uach seiner historischen Seite gelehrt wird, aus zu spezielle Wege
fuhrt, die dein Lehrer an den Mittelschulen doch ferner liegen. Freilich macht
man mit jungen Historikern (rseto Philologen), die eben die Geschichte ohne
jede Kenntnis des öffentlichen Rechtes betreiben, oft heitere Erfahrungen. So
kann man sich bei einem Examen gut und gern eine halbe Stunde über alle
Phasen des Investiturstreits unterhalten, um schließlich zu bemerken, daß der
junge Mann nicht die leiseste Ahnung davon hat, wie eigentlich in Preußen
heutzutage ein Bischof erschaffen wird, oder man bespricht die sämtlichen Kirchen¬
konflikte seit Luther und Zwingli und merkt schließlich, daß der junge Ge¬
lehrte Worte wie etwa M-u, oiroa ^or». in seinem Leben nie gehört hat.
Dieser landesübliche Mangel hatte wenig auf sich, so lange der Geschichts¬
lehrer, seines Zeichens Philolog, ans dem Gymnasium fast ausschließlich alte
Geschichte lehrte und gelegentlich ein bischen Unterricht in neuerer erteilte.
Ganz anders liegt aber die Sache, wenn man wirklich die Absicht haben sollte,
eine entsprechende und folglich Überwiegelide Stundenzahl der neuen Geschichte
zuzuwenden. Daß dies nur auf Kosten des jetzt vorherrschenden Unterrichts
in alter Geschichte wird geschehen können, ist wenigstens wahrscheinlich, und
es hätte dann in Zukunft gar keinen Sinn mehr, den Philologen den Unter¬
richt in Geschichte anzuvertrauen. Die nötige Ausbildung des künftigen Ge¬
schichtslehrers müßte aus der philologischen Gruppe herausgezogen und mehr
in die staatswissenschaftliche verschoben werden.

Für die Gegenstünde der neuern Geschichte und der Philologie selbst
würde die Auflösung der jetzt bestehenden Ehe beiderseits nur zum Vorteile
gereichen, deun der Philolog würde sich nach der Entlastung von Gegenständen,
die er sich meist rein mechanisch erwerben muß, weil ihm die Zeit zu einer
gründlichen Vertiefung fehlt, sehr viel mehr mit seinem Fache beschäftigen
können; während der Historiker schon auf der Universität seine wahren und
wirklichen Fachstudien ins Ange fassen könnte. Wenn die Schulbehörden
Kombinationen mehrerer Fächer zu fordern genötigt siud, würde» dazu die
modernen Sprachen oder die Geographie auch in Verbindung mit einem Teil
der Naturwissenschaften weit passender erscheinen und leichter zu bewältigen
sein, als das große, eigenartige und ganz abseits liegende Gebiet der klassischen
Philologie, das der Natur der Sache nach als eine alte Großmacht das neue
Fach der modernen Geschichte immer mir ins Schlepptau nehmen kaun.

Welche Entscheidungen aber auch aus Rücksicht auf eine wünschenswerte
Ersparung von Lehrkräften die Schulbehörden treffen möchten, von einer
ernstern Ausbildung des Geschichtslehrers dürften sie doch schwerlich absehen
können, wenn nicht der ausgiebigere Betrieb der neuern Geschichte mehr schaden und
sich zu einer von mancher Seite schon heute geweissagtm Gefahr gestalten soll.


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[0527] Der zukünftige Unterricht in der neuesten Geschichte sehen. Sehr zu wünschen wäre ja allerdings, daß dein Geschichtslehrer anch Kirchenrecht geläufig wäre, aber es ist zuzugeben, daß dieses Fach, wenn es nicht bloß uach seiner historischen Seite gelehrt wird, aus zu spezielle Wege fuhrt, die dein Lehrer an den Mittelschulen doch ferner liegen. Freilich macht man mit jungen Historikern (rseto Philologen), die eben die Geschichte ohne jede Kenntnis des öffentlichen Rechtes betreiben, oft heitere Erfahrungen. So kann man sich bei einem Examen gut und gern eine halbe Stunde über alle Phasen des Investiturstreits unterhalten, um schließlich zu bemerken, daß der junge Mann nicht die leiseste Ahnung davon hat, wie eigentlich in Preußen heutzutage ein Bischof erschaffen wird, oder man bespricht die sämtlichen Kirchen¬ konflikte seit Luther und Zwingli und merkt schließlich, daß der junge Ge¬ lehrte Worte wie etwa M-u, oiroa ^or». in seinem Leben nie gehört hat. Dieser landesübliche Mangel hatte wenig auf sich, so lange der Geschichts¬ lehrer, seines Zeichens Philolog, ans dem Gymnasium fast ausschließlich alte Geschichte lehrte und gelegentlich ein bischen Unterricht in neuerer erteilte. Ganz anders liegt aber die Sache, wenn man wirklich die Absicht haben sollte, eine entsprechende und folglich Überwiegelide Stundenzahl der neuen Geschichte zuzuwenden. Daß dies nur auf Kosten des jetzt vorherrschenden Unterrichts in alter Geschichte wird geschehen können, ist wenigstens wahrscheinlich, und es hätte dann in Zukunft gar keinen Sinn mehr, den Philologen den Unter¬ richt in Geschichte anzuvertrauen. Die nötige Ausbildung des künftigen Ge¬ schichtslehrers müßte aus der philologischen Gruppe herausgezogen und mehr in die staatswissenschaftliche verschoben werden. Für die Gegenstünde der neuern Geschichte und der Philologie selbst würde die Auflösung der jetzt bestehenden Ehe beiderseits nur zum Vorteile gereichen, deun der Philolog würde sich nach der Entlastung von Gegenständen, die er sich meist rein mechanisch erwerben muß, weil ihm die Zeit zu einer gründlichen Vertiefung fehlt, sehr viel mehr mit seinem Fache beschäftigen können; während der Historiker schon auf der Universität seine wahren und wirklichen Fachstudien ins Ange fassen könnte. Wenn die Schulbehörden Kombinationen mehrerer Fächer zu fordern genötigt siud, würde» dazu die modernen Sprachen oder die Geographie auch in Verbindung mit einem Teil der Naturwissenschaften weit passender erscheinen und leichter zu bewältigen sein, als das große, eigenartige und ganz abseits liegende Gebiet der klassischen Philologie, das der Natur der Sache nach als eine alte Großmacht das neue Fach der modernen Geschichte immer mir ins Schlepptau nehmen kaun. Welche Entscheidungen aber auch aus Rücksicht auf eine wünschenswerte Ersparung von Lehrkräften die Schulbehörden treffen möchten, von einer ernstern Ausbildung des Geschichtslehrers dürften sie doch schwerlich absehen können, wenn nicht der ausgiebigere Betrieb der neuern Geschichte mehr schaden und sich zu einer von mancher Seite schon heute geweissagtm Gefahr gestalten soll.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/527>, abgerufen am 24.07.2024.