Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

wo um? zu der Beobachtung gleichsam gezwungen wird, daß hie und da der
Lehrer dieses Faches auch nicht die leiseste Anstrengung zu machen brauchte,
um es lehren zu dürfen. Der hauptsächlichste Grund, weshalb mau im
Gymnasium die neueste Geschichte allerdings nicht gut ausschließen könne -- so
sagte nur einmal bezeichnend genug ein von lauter "Wissenschaft" erfüllter
Mann --, sei eigentlich der, daß man die Schüler doch uicht gut in die
öffentlichen Lesemuseen aufnehmen könne.

Bei solchen Anschauungen ist es nicht zu verwundern, daß man über die
Planmäßige Vorbereitung der Lehrer für diesen Gegenstand noch kaum nach¬
zudenken der Mühe wert gefunden hat. In keinem Staatsprüfungsgesetze, in
keiner Unterrichtsvcrvrdnung, in keiner Erläuterung zu den Lehrplänen findet
sich auch uur die allergeringste Andeutung darüber, was ein Lehrer, der die
neueste Geschichte vortragen soll, zu thun und zu lassen habe, was er gelernt
haben und wissen müsse. "Die Geschichte wird von nun an bis zum Jahre 1888
vorgenommen!" Der Minister hats gesagt, und also ist es gut. Daß man
nebenher doch auch die Frage aufwerfen könnte, ob denn der brave Mann,
der in der Schule seit so vielen Jahren seine Feldzüge des Hannibal mit um
so größerer Genauigkeit beschrieben hat, je weniger er von der Strategie ver¬
stand, auch befähigt sein werde, über die orientalische Frage und den Krim¬
krieg etwas Nützliches zu lehren -- dies scheint man im hohen Rate für
weniger crwägnngswert gehalten zu haben. Man hätte sonst doch gleich¬
zeitig eine Weisung geben müssen, was künftighin von einem Manne zu ver¬
langen sei, dem man das schwierige und verantwortungsvolle Geschäft über¬
trägt, in die Gemüter der Jugend die ersten Keime des Verständnisses für
unsre eigne Zeit zu pflanzen.

Ich will mich, indem ich nun von meinem Standpunkte die Frage zu be¬
antworten suche, durchaus nicht in eine Erörterung darüber einlassen, welche
Erleichterungen dem künftigen Lehrer der neuern Geschichte nach andern Seiten
hin gewährt werden müßten, wenn man von ihm fordert, für diesen Gegen¬
stand würdig vorbereitet zu sein. Nicht über die technischen Mittel, das
Gleichgewicht der Lehraufgaben an den Anstalten nnfrecht zu halten und die
gleiche Verwendbarkeit der Lehrer zu sichern, kann ich mich hier verbreiten,
ich möchte mir sagen, was von einem Geschichtslehrer verlangt werden muß.

Alles geschichtliche Verständnis, besonders aber das der neuern und
neuesten Zeit, kann ohne eine gewisse juristische Grundlage uicht gedeihen.
Wer auch nur einigermaßen in das Räderwerk der neuern Staatskunst geblickt
hat, wird von vornherein zugeben, daß eine Geschichtsbetrachtung ohne die
starke Empfindung und selbst positive Kenntnis der rechtlichen Vorbedingungen
des ganzen Stantslebeus etwas recht Zweifelhaftes, mitunter selbst nicht Un¬
gefährliches ist. Der Philologe, der neben seiner ehrenwerten und hochacht¬
baren Wissenschaft in seinen Universitätsjahren ein bischen in Geschichte


Grenzboten 11 1891 66

wo um? zu der Beobachtung gleichsam gezwungen wird, daß hie und da der
Lehrer dieses Faches auch nicht die leiseste Anstrengung zu machen brauchte,
um es lehren zu dürfen. Der hauptsächlichste Grund, weshalb mau im
Gymnasium die neueste Geschichte allerdings nicht gut ausschließen könne — so
sagte nur einmal bezeichnend genug ein von lauter „Wissenschaft" erfüllter
Mann —, sei eigentlich der, daß man die Schüler doch uicht gut in die
öffentlichen Lesemuseen aufnehmen könne.

Bei solchen Anschauungen ist es nicht zu verwundern, daß man über die
Planmäßige Vorbereitung der Lehrer für diesen Gegenstand noch kaum nach¬
zudenken der Mühe wert gefunden hat. In keinem Staatsprüfungsgesetze, in
keiner Unterrichtsvcrvrdnung, in keiner Erläuterung zu den Lehrplänen findet
sich auch uur die allergeringste Andeutung darüber, was ein Lehrer, der die
neueste Geschichte vortragen soll, zu thun und zu lassen habe, was er gelernt
haben und wissen müsse. „Die Geschichte wird von nun an bis zum Jahre 1888
vorgenommen!" Der Minister hats gesagt, und also ist es gut. Daß man
nebenher doch auch die Frage aufwerfen könnte, ob denn der brave Mann,
der in der Schule seit so vielen Jahren seine Feldzüge des Hannibal mit um
so größerer Genauigkeit beschrieben hat, je weniger er von der Strategie ver¬
stand, auch befähigt sein werde, über die orientalische Frage und den Krim¬
krieg etwas Nützliches zu lehren — dies scheint man im hohen Rate für
weniger crwägnngswert gehalten zu haben. Man hätte sonst doch gleich¬
zeitig eine Weisung geben müssen, was künftighin von einem Manne zu ver¬
langen sei, dem man das schwierige und verantwortungsvolle Geschäft über¬
trägt, in die Gemüter der Jugend die ersten Keime des Verständnisses für
unsre eigne Zeit zu pflanzen.

Ich will mich, indem ich nun von meinem Standpunkte die Frage zu be¬
antworten suche, durchaus nicht in eine Erörterung darüber einlassen, welche
Erleichterungen dem künftigen Lehrer der neuern Geschichte nach andern Seiten
hin gewährt werden müßten, wenn man von ihm fordert, für diesen Gegen¬
stand würdig vorbereitet zu sein. Nicht über die technischen Mittel, das
Gleichgewicht der Lehraufgaben an den Anstalten nnfrecht zu halten und die
gleiche Verwendbarkeit der Lehrer zu sichern, kann ich mich hier verbreiten,
ich möchte mir sagen, was von einem Geschichtslehrer verlangt werden muß.

Alles geschichtliche Verständnis, besonders aber das der neuern und
neuesten Zeit, kann ohne eine gewisse juristische Grundlage uicht gedeihen.
Wer auch nur einigermaßen in das Räderwerk der neuern Staatskunst geblickt
hat, wird von vornherein zugeben, daß eine Geschichtsbetrachtung ohne die
starke Empfindung und selbst positive Kenntnis der rechtlichen Vorbedingungen
des ganzen Stantslebeus etwas recht Zweifelhaftes, mitunter selbst nicht Un¬
gefährliches ist. Der Philologe, der neben seiner ehrenwerten und hochacht¬
baren Wissenschaft in seinen Universitätsjahren ein bischen in Geschichte


Grenzboten 11 1891 66
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0525" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/210392"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1445" prev="#ID_1444"> wo um? zu der Beobachtung gleichsam gezwungen wird, daß hie und da der<lb/>
Lehrer dieses Faches auch nicht die leiseste Anstrengung zu machen brauchte,<lb/>
um es lehren zu dürfen. Der hauptsächlichste Grund, weshalb mau im<lb/>
Gymnasium die neueste Geschichte allerdings nicht gut ausschließen könne &#x2014; so<lb/>
sagte nur einmal bezeichnend genug ein von lauter &#x201E;Wissenschaft" erfüllter<lb/>
Mann &#x2014;, sei eigentlich der, daß man die Schüler doch uicht gut in die<lb/>
öffentlichen Lesemuseen aufnehmen könne.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1446"> Bei solchen Anschauungen ist es nicht zu verwundern, daß man über die<lb/>
Planmäßige Vorbereitung der Lehrer für diesen Gegenstand noch kaum nach¬<lb/>
zudenken der Mühe wert gefunden hat. In keinem Staatsprüfungsgesetze, in<lb/>
keiner Unterrichtsvcrvrdnung, in keiner Erläuterung zu den Lehrplänen findet<lb/>
sich auch uur die allergeringste Andeutung darüber, was ein Lehrer, der die<lb/>
neueste Geschichte vortragen soll, zu thun und zu lassen habe, was er gelernt<lb/>
haben und wissen müsse. &#x201E;Die Geschichte wird von nun an bis zum Jahre 1888<lb/>
vorgenommen!" Der Minister hats gesagt, und also ist es gut. Daß man<lb/>
nebenher doch auch die Frage aufwerfen könnte, ob denn der brave Mann,<lb/>
der in der Schule seit so vielen Jahren seine Feldzüge des Hannibal mit um<lb/>
so größerer Genauigkeit beschrieben hat, je weniger er von der Strategie ver¬<lb/>
stand, auch befähigt sein werde, über die orientalische Frage und den Krim¬<lb/>
krieg etwas Nützliches zu lehren &#x2014; dies scheint man im hohen Rate für<lb/>
weniger crwägnngswert gehalten zu haben. Man hätte sonst doch gleich¬<lb/>
zeitig eine Weisung geben müssen, was künftighin von einem Manne zu ver¬<lb/>
langen sei, dem man das schwierige und verantwortungsvolle Geschäft über¬<lb/>
trägt, in die Gemüter der Jugend die ersten Keime des Verständnisses für<lb/>
unsre eigne Zeit zu pflanzen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1447"> Ich will mich, indem ich nun von meinem Standpunkte die Frage zu be¬<lb/>
antworten suche, durchaus nicht in eine Erörterung darüber einlassen, welche<lb/>
Erleichterungen dem künftigen Lehrer der neuern Geschichte nach andern Seiten<lb/>
hin gewährt werden müßten, wenn man von ihm fordert, für diesen Gegen¬<lb/>
stand würdig vorbereitet zu sein. Nicht über die technischen Mittel, das<lb/>
Gleichgewicht der Lehraufgaben an den Anstalten nnfrecht zu halten und die<lb/>
gleiche Verwendbarkeit der Lehrer zu sichern, kann ich mich hier verbreiten,<lb/>
ich möchte mir sagen, was von einem Geschichtslehrer verlangt werden muß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1448" next="#ID_1449"> Alles geschichtliche Verständnis, besonders aber das der neuern und<lb/>
neuesten Zeit, kann ohne eine gewisse juristische Grundlage uicht gedeihen.<lb/>
Wer auch nur einigermaßen in das Räderwerk der neuern Staatskunst geblickt<lb/>
hat, wird von vornherein zugeben, daß eine Geschichtsbetrachtung ohne die<lb/>
starke Empfindung und selbst positive Kenntnis der rechtlichen Vorbedingungen<lb/>
des ganzen Stantslebeus etwas recht Zweifelhaftes, mitunter selbst nicht Un¬<lb/>
gefährliches ist. Der Philologe, der neben seiner ehrenwerten und hochacht¬<lb/>
baren Wissenschaft in seinen Universitätsjahren ein bischen in Geschichte</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten 11 1891 66</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0525] wo um? zu der Beobachtung gleichsam gezwungen wird, daß hie und da der Lehrer dieses Faches auch nicht die leiseste Anstrengung zu machen brauchte, um es lehren zu dürfen. Der hauptsächlichste Grund, weshalb mau im Gymnasium die neueste Geschichte allerdings nicht gut ausschließen könne — so sagte nur einmal bezeichnend genug ein von lauter „Wissenschaft" erfüllter Mann —, sei eigentlich der, daß man die Schüler doch uicht gut in die öffentlichen Lesemuseen aufnehmen könne. Bei solchen Anschauungen ist es nicht zu verwundern, daß man über die Planmäßige Vorbereitung der Lehrer für diesen Gegenstand noch kaum nach¬ zudenken der Mühe wert gefunden hat. In keinem Staatsprüfungsgesetze, in keiner Unterrichtsvcrvrdnung, in keiner Erläuterung zu den Lehrplänen findet sich auch uur die allergeringste Andeutung darüber, was ein Lehrer, der die neueste Geschichte vortragen soll, zu thun und zu lassen habe, was er gelernt haben und wissen müsse. „Die Geschichte wird von nun an bis zum Jahre 1888 vorgenommen!" Der Minister hats gesagt, und also ist es gut. Daß man nebenher doch auch die Frage aufwerfen könnte, ob denn der brave Mann, der in der Schule seit so vielen Jahren seine Feldzüge des Hannibal mit um so größerer Genauigkeit beschrieben hat, je weniger er von der Strategie ver¬ stand, auch befähigt sein werde, über die orientalische Frage und den Krim¬ krieg etwas Nützliches zu lehren — dies scheint man im hohen Rate für weniger crwägnngswert gehalten zu haben. Man hätte sonst doch gleich¬ zeitig eine Weisung geben müssen, was künftighin von einem Manne zu ver¬ langen sei, dem man das schwierige und verantwortungsvolle Geschäft über¬ trägt, in die Gemüter der Jugend die ersten Keime des Verständnisses für unsre eigne Zeit zu pflanzen. Ich will mich, indem ich nun von meinem Standpunkte die Frage zu be¬ antworten suche, durchaus nicht in eine Erörterung darüber einlassen, welche Erleichterungen dem künftigen Lehrer der neuern Geschichte nach andern Seiten hin gewährt werden müßten, wenn man von ihm fordert, für diesen Gegen¬ stand würdig vorbereitet zu sein. Nicht über die technischen Mittel, das Gleichgewicht der Lehraufgaben an den Anstalten nnfrecht zu halten und die gleiche Verwendbarkeit der Lehrer zu sichern, kann ich mich hier verbreiten, ich möchte mir sagen, was von einem Geschichtslehrer verlangt werden muß. Alles geschichtliche Verständnis, besonders aber das der neuern und neuesten Zeit, kann ohne eine gewisse juristische Grundlage uicht gedeihen. Wer auch nur einigermaßen in das Räderwerk der neuern Staatskunst geblickt hat, wird von vornherein zugeben, daß eine Geschichtsbetrachtung ohne die starke Empfindung und selbst positive Kenntnis der rechtlichen Vorbedingungen des ganzen Stantslebeus etwas recht Zweifelhaftes, mitunter selbst nicht Un¬ gefährliches ist. Der Philologe, der neben seiner ehrenwerten und hochacht¬ baren Wissenschaft in seinen Universitätsjahren ein bischen in Geschichte Grenzboten 11 1891 66

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/525
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/525>, abgerufen am 24.07.2024.