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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Der zukünftige Unterricht in der neuesten Geschichte

nähme der Prüfungsakten sogar zu dem Zweifel berechtigt zu sein, daß es
kaum so viele für die Geschichte als Hauptfach auf der obersten Stufe zu
lehren befähigte Kandidaten gebe, als nötig wären, nur das thatsächliche Be¬
dürfnis zu befriedigen. So gering ist die Zahl der jährlich bei den preußischen
Prüfungskommissionen für Geschichte als Hauptfach völlig approbirten Lehrer!

Die Schlüsse, die sich hieraus ergebe", sind nicht mißzuverstehen, und
ich hoffe, kein ehrlicher Philologe wird mir grollen, wein? ich sage, die Forde¬
rung, daß er sich neben seiner Wissenschaft eine solide Bildung in neuerer
Geschichte während seiner Universitätszeit angedeihen lassen solle, gehe viel zu
weit. Wenn man daran festhalten will, daß das Gymnasium allerdings be¬
rufen sei, in neuerer und neuester Geschichte Unterricht zu erteilen, so muß die
fast ausschließliche Verbindung von Fächern aufhören, die uur eine sehr geringe
oder gar keine Verwandtschaft mit einander haben.

Zu dem innern Gegensatze, der zwischen moderner Geschichte und klassischer
Philologie besteht, gesellt sich außerdem uoch eine Art von Geringschätzung,
die nun einmal auf einer so jungen Wissenschaft -- und die neueste Geschichte
wird immer etwas sehr jugendliches behalten -- zu ruhen pflegt. Es würde
ja uuter allen Umständen ein hartes Verlangen sein, wenn die ehrwürdige
Großmutter von Philologie die eben erst engagirte Primadonna im Ghmnasinl-
nuterricht als gleichwertig ansehen sollte, aber in Deutschland haben es die
Umstände nun einmal mit sich gebracht, daß auch auf den höchsten Stufen
wissenschaftlicher Einsicht und Leistung die Pflege der neuesten Geschichte uoch
immer nicht neben den übrige" Wissenschaftszweigen für ebenbürtig gilt. Wir
leben eben nicht in Frankreich oder England, wo man seit Jahrhunderten der
Staats- und Zeitgeschichte eine Hochachtung entgegengebracht hat, mit der sich
nichts vergleichen läßt, und wo es seit Richelieu und Clarendon als höchste
Ehre gegolten hat, nnter die Geschichtschreiber der Zeit gerechnet zu werden.
An den Universitäten in Deutschland gehörte noch vor vierzig Jahren ein
größeres Kolleg über neueste Geschichte zu den Seltenheiten. Und wie ma"
in akademische" Gelehrtenkreisen hiervon zu denken pflegt, davon erhält man
den richtigen Begriff, wenn man sich erinnert, daß sich die Berliner Akademie
der Wissenschaften durchaus nicht beehren wollte, Herrn von Treitschke unter
ihre Mitglieder aufzunehmen. Mir selbst ist folgendes heitere Erlebnis im
Gedächtnis. Als ich in der Wiener Akademie eine in ähnlicher Weise thätige
bekannte Persönlichkeit einmal bei deu Wahlen vorzuschlagen Miene machte,
erklärte einer der gelehrten Auguren: er lege Verwahrung gegen die Aufnahme
noch "weiterer Journalisten" in die Akademie der Wissenschaften ein.

Wenn schon die sogenannten Forscher nicht begreifen können, wie man
der Beschäftigung mit der neuesten Geschichte deu Wert eiuer altbewährten
akademisch geaichten Wissenschaft beimessen könnte, so wäre es kein Wunder,
wenn dieses Vorurteil umso "lehr in den Lehrerkreisen Platz gegriffen hätte,


Der zukünftige Unterricht in der neuesten Geschichte

nähme der Prüfungsakten sogar zu dem Zweifel berechtigt zu sein, daß es
kaum so viele für die Geschichte als Hauptfach auf der obersten Stufe zu
lehren befähigte Kandidaten gebe, als nötig wären, nur das thatsächliche Be¬
dürfnis zu befriedigen. So gering ist die Zahl der jährlich bei den preußischen
Prüfungskommissionen für Geschichte als Hauptfach völlig approbirten Lehrer!

Die Schlüsse, die sich hieraus ergebe», sind nicht mißzuverstehen, und
ich hoffe, kein ehrlicher Philologe wird mir grollen, wein? ich sage, die Forde¬
rung, daß er sich neben seiner Wissenschaft eine solide Bildung in neuerer
Geschichte während seiner Universitätszeit angedeihen lassen solle, gehe viel zu
weit. Wenn man daran festhalten will, daß das Gymnasium allerdings be¬
rufen sei, in neuerer und neuester Geschichte Unterricht zu erteilen, so muß die
fast ausschließliche Verbindung von Fächern aufhören, die uur eine sehr geringe
oder gar keine Verwandtschaft mit einander haben.

Zu dem innern Gegensatze, der zwischen moderner Geschichte und klassischer
Philologie besteht, gesellt sich außerdem uoch eine Art von Geringschätzung,
die nun einmal auf einer so jungen Wissenschaft — und die neueste Geschichte
wird immer etwas sehr jugendliches behalten — zu ruhen pflegt. Es würde
ja uuter allen Umständen ein hartes Verlangen sein, wenn die ehrwürdige
Großmutter von Philologie die eben erst engagirte Primadonna im Ghmnasinl-
nuterricht als gleichwertig ansehen sollte, aber in Deutschland haben es die
Umstände nun einmal mit sich gebracht, daß auch auf den höchsten Stufen
wissenschaftlicher Einsicht und Leistung die Pflege der neuesten Geschichte uoch
immer nicht neben den übrige» Wissenschaftszweigen für ebenbürtig gilt. Wir
leben eben nicht in Frankreich oder England, wo man seit Jahrhunderten der
Staats- und Zeitgeschichte eine Hochachtung entgegengebracht hat, mit der sich
nichts vergleichen läßt, und wo es seit Richelieu und Clarendon als höchste
Ehre gegolten hat, nnter die Geschichtschreiber der Zeit gerechnet zu werden.
An den Universitäten in Deutschland gehörte noch vor vierzig Jahren ein
größeres Kolleg über neueste Geschichte zu den Seltenheiten. Und wie ma»
in akademische» Gelehrtenkreisen hiervon zu denken pflegt, davon erhält man
den richtigen Begriff, wenn man sich erinnert, daß sich die Berliner Akademie
der Wissenschaften durchaus nicht beehren wollte, Herrn von Treitschke unter
ihre Mitglieder aufzunehmen. Mir selbst ist folgendes heitere Erlebnis im
Gedächtnis. Als ich in der Wiener Akademie eine in ähnlicher Weise thätige
bekannte Persönlichkeit einmal bei deu Wahlen vorzuschlagen Miene machte,
erklärte einer der gelehrten Auguren: er lege Verwahrung gegen die Aufnahme
noch „weiterer Journalisten" in die Akademie der Wissenschaften ein.

Wenn schon die sogenannten Forscher nicht begreifen können, wie man
der Beschäftigung mit der neuesten Geschichte deu Wert eiuer altbewährten
akademisch geaichten Wissenschaft beimessen könnte, so wäre es kein Wunder,
wenn dieses Vorurteil umso »lehr in den Lehrerkreisen Platz gegriffen hätte,


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[0524] Der zukünftige Unterricht in der neuesten Geschichte nähme der Prüfungsakten sogar zu dem Zweifel berechtigt zu sein, daß es kaum so viele für die Geschichte als Hauptfach auf der obersten Stufe zu lehren befähigte Kandidaten gebe, als nötig wären, nur das thatsächliche Be¬ dürfnis zu befriedigen. So gering ist die Zahl der jährlich bei den preußischen Prüfungskommissionen für Geschichte als Hauptfach völlig approbirten Lehrer! Die Schlüsse, die sich hieraus ergebe», sind nicht mißzuverstehen, und ich hoffe, kein ehrlicher Philologe wird mir grollen, wein? ich sage, die Forde¬ rung, daß er sich neben seiner Wissenschaft eine solide Bildung in neuerer Geschichte während seiner Universitätszeit angedeihen lassen solle, gehe viel zu weit. Wenn man daran festhalten will, daß das Gymnasium allerdings be¬ rufen sei, in neuerer und neuester Geschichte Unterricht zu erteilen, so muß die fast ausschließliche Verbindung von Fächern aufhören, die uur eine sehr geringe oder gar keine Verwandtschaft mit einander haben. Zu dem innern Gegensatze, der zwischen moderner Geschichte und klassischer Philologie besteht, gesellt sich außerdem uoch eine Art von Geringschätzung, die nun einmal auf einer so jungen Wissenschaft — und die neueste Geschichte wird immer etwas sehr jugendliches behalten — zu ruhen pflegt. Es würde ja uuter allen Umständen ein hartes Verlangen sein, wenn die ehrwürdige Großmutter von Philologie die eben erst engagirte Primadonna im Ghmnasinl- nuterricht als gleichwertig ansehen sollte, aber in Deutschland haben es die Umstände nun einmal mit sich gebracht, daß auch auf den höchsten Stufen wissenschaftlicher Einsicht und Leistung die Pflege der neuesten Geschichte uoch immer nicht neben den übrige» Wissenschaftszweigen für ebenbürtig gilt. Wir leben eben nicht in Frankreich oder England, wo man seit Jahrhunderten der Staats- und Zeitgeschichte eine Hochachtung entgegengebracht hat, mit der sich nichts vergleichen läßt, und wo es seit Richelieu und Clarendon als höchste Ehre gegolten hat, nnter die Geschichtschreiber der Zeit gerechnet zu werden. An den Universitäten in Deutschland gehörte noch vor vierzig Jahren ein größeres Kolleg über neueste Geschichte zu den Seltenheiten. Und wie ma» in akademische» Gelehrtenkreisen hiervon zu denken pflegt, davon erhält man den richtigen Begriff, wenn man sich erinnert, daß sich die Berliner Akademie der Wissenschaften durchaus nicht beehren wollte, Herrn von Treitschke unter ihre Mitglieder aufzunehmen. Mir selbst ist folgendes heitere Erlebnis im Gedächtnis. Als ich in der Wiener Akademie eine in ähnlicher Weise thätige bekannte Persönlichkeit einmal bei deu Wahlen vorzuschlagen Miene machte, erklärte einer der gelehrten Auguren: er lege Verwahrung gegen die Aufnahme noch „weiterer Journalisten" in die Akademie der Wissenschaften ein. Wenn schon die sogenannten Forscher nicht begreifen können, wie man der Beschäftigung mit der neuesten Geschichte deu Wert eiuer altbewährten akademisch geaichten Wissenschaft beimessen könnte, so wäre es kein Wunder, wenn dieses Vorurteil umso »lehr in den Lehrerkreisen Platz gegriffen hätte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/524>, abgerufen am 24.07.2024.