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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Der zukünftige Unterricht in der neuesten Geschichte

Einzelheiten hier nicht weiter eingegangen werden soll. Wenn die österreichische
Regierung trotz aller Übeln Erfahrungen die Überzeugung nicht nnfgegeben hat,
daß der Student an den rechts- und staatswissenschaftlicher Fakultäten auch
einen historische" Unterricht erhalten sollte, so wird man ihr wenigstens nicht
streitig machen können, das; sie sehr folgerichtig verfahren ist, wenn sie von
nun an beim Staatsexamen auch den wirklichen Nachweis historischer Kennt¬
nisse fordert. Ich glaube aber schwerlich, daß mau in Deutschland zu ähn¬
lichen Einrichtungen schreiten wird, und so weit ich sehe, sind Wünsche dieser
Art auch von gar keiner Seite zu Tage getreten.

Es bleibt also dabei: seine historische Bildung erwirbt der gebildete gute
Deutsche in erster Linie auf dem Gymnasium, und sofern ihm diese Bildung
durch euren planmäßigen Unterricht vermittelt werden soll, ausschließlich auf
dem Gymnasium. Wenn ich nicht irre, ist dieser Gedanke so außerordentlich
ernst und vielsagend, daß man fast annehmen möchte, die ihm zu Grunde
liegende Thatsache sei bei weiten nicht genug bekannt. Denn wer sich ihm
nicht absichtlich verschließen will, wird um zugeben müssen, daß bei der Frage
über den Umfang des Geschichtsunterrichts auf deu Gymnasien allerdings die
Bedürfnisse in Rechnung zu ziehen seien, die das heutige öffentliche und politische
Leben mit sich bringt. Ein andres war es seinerzeit, wenn die einstige Latein¬
schule ihre Zöglinge mit einer gediegne" Grundlage antiker Geschichtskenntnisse
zur Universität entließ, damit sie dort eine allseitige Geschichtsbildung noch
zu erwerben suchten; und etwas andres ist es, wenn das heutige Gymnasium
alle geschichtliche Bildung, die der künftige Staatsdiener erlangt, in sich ab¬
zuschließen berufen ist. Daß sich die Beschaffenheit des Geschichtsunterrichts
auf deu Gymnasien darnach einrichten muß, ist klar, und da man sich bei
den hochentwickelten Ansprüchen der akademischen Fachbildung auf alle Fülle
genötigt sieht, dem Geschichtsunterricht schon auf dem Gymnasium ein
praktisches Ziel zu weisen, so kann die ideale Liebhaberei für diesen oder jenen
Abschnitt der Geschichte wahrhaftig keine Rolle mehr spielen, sondern die eiserne
Notwendigkeit ist es, die das Gymnasium zwingt, seinen Schillern das unent¬
behrliche Maß von Kenntnissen moderner historischer und politischer Zustände
zukommen zu lassen. Nicht die Frage, ob mau mehr oder weniger von der
antiken Geschichte halten mag, ob mau sich mehr für Solo" oder für Mirabeau
begeistern könne oder solle, wird für den Umfang und die Art und Weise des
Geschichtsunterrichts in den Gymnasien entscheidend werden, sondern die ge¬
meine Erfahrung, daß man mit Menschen, die eine ganz rüpelhafte Umvisseu-
heit über die historischen und politischen Thatsachen des modernen Staates
besitzen, nicht zu regieren und zu verwalten und wahrscheinlich nicht einmal
zu verhandeln und zu parlamentiren imstande wäre.

Dieser Umstand ist es, der den Schulmännern, welcher Ansicht, Richtung
und pädagogischen Überzeugung sie auch sonst sein mögen, mir allzubald die


Der zukünftige Unterricht in der neuesten Geschichte

Einzelheiten hier nicht weiter eingegangen werden soll. Wenn die österreichische
Regierung trotz aller Übeln Erfahrungen die Überzeugung nicht nnfgegeben hat,
daß der Student an den rechts- und staatswissenschaftlicher Fakultäten auch
einen historische» Unterricht erhalten sollte, so wird man ihr wenigstens nicht
streitig machen können, das; sie sehr folgerichtig verfahren ist, wenn sie von
nun an beim Staatsexamen auch den wirklichen Nachweis historischer Kennt¬
nisse fordert. Ich glaube aber schwerlich, daß mau in Deutschland zu ähn¬
lichen Einrichtungen schreiten wird, und so weit ich sehe, sind Wünsche dieser
Art auch von gar keiner Seite zu Tage getreten.

Es bleibt also dabei: seine historische Bildung erwirbt der gebildete gute
Deutsche in erster Linie auf dem Gymnasium, und sofern ihm diese Bildung
durch euren planmäßigen Unterricht vermittelt werden soll, ausschließlich auf
dem Gymnasium. Wenn ich nicht irre, ist dieser Gedanke so außerordentlich
ernst und vielsagend, daß man fast annehmen möchte, die ihm zu Grunde
liegende Thatsache sei bei weiten nicht genug bekannt. Denn wer sich ihm
nicht absichtlich verschließen will, wird um zugeben müssen, daß bei der Frage
über den Umfang des Geschichtsunterrichts auf deu Gymnasien allerdings die
Bedürfnisse in Rechnung zu ziehen seien, die das heutige öffentliche und politische
Leben mit sich bringt. Ein andres war es seinerzeit, wenn die einstige Latein¬
schule ihre Zöglinge mit einer gediegne» Grundlage antiker Geschichtskenntnisse
zur Universität entließ, damit sie dort eine allseitige Geschichtsbildung noch
zu erwerben suchten; und etwas andres ist es, wenn das heutige Gymnasium
alle geschichtliche Bildung, die der künftige Staatsdiener erlangt, in sich ab¬
zuschließen berufen ist. Daß sich die Beschaffenheit des Geschichtsunterrichts
auf deu Gymnasien darnach einrichten muß, ist klar, und da man sich bei
den hochentwickelten Ansprüchen der akademischen Fachbildung auf alle Fülle
genötigt sieht, dem Geschichtsunterricht schon auf dem Gymnasium ein
praktisches Ziel zu weisen, so kann die ideale Liebhaberei für diesen oder jenen
Abschnitt der Geschichte wahrhaftig keine Rolle mehr spielen, sondern die eiserne
Notwendigkeit ist es, die das Gymnasium zwingt, seinen Schillern das unent¬
behrliche Maß von Kenntnissen moderner historischer und politischer Zustände
zukommen zu lassen. Nicht die Frage, ob mau mehr oder weniger von der
antiken Geschichte halten mag, ob mau sich mehr für Solo» oder für Mirabeau
begeistern könne oder solle, wird für den Umfang und die Art und Weise des
Geschichtsunterrichts in den Gymnasien entscheidend werden, sondern die ge¬
meine Erfahrung, daß man mit Menschen, die eine ganz rüpelhafte Umvisseu-
heit über die historischen und politischen Thatsachen des modernen Staates
besitzen, nicht zu regieren und zu verwalten und wahrscheinlich nicht einmal
zu verhandeln und zu parlamentiren imstande wäre.

Dieser Umstand ist es, der den Schulmännern, welcher Ansicht, Richtung
und pädagogischen Überzeugung sie auch sonst sein mögen, mir allzubald die


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[0520] Der zukünftige Unterricht in der neuesten Geschichte Einzelheiten hier nicht weiter eingegangen werden soll. Wenn die österreichische Regierung trotz aller Übeln Erfahrungen die Überzeugung nicht nnfgegeben hat, daß der Student an den rechts- und staatswissenschaftlicher Fakultäten auch einen historische» Unterricht erhalten sollte, so wird man ihr wenigstens nicht streitig machen können, das; sie sehr folgerichtig verfahren ist, wenn sie von nun an beim Staatsexamen auch den wirklichen Nachweis historischer Kennt¬ nisse fordert. Ich glaube aber schwerlich, daß mau in Deutschland zu ähn¬ lichen Einrichtungen schreiten wird, und so weit ich sehe, sind Wünsche dieser Art auch von gar keiner Seite zu Tage getreten. Es bleibt also dabei: seine historische Bildung erwirbt der gebildete gute Deutsche in erster Linie auf dem Gymnasium, und sofern ihm diese Bildung durch euren planmäßigen Unterricht vermittelt werden soll, ausschließlich auf dem Gymnasium. Wenn ich nicht irre, ist dieser Gedanke so außerordentlich ernst und vielsagend, daß man fast annehmen möchte, die ihm zu Grunde liegende Thatsache sei bei weiten nicht genug bekannt. Denn wer sich ihm nicht absichtlich verschließen will, wird um zugeben müssen, daß bei der Frage über den Umfang des Geschichtsunterrichts auf deu Gymnasien allerdings die Bedürfnisse in Rechnung zu ziehen seien, die das heutige öffentliche und politische Leben mit sich bringt. Ein andres war es seinerzeit, wenn die einstige Latein¬ schule ihre Zöglinge mit einer gediegne» Grundlage antiker Geschichtskenntnisse zur Universität entließ, damit sie dort eine allseitige Geschichtsbildung noch zu erwerben suchten; und etwas andres ist es, wenn das heutige Gymnasium alle geschichtliche Bildung, die der künftige Staatsdiener erlangt, in sich ab¬ zuschließen berufen ist. Daß sich die Beschaffenheit des Geschichtsunterrichts auf deu Gymnasien darnach einrichten muß, ist klar, und da man sich bei den hochentwickelten Ansprüchen der akademischen Fachbildung auf alle Fülle genötigt sieht, dem Geschichtsunterricht schon auf dem Gymnasium ein praktisches Ziel zu weisen, so kann die ideale Liebhaberei für diesen oder jenen Abschnitt der Geschichte wahrhaftig keine Rolle mehr spielen, sondern die eiserne Notwendigkeit ist es, die das Gymnasium zwingt, seinen Schillern das unent¬ behrliche Maß von Kenntnissen moderner historischer und politischer Zustände zukommen zu lassen. Nicht die Frage, ob mau mehr oder weniger von der antiken Geschichte halten mag, ob mau sich mehr für Solo» oder für Mirabeau begeistern könne oder solle, wird für den Umfang und die Art und Weise des Geschichtsunterrichts in den Gymnasien entscheidend werden, sondern die ge¬ meine Erfahrung, daß man mit Menschen, die eine ganz rüpelhafte Umvisseu- heit über die historischen und politischen Thatsachen des modernen Staates besitzen, nicht zu regieren und zu verwalten und wahrscheinlich nicht einmal zu verhandeln und zu parlamentiren imstande wäre. Dieser Umstand ist es, der den Schulmännern, welcher Ansicht, Richtung und pädagogischen Überzeugung sie auch sonst sein mögen, mir allzubald die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/520>, abgerufen am 24.07.2024.