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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Ludwig Anzengruber

dachten Schläge des Vaters aufgefangen und ihr zuliebe auch auf das eigue Ver¬
mögen verzichtet!, war eine der Andächtigsten in der Kirche bei der stillen Trauung
meiner Schwester und eine der Lustigsten beim Hochzeitsschmaus in der Musk,
und seither war ich nimmer die Haberlechner-Kathi, sondern die fromme Katherin.
Nun, da hab ich mir gedacht, jetzt hast du deinen Namen, jetzt mußt du ihm
auch zu Gefallen leben. . . Ja, das macht so ein Name. Nun, und da hab
ich mirs halt auch angelegen sein lassen, mich alleweil hübsch mit unserm
lieben Herrgott abzufinden, damit ich nichts Unfrommes sag oder begeh. Und
das ist nit so schwer, als sich etwa eines vorstellt. Seht, ihr braucht nur
keine Hoffart zu bezeigen, keine Schlechtigkeit zu begehen und keiner Feindschaft
zu entgegnen. Ja, lieber Herr, das ist dem Menschen fürs Inwendige gut.
All die Mühsal und Not, die ihn von außen bedrängen kann, ist freilich
auf der Welt uuter Fromme und Unfrvmme so ziemlich gleich verteilt
und kriegt oft der Fromme gar den mehreren Teil, aber, Herr, ich entsinn
mich noch immer, wie die Fuhrleut die Straße durch unsern Ort ge¬
fahren sind, zur Zeit, da ich noch eben ein klein Menscherl war; all¬
mächtig große Kisten und Ballen haben oft ungeladen werden müssen,
da sind aus Jux die stärksten Bursche hinzugetreten und haben zu helfen ver¬
sucht, nicht ihrer drei oder viere waren imstande, so ein Lastgut von der
Stell zu rücken, aber der Fuhrknecht, einer allein, hat es zu wenden gewußt
und zu stürzen vermocht. Nun seht, die Last ist nit geringer geworden, aber
wer den Vorteil hat, überwindet sie leichter."

Mit diesen Worten der frommen Katherin ist Anzengrubers eigne Welt¬
anschauung ausgesprochen. Die Last des Lebens ist für alle Menschen gleich
schwer verteilt, der Fromme hat nur deu Vorteil, daß er sie leichter trägt.
Die Entwicklung des Menschengeschlechtes, sagt Anzengruber in dein Märchen
"Jaggerncmt" aus, geht über alle Menschen rücksichtslos, wahllos hinweg,
keinen, weder Fromme, noch Unfromme verschonend. Die guten Menschen
haben vor den nichtguten nur den innern Frieden voraus: das ist alles. Ju
dieser Richtung bewegt sich nun Anzengrubers Phantasie; er liebt es, das Ver¬
hältnis der Frommen und der Nichtfrommen zu einander und zum Schicksal
zu veranschaulichen. Bald zeigt er die Blindheit dieses Schicksals, seine Un¬
gerechtigkeit, z. B. in der schon erwähnten Geschichte "Gott verloren!" Ein
andermal führt er mit Freude und Schönheit einen glücklichen und gerechten
Lebenslauf durch, wie in dem Schicksal der anmutigen und guten Mngdalena
Neindorfer, der Heldin des Romans "Schandfleck." Vorwiegend hat er freilich
die Neigung, die Disharmonie zwischen Schicksal und innern: sittlichen Wert
zu veranschaulichen. In demselben Roman erleidet der Vater Neindorfer, eine
durch und durch fromme beschauliche Gestalt nach Anzengrubers eigensten Ge¬
schmack, das tragische Schicksal des König Lear: der eigne Sohn treibt den
alten weisen Neindorfer aus dein Hause, das er ihm aus allzugroßer Güte


Ludwig Anzengruber

dachten Schläge des Vaters aufgefangen und ihr zuliebe auch auf das eigue Ver¬
mögen verzichtet!, war eine der Andächtigsten in der Kirche bei der stillen Trauung
meiner Schwester und eine der Lustigsten beim Hochzeitsschmaus in der Musk,
und seither war ich nimmer die Haberlechner-Kathi, sondern die fromme Katherin.
Nun, da hab ich mir gedacht, jetzt hast du deinen Namen, jetzt mußt du ihm
auch zu Gefallen leben. . . Ja, das macht so ein Name. Nun, und da hab
ich mirs halt auch angelegen sein lassen, mich alleweil hübsch mit unserm
lieben Herrgott abzufinden, damit ich nichts Unfrommes sag oder begeh. Und
das ist nit so schwer, als sich etwa eines vorstellt. Seht, ihr braucht nur
keine Hoffart zu bezeigen, keine Schlechtigkeit zu begehen und keiner Feindschaft
zu entgegnen. Ja, lieber Herr, das ist dem Menschen fürs Inwendige gut.
All die Mühsal und Not, die ihn von außen bedrängen kann, ist freilich
auf der Welt uuter Fromme und Unfrvmme so ziemlich gleich verteilt
und kriegt oft der Fromme gar den mehreren Teil, aber, Herr, ich entsinn
mich noch immer, wie die Fuhrleut die Straße durch unsern Ort ge¬
fahren sind, zur Zeit, da ich noch eben ein klein Menscherl war; all¬
mächtig große Kisten und Ballen haben oft ungeladen werden müssen,
da sind aus Jux die stärksten Bursche hinzugetreten und haben zu helfen ver¬
sucht, nicht ihrer drei oder viere waren imstande, so ein Lastgut von der
Stell zu rücken, aber der Fuhrknecht, einer allein, hat es zu wenden gewußt
und zu stürzen vermocht. Nun seht, die Last ist nit geringer geworden, aber
wer den Vorteil hat, überwindet sie leichter."

Mit diesen Worten der frommen Katherin ist Anzengrubers eigne Welt¬
anschauung ausgesprochen. Die Last des Lebens ist für alle Menschen gleich
schwer verteilt, der Fromme hat nur deu Vorteil, daß er sie leichter trägt.
Die Entwicklung des Menschengeschlechtes, sagt Anzengruber in dein Märchen
„Jaggerncmt" aus, geht über alle Menschen rücksichtslos, wahllos hinweg,
keinen, weder Fromme, noch Unfromme verschonend. Die guten Menschen
haben vor den nichtguten nur den innern Frieden voraus: das ist alles. Ju
dieser Richtung bewegt sich nun Anzengrubers Phantasie; er liebt es, das Ver¬
hältnis der Frommen und der Nichtfrommen zu einander und zum Schicksal
zu veranschaulichen. Bald zeigt er die Blindheit dieses Schicksals, seine Un¬
gerechtigkeit, z. B. in der schon erwähnten Geschichte „Gott verloren!" Ein
andermal führt er mit Freude und Schönheit einen glücklichen und gerechten
Lebenslauf durch, wie in dem Schicksal der anmutigen und guten Mngdalena
Neindorfer, der Heldin des Romans „Schandfleck." Vorwiegend hat er freilich
die Neigung, die Disharmonie zwischen Schicksal und innern: sittlichen Wert
zu veranschaulichen. In demselben Roman erleidet der Vater Neindorfer, eine
durch und durch fromme beschauliche Gestalt nach Anzengrubers eigensten Ge¬
schmack, das tragische Schicksal des König Lear: der eigne Sohn treibt den
alten weisen Neindorfer aus dein Hause, das er ihm aus allzugroßer Güte


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[0052] Ludwig Anzengruber dachten Schläge des Vaters aufgefangen und ihr zuliebe auch auf das eigue Ver¬ mögen verzichtet!, war eine der Andächtigsten in der Kirche bei der stillen Trauung meiner Schwester und eine der Lustigsten beim Hochzeitsschmaus in der Musk, und seither war ich nimmer die Haberlechner-Kathi, sondern die fromme Katherin. Nun, da hab ich mir gedacht, jetzt hast du deinen Namen, jetzt mußt du ihm auch zu Gefallen leben. . . Ja, das macht so ein Name. Nun, und da hab ich mirs halt auch angelegen sein lassen, mich alleweil hübsch mit unserm lieben Herrgott abzufinden, damit ich nichts Unfrommes sag oder begeh. Und das ist nit so schwer, als sich etwa eines vorstellt. Seht, ihr braucht nur keine Hoffart zu bezeigen, keine Schlechtigkeit zu begehen und keiner Feindschaft zu entgegnen. Ja, lieber Herr, das ist dem Menschen fürs Inwendige gut. All die Mühsal und Not, die ihn von außen bedrängen kann, ist freilich auf der Welt uuter Fromme und Unfrvmme so ziemlich gleich verteilt und kriegt oft der Fromme gar den mehreren Teil, aber, Herr, ich entsinn mich noch immer, wie die Fuhrleut die Straße durch unsern Ort ge¬ fahren sind, zur Zeit, da ich noch eben ein klein Menscherl war; all¬ mächtig große Kisten und Ballen haben oft ungeladen werden müssen, da sind aus Jux die stärksten Bursche hinzugetreten und haben zu helfen ver¬ sucht, nicht ihrer drei oder viere waren imstande, so ein Lastgut von der Stell zu rücken, aber der Fuhrknecht, einer allein, hat es zu wenden gewußt und zu stürzen vermocht. Nun seht, die Last ist nit geringer geworden, aber wer den Vorteil hat, überwindet sie leichter." Mit diesen Worten der frommen Katherin ist Anzengrubers eigne Welt¬ anschauung ausgesprochen. Die Last des Lebens ist für alle Menschen gleich schwer verteilt, der Fromme hat nur deu Vorteil, daß er sie leichter trägt. Die Entwicklung des Menschengeschlechtes, sagt Anzengruber in dein Märchen „Jaggerncmt" aus, geht über alle Menschen rücksichtslos, wahllos hinweg, keinen, weder Fromme, noch Unfromme verschonend. Die guten Menschen haben vor den nichtguten nur den innern Frieden voraus: das ist alles. Ju dieser Richtung bewegt sich nun Anzengrubers Phantasie; er liebt es, das Ver¬ hältnis der Frommen und der Nichtfrommen zu einander und zum Schicksal zu veranschaulichen. Bald zeigt er die Blindheit dieses Schicksals, seine Un¬ gerechtigkeit, z. B. in der schon erwähnten Geschichte „Gott verloren!" Ein andermal führt er mit Freude und Schönheit einen glücklichen und gerechten Lebenslauf durch, wie in dem Schicksal der anmutigen und guten Mngdalena Neindorfer, der Heldin des Romans „Schandfleck." Vorwiegend hat er freilich die Neigung, die Disharmonie zwischen Schicksal und innern: sittlichen Wert zu veranschaulichen. In demselben Roman erleidet der Vater Neindorfer, eine durch und durch fromme beschauliche Gestalt nach Anzengrubers eigensten Ge¬ schmack, das tragische Schicksal des König Lear: der eigne Sohn treibt den alten weisen Neindorfer aus dein Hause, das er ihm aus allzugroßer Güte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/52>, abgerufen am 24.07.2024.