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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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wünsche für die Statistik

sozusagen die Poesie der Überzeugung. Während aber ernst erdachte und klar
ausgedrückte Worte jede Mißdeutung ausschließen, ist dies nicht in gleicher
Weise der Fall bei der stummen Zahl. Der mannichfach gewitzigte Statistiker
entgeht freilich leicht der Gefahr des Irrtums; solchem ist aber der Laie stets
ausgesetzt, für den Zahlen wie die Orakelsprüche des Apollo Loxias, die stets
nach zwei Seiten schielten, sehr oft zunächst ungelöste Rätsel sind, durch die
obsonruiu per obseurws erklärt wird. Alle Statistiker sind zweifellos gebildete
Leute, aber nicht alle gebildeten Leute sind Statistiker. Warum unterlassen
es so häufig die Statistiker, ihren Belehrung suchenden Mitmenschen und Zeit¬
genossen, die dieselben Gangsteige der Erkenntnis erklimmen möchten, die von
den Vorgängern etwa zurückgelegt worden sind, hie und da einen freund¬
lichen Wink, einen Wegweiser und da, wo etwa ab und zu ein fürwitziger
Forscher abstürzte, ein "Marterl" zu widmen, damit die Nachpilgerudeu
sich nicht auch versteigen oder verunglücken? Es sieht freilich nicht so ge¬
lehrt und vornehm ans, als wenn nur blanke Ziffern in wohlgeordneter Auf¬
stellung vorgewiesen werden, aber das Ganze wird dadurch gemeinverständ¬
licher. Und wenn auch der Deutsche besonders dann empfindlich ist, wenn die
Wertschätzung des Ausfasfungsvermögens des Lesers in Frage kommt, so wird
er sich doch nicht gleich wie ein dummer Kerl behandelt sühlen, wenn er vor
einem Mißverständnis gewarnt wird; dem: auch das ist eine deutsche Eigen¬
tümlichkeit, daß es für gelehrte Leute keineswegs als Schande gilt, wenn sie
vom Rechnungswesen und vom Zahlenwerte nichts verstehen, und zwar wohl
deshalb, weil Zählen und Rechnen nicht als gelehrte Beschäftigung gilt.
Denn nachgerade wurde es zum Merkmal der art<Z8 liberales, daß man Dinge
ohne unmittelbaren Nutzen trieb. So schämt man sich ja auch nicht, über
Schwäche und Verfall des Gedächtnisses zu klagen, während man doch niemand
über Mängel seines Verstandes klagen hört. Vergeßlichkeit und Zerstreuung
gereichen nämlich dem Gelehrten nicht zum Vorwürfe, sondern sie gelten als
eine vornehme Berufskrankheit, der besonders die der Wirklichkeit entrückten
Forscher verfallen. Die Statistiker, die weit mehr als die Gelehrten irgend
eines andern Faches darauf bedacht sein müssen, in dem Maße, wie sie ja
unmittelbar aus dem Leben schöpfen, auch volkstümlich und gemeinverständlich
zu bleiben und für die Verbreitung und Verwertung ihrer Forschungsergebnisse
zu wirken, können und müssen sich um so mehr von gelehrten Schrullen frei¬
halten. Die Statistik kann nicht wie z. V. die Prvfesfvrenphilosophie der
Philosvphieprofessorcn die Einmischung unzünftiger Laien mit Abscheu wie
eine Erniedrigung ihrer Kunst zurückweisen, sie bedarf nicht wie jene Philosophie
der zum Handwerke gehörigen Kunstausdrücke, die auf jeden Laien schwei߬
treibend wirken, sie soll im Gegenteil durch Verdeutschung der Zahlen alles
dem gemeinen Verständnis näher bringen, sie braucht nicht wie die Bernfs-
philosophie zu befürchten, daß dadurch die Geheimkunst der Wissenden, die


wünsche für die Statistik

sozusagen die Poesie der Überzeugung. Während aber ernst erdachte und klar
ausgedrückte Worte jede Mißdeutung ausschließen, ist dies nicht in gleicher
Weise der Fall bei der stummen Zahl. Der mannichfach gewitzigte Statistiker
entgeht freilich leicht der Gefahr des Irrtums; solchem ist aber der Laie stets
ausgesetzt, für den Zahlen wie die Orakelsprüche des Apollo Loxias, die stets
nach zwei Seiten schielten, sehr oft zunächst ungelöste Rätsel sind, durch die
obsonruiu per obseurws erklärt wird. Alle Statistiker sind zweifellos gebildete
Leute, aber nicht alle gebildeten Leute sind Statistiker. Warum unterlassen
es so häufig die Statistiker, ihren Belehrung suchenden Mitmenschen und Zeit¬
genossen, die dieselben Gangsteige der Erkenntnis erklimmen möchten, die von
den Vorgängern etwa zurückgelegt worden sind, hie und da einen freund¬
lichen Wink, einen Wegweiser und da, wo etwa ab und zu ein fürwitziger
Forscher abstürzte, ein „Marterl" zu widmen, damit die Nachpilgerudeu
sich nicht auch versteigen oder verunglücken? Es sieht freilich nicht so ge¬
lehrt und vornehm ans, als wenn nur blanke Ziffern in wohlgeordneter Auf¬
stellung vorgewiesen werden, aber das Ganze wird dadurch gemeinverständ¬
licher. Und wenn auch der Deutsche besonders dann empfindlich ist, wenn die
Wertschätzung des Ausfasfungsvermögens des Lesers in Frage kommt, so wird
er sich doch nicht gleich wie ein dummer Kerl behandelt sühlen, wenn er vor
einem Mißverständnis gewarnt wird; dem: auch das ist eine deutsche Eigen¬
tümlichkeit, daß es für gelehrte Leute keineswegs als Schande gilt, wenn sie
vom Rechnungswesen und vom Zahlenwerte nichts verstehen, und zwar wohl
deshalb, weil Zählen und Rechnen nicht als gelehrte Beschäftigung gilt.
Denn nachgerade wurde es zum Merkmal der art<Z8 liberales, daß man Dinge
ohne unmittelbaren Nutzen trieb. So schämt man sich ja auch nicht, über
Schwäche und Verfall des Gedächtnisses zu klagen, während man doch niemand
über Mängel seines Verstandes klagen hört. Vergeßlichkeit und Zerstreuung
gereichen nämlich dem Gelehrten nicht zum Vorwürfe, sondern sie gelten als
eine vornehme Berufskrankheit, der besonders die der Wirklichkeit entrückten
Forscher verfallen. Die Statistiker, die weit mehr als die Gelehrten irgend
eines andern Faches darauf bedacht sein müssen, in dem Maße, wie sie ja
unmittelbar aus dem Leben schöpfen, auch volkstümlich und gemeinverständlich
zu bleiben und für die Verbreitung und Verwertung ihrer Forschungsergebnisse
zu wirken, können und müssen sich um so mehr von gelehrten Schrullen frei¬
halten. Die Statistik kann nicht wie z. V. die Prvfesfvrenphilosophie der
Philosvphieprofessorcn die Einmischung unzünftiger Laien mit Abscheu wie
eine Erniedrigung ihrer Kunst zurückweisen, sie bedarf nicht wie jene Philosophie
der zum Handwerke gehörigen Kunstausdrücke, die auf jeden Laien schwei߬
treibend wirken, sie soll im Gegenteil durch Verdeutschung der Zahlen alles
dem gemeinen Verständnis näher bringen, sie braucht nicht wie die Bernfs-
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[0506] wünsche für die Statistik sozusagen die Poesie der Überzeugung. Während aber ernst erdachte und klar ausgedrückte Worte jede Mißdeutung ausschließen, ist dies nicht in gleicher Weise der Fall bei der stummen Zahl. Der mannichfach gewitzigte Statistiker entgeht freilich leicht der Gefahr des Irrtums; solchem ist aber der Laie stets ausgesetzt, für den Zahlen wie die Orakelsprüche des Apollo Loxias, die stets nach zwei Seiten schielten, sehr oft zunächst ungelöste Rätsel sind, durch die obsonruiu per obseurws erklärt wird. Alle Statistiker sind zweifellos gebildete Leute, aber nicht alle gebildeten Leute sind Statistiker. Warum unterlassen es so häufig die Statistiker, ihren Belehrung suchenden Mitmenschen und Zeit¬ genossen, die dieselben Gangsteige der Erkenntnis erklimmen möchten, die von den Vorgängern etwa zurückgelegt worden sind, hie und da einen freund¬ lichen Wink, einen Wegweiser und da, wo etwa ab und zu ein fürwitziger Forscher abstürzte, ein „Marterl" zu widmen, damit die Nachpilgerudeu sich nicht auch versteigen oder verunglücken? Es sieht freilich nicht so ge¬ lehrt und vornehm ans, als wenn nur blanke Ziffern in wohlgeordneter Auf¬ stellung vorgewiesen werden, aber das Ganze wird dadurch gemeinverständ¬ licher. Und wenn auch der Deutsche besonders dann empfindlich ist, wenn die Wertschätzung des Ausfasfungsvermögens des Lesers in Frage kommt, so wird er sich doch nicht gleich wie ein dummer Kerl behandelt sühlen, wenn er vor einem Mißverständnis gewarnt wird; dem: auch das ist eine deutsche Eigen¬ tümlichkeit, daß es für gelehrte Leute keineswegs als Schande gilt, wenn sie vom Rechnungswesen und vom Zahlenwerte nichts verstehen, und zwar wohl deshalb, weil Zählen und Rechnen nicht als gelehrte Beschäftigung gilt. Denn nachgerade wurde es zum Merkmal der art<Z8 liberales, daß man Dinge ohne unmittelbaren Nutzen trieb. So schämt man sich ja auch nicht, über Schwäche und Verfall des Gedächtnisses zu klagen, während man doch niemand über Mängel seines Verstandes klagen hört. Vergeßlichkeit und Zerstreuung gereichen nämlich dem Gelehrten nicht zum Vorwürfe, sondern sie gelten als eine vornehme Berufskrankheit, der besonders die der Wirklichkeit entrückten Forscher verfallen. Die Statistiker, die weit mehr als die Gelehrten irgend eines andern Faches darauf bedacht sein müssen, in dem Maße, wie sie ja unmittelbar aus dem Leben schöpfen, auch volkstümlich und gemeinverständlich zu bleiben und für die Verbreitung und Verwertung ihrer Forschungsergebnisse zu wirken, können und müssen sich um so mehr von gelehrten Schrullen frei¬ halten. Die Statistik kann nicht wie z. V. die Prvfesfvrenphilosophie der Philosvphieprofessorcn die Einmischung unzünftiger Laien mit Abscheu wie eine Erniedrigung ihrer Kunst zurückweisen, sie bedarf nicht wie jene Philosophie der zum Handwerke gehörigen Kunstausdrücke, die auf jeden Laien schwei߬ treibend wirken, sie soll im Gegenteil durch Verdeutschung der Zahlen alles dem gemeinen Verständnis näher bringen, sie braucht nicht wie die Bernfs- philosophie zu befürchten, daß dadurch die Geheimkunst der Wissenden, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/506>, abgerufen am 24.07.2024.