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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Und wenn die Religion gar nicht eine blos; äußerliche Stütze wäre,
sondern mit der Moral in einer organischen Verbindung stünde? Es ist
richtig, die Moral beruht auf den sittlichen Ideen, die unter der Herrschaft
aller Religionen wesentlich dieselben bleiben, und der Einfluß der Religionen
beschränkt sich der Hauptsache "ach darauf, das; sie die Entfaltung jener Ideen
fordern oder hindern, und das; wir Antriebe und Beweggründe, jenen Ideen
nachzuleben, von ihnen empfangen. Ich freue mich, in diesem Punkte den
Dichterphilosophen ans meiner Seite zu finden, denn auch er gründet die Moral
auf unwandelbare sittliche Ideen und bekämpft mit schlagenden Gründen sowohl
die rein historische Ableitung der Rechtsidee, wie sie Ihering versucht hat,
als auch die unbeholfenen Versuche der Darwinianer, "ach ihrem bekannten
Rezept aus Anpassung, Vererbung und Gewöhnung eine Moral znsammcn-
zubraueu. Die Förderung der sittlichen Idee" durch die Religion darf aber,
wenigstens soweit die christliche in Betracht koiumt, keineswegs blos; als ein
äußerliches Stütze" angesehen werden. Regungen der Liebe und des Ge¬
rechtigkeitssinnes verspürt allerdings jeder Mensch; aber daß man diesen
Regungen unter allen Umständen folgen müsse, mich wenn die entgegenstehenden
selbstsüchtigen Regungen ihnen an Kraft überlegen sind, diese Überzeugung
ergiebt sich sür den Durchschnittsmenschen doch bloß ans der Vorstellung eines
Gottes, der die Liebe und Gerechtigkeit in Person ist, und der ein dem seinen
ähnliches Verhalten von uns, seinen Geschöpfen, fordert. Die Vorstellung
einer sittlichen Weltordnung vermag für sich allein schon ans dem Grunde
nicht dasselbe zu leisten, weil sie für sich allein gar nicht bestehen kann. Denn
in unsrer irdischen Menschenwelt vermag sich die sittliche Ordnung nur so un¬
vollkommen durchzusetzen, daß die meisten derer, die nicht an Gott glauben,
an ihr irre werden. Der Gläubige aber hofft eben, das; die Siege der Unge¬
rechtigkeit und die Niederlagen der Gerechtigkeit, die wir so oft erleben müssen,
in jeuer Welt werden ausgeglichen werden, und nur unter dieser Voraussetzung
ist eine sittliche Weltordnung vorhanden.

Ohne den Glauben an den persönlichen Gott führen die sittlichen Ideen
ein wnrzelkrankes Dasein, und dasselbe, was Hamerling gegen die Moral der
Materialisten und Pessimisten einwendet, gilt mich von den seinigen, zumal
da anch noch dazu die, Anwendung der sittlichen Ideen von der Beschaffen¬
heit unsrer religiöse" oder religionslose" Vorstellungen abhängt. "Stellen
wir uns vor, sagt Hamerling (II, 208), Karl Vogt befände sich ganz allein
""d unbemerkt in einem Zinnner, in welchen: vieles Geld und viele Wert¬
sachen umherliege". Er könnte etwas davon einstecken, denn wir nehme" aus¬
drücklich an, daß die Verhältnisse derart sind, "in eine Entdeckung für immer
unmöglich zu machen. Zugegriffen, Herr Karl Vogt! Warum stecken Sie
denn nichts ein? Es kommt ja nie ans Licht, und der moralische Instinkt
ist eine bloße Angewöhimug. Was mau sich angewöhnt, kann man sich wieder


Und wenn die Religion gar nicht eine blos; äußerliche Stütze wäre,
sondern mit der Moral in einer organischen Verbindung stünde? Es ist
richtig, die Moral beruht auf den sittlichen Ideen, die unter der Herrschaft
aller Religionen wesentlich dieselben bleiben, und der Einfluß der Religionen
beschränkt sich der Hauptsache »ach darauf, das; sie die Entfaltung jener Ideen
fordern oder hindern, und das; wir Antriebe und Beweggründe, jenen Ideen
nachzuleben, von ihnen empfangen. Ich freue mich, in diesem Punkte den
Dichterphilosophen ans meiner Seite zu finden, denn auch er gründet die Moral
auf unwandelbare sittliche Ideen und bekämpft mit schlagenden Gründen sowohl
die rein historische Ableitung der Rechtsidee, wie sie Ihering versucht hat,
als auch die unbeholfenen Versuche der Darwinianer, »ach ihrem bekannten
Rezept aus Anpassung, Vererbung und Gewöhnung eine Moral znsammcn-
zubraueu. Die Förderung der sittlichen Idee» durch die Religion darf aber,
wenigstens soweit die christliche in Betracht koiumt, keineswegs blos; als ein
äußerliches Stütze» angesehen werden. Regungen der Liebe und des Ge¬
rechtigkeitssinnes verspürt allerdings jeder Mensch; aber daß man diesen
Regungen unter allen Umständen folgen müsse, mich wenn die entgegenstehenden
selbstsüchtigen Regungen ihnen an Kraft überlegen sind, diese Überzeugung
ergiebt sich sür den Durchschnittsmenschen doch bloß ans der Vorstellung eines
Gottes, der die Liebe und Gerechtigkeit in Person ist, und der ein dem seinen
ähnliches Verhalten von uns, seinen Geschöpfen, fordert. Die Vorstellung
einer sittlichen Weltordnung vermag für sich allein schon ans dem Grunde
nicht dasselbe zu leisten, weil sie für sich allein gar nicht bestehen kann. Denn
in unsrer irdischen Menschenwelt vermag sich die sittliche Ordnung nur so un¬
vollkommen durchzusetzen, daß die meisten derer, die nicht an Gott glauben,
an ihr irre werden. Der Gläubige aber hofft eben, das; die Siege der Unge¬
rechtigkeit und die Niederlagen der Gerechtigkeit, die wir so oft erleben müssen,
in jeuer Welt werden ausgeglichen werden, und nur unter dieser Voraussetzung
ist eine sittliche Weltordnung vorhanden.

Ohne den Glauben an den persönlichen Gott führen die sittlichen Ideen
ein wnrzelkrankes Dasein, und dasselbe, was Hamerling gegen die Moral der
Materialisten und Pessimisten einwendet, gilt mich von den seinigen, zumal
da anch noch dazu die, Anwendung der sittlichen Ideen von der Beschaffen¬
heit unsrer religiöse» oder religionslose» Vorstellungen abhängt. „Stellen
wir uns vor, sagt Hamerling (II, 208), Karl Vogt befände sich ganz allein
»»d unbemerkt in einem Zinnner, in welchen: vieles Geld und viele Wert¬
sachen umherliege». Er könnte etwas davon einstecken, denn wir nehme» aus¬
drücklich an, daß die Verhältnisse derart sind, »in eine Entdeckung für immer
unmöglich zu machen. Zugegriffen, Herr Karl Vogt! Warum stecken Sie
denn nichts ein? Es kommt ja nie ans Licht, und der moralische Instinkt
ist eine bloße Angewöhimug. Was mau sich angewöhnt, kann man sich wieder


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[0484] Und wenn die Religion gar nicht eine blos; äußerliche Stütze wäre, sondern mit der Moral in einer organischen Verbindung stünde? Es ist richtig, die Moral beruht auf den sittlichen Ideen, die unter der Herrschaft aller Religionen wesentlich dieselben bleiben, und der Einfluß der Religionen beschränkt sich der Hauptsache »ach darauf, das; sie die Entfaltung jener Ideen fordern oder hindern, und das; wir Antriebe und Beweggründe, jenen Ideen nachzuleben, von ihnen empfangen. Ich freue mich, in diesem Punkte den Dichterphilosophen ans meiner Seite zu finden, denn auch er gründet die Moral auf unwandelbare sittliche Ideen und bekämpft mit schlagenden Gründen sowohl die rein historische Ableitung der Rechtsidee, wie sie Ihering versucht hat, als auch die unbeholfenen Versuche der Darwinianer, »ach ihrem bekannten Rezept aus Anpassung, Vererbung und Gewöhnung eine Moral znsammcn- zubraueu. Die Förderung der sittlichen Idee» durch die Religion darf aber, wenigstens soweit die christliche in Betracht koiumt, keineswegs blos; als ein äußerliches Stütze» angesehen werden. Regungen der Liebe und des Ge¬ rechtigkeitssinnes verspürt allerdings jeder Mensch; aber daß man diesen Regungen unter allen Umständen folgen müsse, mich wenn die entgegenstehenden selbstsüchtigen Regungen ihnen an Kraft überlegen sind, diese Überzeugung ergiebt sich sür den Durchschnittsmenschen doch bloß ans der Vorstellung eines Gottes, der die Liebe und Gerechtigkeit in Person ist, und der ein dem seinen ähnliches Verhalten von uns, seinen Geschöpfen, fordert. Die Vorstellung einer sittlichen Weltordnung vermag für sich allein schon ans dem Grunde nicht dasselbe zu leisten, weil sie für sich allein gar nicht bestehen kann. Denn in unsrer irdischen Menschenwelt vermag sich die sittliche Ordnung nur so un¬ vollkommen durchzusetzen, daß die meisten derer, die nicht an Gott glauben, an ihr irre werden. Der Gläubige aber hofft eben, das; die Siege der Unge¬ rechtigkeit und die Niederlagen der Gerechtigkeit, die wir so oft erleben müssen, in jeuer Welt werden ausgeglichen werden, und nur unter dieser Voraussetzung ist eine sittliche Weltordnung vorhanden. Ohne den Glauben an den persönlichen Gott führen die sittlichen Ideen ein wnrzelkrankes Dasein, und dasselbe, was Hamerling gegen die Moral der Materialisten und Pessimisten einwendet, gilt mich von den seinigen, zumal da anch noch dazu die, Anwendung der sittlichen Ideen von der Beschaffen¬ heit unsrer religiöse» oder religionslose» Vorstellungen abhängt. „Stellen wir uns vor, sagt Hamerling (II, 208), Karl Vogt befände sich ganz allein »»d unbemerkt in einem Zinnner, in welchen: vieles Geld und viele Wert¬ sachen umherliege». Er könnte etwas davon einstecken, denn wir nehme» aus¬ drücklich an, daß die Verhältnisse derart sind, »in eine Entdeckung für immer unmöglich zu machen. Zugegriffen, Herr Karl Vogt! Warum stecken Sie denn nichts ein? Es kommt ja nie ans Licht, und der moralische Instinkt ist eine bloße Angewöhimug. Was mau sich angewöhnt, kann man sich wieder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/484>, abgerufen am 24.07.2024.