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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Hamerling der Philosoph

diese Vorstellung mir die ganze Freude an der Welt verderben würde, das;
diese ganze irdische Existenz anfinge, mir unheimlich zu werden, und daß ich
verzweifeln mußte um Großen, Schönen und Erhabenen, das ich ursprünglich
in ihr fand. Ich würde nicht mehr in einem "Kosmos" und unter der Herr¬
schaft einer sittlichen Weltordnung zu existiren glauben, sondern in einer Welt
von burschikosen, gemein-komischem Charakter, umschwirrt von unsichtbaren
Nüpelseeleuschwärmen, deren Zahl ja, seit Menschen leben und sterben, schon
ins Unendliche sich vermehrt haben müßte."

Nun, das Jenseits der Nüpelseelen schenken mich wir den Abvttueuten
der Sphinx; aber Hamerling kennt überhaupt kein Jenseits. Er ist so ehrlich,
von Religion gar nicht zu sprechen, während es sonst bei atheistischen Philo¬
sophen unsrer Zeit allgemein üblich ist, ihre Schüler mit Attrapen zu be¬
trügen, auf die sie "Gott" und "Religion" schreiben. Die Kapitelüberschriften
des vierten und letzten Buches der "Atomistik" lauten: Jchsinn und Allsinn,
Zweckbegriff, Sittlichkeit, Schönheit, Optimismus und Pessimismus, das
Problem der Gesittung. Die Religion erwähnt er nur einmal als eine Sache,
die den Philosophen nichts angehe. Er sagt Seite 147: ,,Der philosophische
Begriff eines persönlichen Gottes gehört zu den merkwürdigsten pshchologischen
Erscheinungen in der geistigen Entwicklungsgeschichte der Menschheit. Be¬
trachtet mau die Rolle, welche dieser Begriff als solcher in der Philosophie
gespielt hat und noch heute spielt, so kann man nicht umhin, nach den Gründen
zu fragen, welche die philosophireude Wissenschaft uoch immer veranlasse",
das geheimnisvolle höchste Objekt religiösen Glaubens auf das logische Gebiet
hiuüberzcrren zu wollen? Wer seinen Glauben mit Gründen verteidigt, kann
mit Gründen widerlegt werden. Die Philosophie sollte von jetzt an tausend
Jahre lang darauf verzichten, den Namen Gottes auch nur in den Mund zu
nehmen. Nichts ist mir von jeher unbegreiflicher gewesen, als der Ernst, mit
welchem von dem schlechten Spaß des Anselmus gesprochen wird, welchen
man "den berühmten ontologischen Beweis" desselben nennt." Darauf wäre
zu erwidern, daß sich die Philosophie zwar der logischen Methode zu be¬
dienen hat, daß sich aber ihr Inhalt nicht ans die Kategorien beschränkt,
sondern die ganze Welt, daher auch die Gottesidee umfaßt, und daß Hamerling
deu ontologischen Beweis so wenig verstanden hat, wie ihn Kant und Schopen¬
hauer verstanden haben. Er führt weiterhin aus, daß ein persönlicher Gott
mir in Menschengestalt vorgestellt werden könne, daß aber ein unvorstellbarer
Gott um nichts besser sei als ein unpersönlicher, der eben dein Bedürfnis des
menschlichen Gemütes nicht genüge. Das kurze "Gottesbegriff" überschriebene
Kapitel schließt mit den Worten: "Suchst du Gott? Du wirst ihn mir finden,
wenn das in dir, was ihn sucht, selbst Gott ist." All die Stelle der Religion
tritt bei Hamerling der "Allsinn." "Die Lösung des moralischen sowie des
Glücksproblems liegt für den Menschen darin, die strengste Abgeschlossenheit


Hamerling der Philosoph

diese Vorstellung mir die ganze Freude an der Welt verderben würde, das;
diese ganze irdische Existenz anfinge, mir unheimlich zu werden, und daß ich
verzweifeln mußte um Großen, Schönen und Erhabenen, das ich ursprünglich
in ihr fand. Ich würde nicht mehr in einem »Kosmos« und unter der Herr¬
schaft einer sittlichen Weltordnung zu existiren glauben, sondern in einer Welt
von burschikosen, gemein-komischem Charakter, umschwirrt von unsichtbaren
Nüpelseeleuschwärmen, deren Zahl ja, seit Menschen leben und sterben, schon
ins Unendliche sich vermehrt haben müßte."

Nun, das Jenseits der Nüpelseelen schenken mich wir den Abvttueuten
der Sphinx; aber Hamerling kennt überhaupt kein Jenseits. Er ist so ehrlich,
von Religion gar nicht zu sprechen, während es sonst bei atheistischen Philo¬
sophen unsrer Zeit allgemein üblich ist, ihre Schüler mit Attrapen zu be¬
trügen, auf die sie „Gott" und „Religion" schreiben. Die Kapitelüberschriften
des vierten und letzten Buches der „Atomistik" lauten: Jchsinn und Allsinn,
Zweckbegriff, Sittlichkeit, Schönheit, Optimismus und Pessimismus, das
Problem der Gesittung. Die Religion erwähnt er nur einmal als eine Sache,
die den Philosophen nichts angehe. Er sagt Seite 147: ,,Der philosophische
Begriff eines persönlichen Gottes gehört zu den merkwürdigsten pshchologischen
Erscheinungen in der geistigen Entwicklungsgeschichte der Menschheit. Be¬
trachtet mau die Rolle, welche dieser Begriff als solcher in der Philosophie
gespielt hat und noch heute spielt, so kann man nicht umhin, nach den Gründen
zu fragen, welche die philosophireude Wissenschaft uoch immer veranlasse»,
das geheimnisvolle höchste Objekt religiösen Glaubens auf das logische Gebiet
hiuüberzcrren zu wollen? Wer seinen Glauben mit Gründen verteidigt, kann
mit Gründen widerlegt werden. Die Philosophie sollte von jetzt an tausend
Jahre lang darauf verzichten, den Namen Gottes auch nur in den Mund zu
nehmen. Nichts ist mir von jeher unbegreiflicher gewesen, als der Ernst, mit
welchem von dem schlechten Spaß des Anselmus gesprochen wird, welchen
man »den berühmten ontologischen Beweis« desselben nennt." Darauf wäre
zu erwidern, daß sich die Philosophie zwar der logischen Methode zu be¬
dienen hat, daß sich aber ihr Inhalt nicht ans die Kategorien beschränkt,
sondern die ganze Welt, daher auch die Gottesidee umfaßt, und daß Hamerling
deu ontologischen Beweis so wenig verstanden hat, wie ihn Kant und Schopen¬
hauer verstanden haben. Er führt weiterhin aus, daß ein persönlicher Gott
mir in Menschengestalt vorgestellt werden könne, daß aber ein unvorstellbarer
Gott um nichts besser sei als ein unpersönlicher, der eben dein Bedürfnis des
menschlichen Gemütes nicht genüge. Das kurze „Gottesbegriff" überschriebene
Kapitel schließt mit den Worten: „Suchst du Gott? Du wirst ihn mir finden,
wenn das in dir, was ihn sucht, selbst Gott ist." All die Stelle der Religion
tritt bei Hamerling der „Allsinn." „Die Lösung des moralischen sowie des
Glücksproblems liegt für den Menschen darin, die strengste Abgeschlossenheit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/482>, abgerufen am 24.07.2024.