Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.Ludwig An^engruber der Charakteristik überbietend, geschrieben hat, so finden wir, daß sie alle einen Ludwig An^engruber der Charakteristik überbietend, geschrieben hat, so finden wir, daß sie alle einen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0048" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209915"/> <fw type="header" place="top"> Ludwig An^engruber</fw><lb/> <p xml:id="ID_117" prev="#ID_116"> der Charakteristik überbietend, geschrieben hat, so finden wir, daß sie alle einen<lb/> gemeinsamen Zug haben, in gleicher Richtung sich bewegen, in den verschiedensten<lb/> Tonarten demselben Lebensideal Ausdruck geben, gegen einen und denselben<lb/> Feind kämpfen. Dieses gemeinsame ist, wie Ludwig Laistner es spöttisch —<lb/> mit großem Unrecht spöttisch! — nannte, der „katechetische Zug" in ihnen.<lb/> Im „Pfarrer von Kirchfeld" wird das Ideal eines katholischen Priesters hin¬<lb/> gestellt, der eben, weil er ein idealer Priester ist, den herrschenden Machthabern<lb/> der Kirche mißfällt. Dem „Meineidbauer" liegt die gleiche Grundanschauung<lb/> von der wahren Religiosität als der thätigen Liebe zugrunde; nur gilt der<lb/> Angriff nicht der Kirche, sondern der äußern Werkheiligkeit des meineidiger<lb/> Bauern, der sich mit Gott auf Kosten seines eignen Sohnes abfinden will.<lb/> Im „Gewisfenswurm" gilt die heitere Satire wieder der Scheinheiligkeit eines<lb/> Erbschleichers, und das Lebensideal des Dichters findet seine Verkörperung in<lb/> der schönsten Frauengestalt Anzengrubers: in der Hvrlacherlies. Im „Doppel-<lb/> selbstmord," einem seiner anmutigsten schwanke, der gar keine Tendenz gegen<lb/> die Kirche hat, fehlt doch der religiöse Ton auch nicht; da ist es der Hauderer<lb/> mit seinem „Heilandsbewnßtsein," der die Kosten des Humors bestreiten hilft.<lb/> Um so mächtiger tritt die Satire in den aristophanischen „Kreuzelschreiberu"<lb/> hervor. Wenn mau etwa noch Anzengrubers ganz ursprüngliches Verständnis<lb/> des religiösen Gefühls bezweifeln wollte: in der berühmten Erzählung des<lb/> Steinklopferhanns, die das hinreißende Bekenntnis einer religiösen Offen¬<lb/> barung bildet und damit erst die ganze Seelenvergnügtheit und Überlegenheit<lb/> des Steinklvpfers über die protzigen Bauern erklärt, hat er gezeigt, wie tief er<lb/> in das Wesen der Religion hineingeblickt hat. Damit aber ist der Kreis von<lb/> Dichtungen, die sich mit der wahren oder unwahren Frömmigkeit und über¬<lb/> haupt mit dem Verhältnis des Menschen zu Gott beschäftigen, noch nicht er¬<lb/> schöpft. In den „Dorfgängen" ist ein Stück nach dem andern aus diesem Kreise<lb/> von Ideen heraufgeschrieben; sie erzählen uns: „wie der Huber ungläubig<lb/> ward," als er die wunderlich einander widersprechenden Inschriften auf den<lb/> Grabdenkmälern eines Friedhofes las; die rührende Geschichte der wahrhaft<lb/> frommen Katherin; des Holzhauers, der den Glauben an Gott verlor, als er<lb/> den in eine Felskluft gestürzten Sohn nicht retten konnte; oder sie führen<lb/> uns die tragischen Folgen des Cölibats im ,.Sündkind" und in „Einsam"<lb/> vor Augen; der Roman „Schandfleck" wird mit einer echt anzengruberischeu<lb/> Beichte eiues Dorfmüllers auf dem Sterbebette eröffnet; der alte Reindorfer<lb/> in diesem Roman ist eine fromme Gestalt nach des Dichters Geschmack u. s. w.<lb/> Man kann sagen, durch alle Werke, die Anzengrubers Ruhm begründet haben, ziehe<lb/> sich derselbe Zug der Polemik gegen das alte weltfeindliche Lebensideal der katho¬<lb/> lischen Kirche, das Bestreben, die Wirkung ihrer Lehren aus die Geister des Volkes<lb/> darzustellen und mittelbar oder unmittelbar, satirisch oder humorvoll-ideal das<lb/> eigne, vou jenem kirchlichen weit verschiedne Lebensideal des Dichters aufzurichten.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0048]
Ludwig An^engruber
der Charakteristik überbietend, geschrieben hat, so finden wir, daß sie alle einen
gemeinsamen Zug haben, in gleicher Richtung sich bewegen, in den verschiedensten
Tonarten demselben Lebensideal Ausdruck geben, gegen einen und denselben
Feind kämpfen. Dieses gemeinsame ist, wie Ludwig Laistner es spöttisch —
mit großem Unrecht spöttisch! — nannte, der „katechetische Zug" in ihnen.
Im „Pfarrer von Kirchfeld" wird das Ideal eines katholischen Priesters hin¬
gestellt, der eben, weil er ein idealer Priester ist, den herrschenden Machthabern
der Kirche mißfällt. Dem „Meineidbauer" liegt die gleiche Grundanschauung
von der wahren Religiosität als der thätigen Liebe zugrunde; nur gilt der
Angriff nicht der Kirche, sondern der äußern Werkheiligkeit des meineidiger
Bauern, der sich mit Gott auf Kosten seines eignen Sohnes abfinden will.
Im „Gewisfenswurm" gilt die heitere Satire wieder der Scheinheiligkeit eines
Erbschleichers, und das Lebensideal des Dichters findet seine Verkörperung in
der schönsten Frauengestalt Anzengrubers: in der Hvrlacherlies. Im „Doppel-
selbstmord," einem seiner anmutigsten schwanke, der gar keine Tendenz gegen
die Kirche hat, fehlt doch der religiöse Ton auch nicht; da ist es der Hauderer
mit seinem „Heilandsbewnßtsein," der die Kosten des Humors bestreiten hilft.
Um so mächtiger tritt die Satire in den aristophanischen „Kreuzelschreiberu"
hervor. Wenn mau etwa noch Anzengrubers ganz ursprüngliches Verständnis
des religiösen Gefühls bezweifeln wollte: in der berühmten Erzählung des
Steinklopferhanns, die das hinreißende Bekenntnis einer religiösen Offen¬
barung bildet und damit erst die ganze Seelenvergnügtheit und Überlegenheit
des Steinklvpfers über die protzigen Bauern erklärt, hat er gezeigt, wie tief er
in das Wesen der Religion hineingeblickt hat. Damit aber ist der Kreis von
Dichtungen, die sich mit der wahren oder unwahren Frömmigkeit und über¬
haupt mit dem Verhältnis des Menschen zu Gott beschäftigen, noch nicht er¬
schöpft. In den „Dorfgängen" ist ein Stück nach dem andern aus diesem Kreise
von Ideen heraufgeschrieben; sie erzählen uns: „wie der Huber ungläubig
ward," als er die wunderlich einander widersprechenden Inschriften auf den
Grabdenkmälern eines Friedhofes las; die rührende Geschichte der wahrhaft
frommen Katherin; des Holzhauers, der den Glauben an Gott verlor, als er
den in eine Felskluft gestürzten Sohn nicht retten konnte; oder sie führen
uns die tragischen Folgen des Cölibats im ,.Sündkind" und in „Einsam"
vor Augen; der Roman „Schandfleck" wird mit einer echt anzengruberischeu
Beichte eiues Dorfmüllers auf dem Sterbebette eröffnet; der alte Reindorfer
in diesem Roman ist eine fromme Gestalt nach des Dichters Geschmack u. s. w.
Man kann sagen, durch alle Werke, die Anzengrubers Ruhm begründet haben, ziehe
sich derselbe Zug der Polemik gegen das alte weltfeindliche Lebensideal der katho¬
lischen Kirche, das Bestreben, die Wirkung ihrer Lehren aus die Geister des Volkes
darzustellen und mittelbar oder unmittelbar, satirisch oder humorvoll-ideal das
eigne, vou jenem kirchlichen weit verschiedne Lebensideal des Dichters aufzurichten.
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