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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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was kann die Schule zur Lcharakierl'ildnng thun?

es ist, bei jeder Kleinigkeit zu strafen, so gewissenlos ist es auch, gar nicht
zu strafen. Wie soll der Schüler zu einem Gefühle der Pflicht kommen,
wenn er nicht die Verletzung der Pflicht büßen muß? Mit einer liebevollen
Vorhaltung ist es nicht immer gethan. Beim erstenmal mag sie genügen,
dann aber muß Strafe eintreten. Mau sei mäßig in den Forderungen, halte
aber sireng darauf, daß die Forderungen auch erfüllt werden. Hat ein Junge
seine Arbeit nicht gemacht, so muß er nachsitzen, und ist er ""gezogen gewesen, so ist
in den untern Klassen ein KlaPS gewöhnlich besser als andre Strafen, wird auch
gar nicht als etwas so Ungeheures empfunden, wie es am grünen Tische erscheint.
Selbstverständlich muß darin die nötige Vorsicht angewandt werden. Wir Alten
sind wahrscheinlich alle noch heute unsern Lehrern für jeden Schlag dankbar. Nur
durch weise Strenge kann die Jugend zum Bewußtsein der Pflicht gebracht werden.
Und wann wäre das Pflichtgefühl nötiger gewesen als heute? Die einen reißen an
den Banden des Staates, die andern führen ein gedankenloses Genußleben, wissen
nicht, Ums es gekostet hat, das Reich aufzurichten, wissen nichts von der Not der
Väter, wissen nichts von einer Verpflichtung, den Besitz zu behaupten und zu
vermehren, sondern nehmen das gegebene gleichgiltig hin und denken, es müsse
so sein. Diesen Bürschchen kann nnr durch Strenge das Pflichtgefühl beige¬
bracht werden. Das Pflichtgefühl hat Achtung vor dem. Bestehenden, Liebe
zum Bestehenden, Liebe zum Vaterlande zur Folge. Man täusche sich nicht;
patriotische Feste thun es nicht, und die vielen Gedenktage, die jetzt in der
Schule gefeiert werden, die zahlreichen Jugendschriften patriotischen Inhalts
übersättigen den Schüler, sodaß er von den großen Männern unsrer Tage
schließlich nichts mehr hören will. Dazu kommt noch, daß der Lehrer doch
völlig außer stände ist, bei diesen patriotischen Festlichkeiten immer etwas
neues zu sagen, daß er sich wiederholen muß und endlich nur mit halbem
Herzen spricht. Nein, in jeder Unterrichtsstunde muß man dem Schüler zeigen,
daß er Pflichten zu erfüllen hat, daß er um der andern willen da ist, nicht
umgekehrt; in der Geschichtsstunde lerne er die Vergangenheit des eignen Volkes
und die Geschichte der andern Völker keimen, man mache ihn mit seiner
Heimat, seiner Sprache, der Litteratur seines Volkes bekannt, dann wird er
von selbst sein Vaterland lieben, ohne daß ihm der Patriotismus eingepreßt
wird.

Ähnlich ist es mit der Religion. Weder dnrch Vermehrung der Religions-
stunden, noch durch Einführung täglicher Schnlandcichten werden wir ein
frömmeres Geschlecht erziehen. Man sehe sich doch den Religionsunterricht
an, wie er gewöhnlich und namentlich in den obern Klassen erteilt wird!
Es handelt sich da immer nur um die Einprägung von Kenntnissen, eine
Wirkung auf das Herz ist selten zu beobachten. Es ist das mich schwer zu
verlangen, da die Religion -- Prüfnngsgegenstand ist und über die Leistungen
eine Zensur erteilt wird! Ebenso wenig versprechen nnr uns von deu Schul-


GrenztwI.!" II 1.891 60
was kann die Schule zur Lcharakierl'ildnng thun?

es ist, bei jeder Kleinigkeit zu strafen, so gewissenlos ist es auch, gar nicht
zu strafen. Wie soll der Schüler zu einem Gefühle der Pflicht kommen,
wenn er nicht die Verletzung der Pflicht büßen muß? Mit einer liebevollen
Vorhaltung ist es nicht immer gethan. Beim erstenmal mag sie genügen,
dann aber muß Strafe eintreten. Mau sei mäßig in den Forderungen, halte
aber sireng darauf, daß die Forderungen auch erfüllt werden. Hat ein Junge
seine Arbeit nicht gemacht, so muß er nachsitzen, und ist er »»gezogen gewesen, so ist
in den untern Klassen ein KlaPS gewöhnlich besser als andre Strafen, wird auch
gar nicht als etwas so Ungeheures empfunden, wie es am grünen Tische erscheint.
Selbstverständlich muß darin die nötige Vorsicht angewandt werden. Wir Alten
sind wahrscheinlich alle noch heute unsern Lehrern für jeden Schlag dankbar. Nur
durch weise Strenge kann die Jugend zum Bewußtsein der Pflicht gebracht werden.
Und wann wäre das Pflichtgefühl nötiger gewesen als heute? Die einen reißen an
den Banden des Staates, die andern führen ein gedankenloses Genußleben, wissen
nicht, Ums es gekostet hat, das Reich aufzurichten, wissen nichts von der Not der
Väter, wissen nichts von einer Verpflichtung, den Besitz zu behaupten und zu
vermehren, sondern nehmen das gegebene gleichgiltig hin und denken, es müsse
so sein. Diesen Bürschchen kann nnr durch Strenge das Pflichtgefühl beige¬
bracht werden. Das Pflichtgefühl hat Achtung vor dem. Bestehenden, Liebe
zum Bestehenden, Liebe zum Vaterlande zur Folge. Man täusche sich nicht;
patriotische Feste thun es nicht, und die vielen Gedenktage, die jetzt in der
Schule gefeiert werden, die zahlreichen Jugendschriften patriotischen Inhalts
übersättigen den Schüler, sodaß er von den großen Männern unsrer Tage
schließlich nichts mehr hören will. Dazu kommt noch, daß der Lehrer doch
völlig außer stände ist, bei diesen patriotischen Festlichkeiten immer etwas
neues zu sagen, daß er sich wiederholen muß und endlich nur mit halbem
Herzen spricht. Nein, in jeder Unterrichtsstunde muß man dem Schüler zeigen,
daß er Pflichten zu erfüllen hat, daß er um der andern willen da ist, nicht
umgekehrt; in der Geschichtsstunde lerne er die Vergangenheit des eignen Volkes
und die Geschichte der andern Völker keimen, man mache ihn mit seiner
Heimat, seiner Sprache, der Litteratur seines Volkes bekannt, dann wird er
von selbst sein Vaterland lieben, ohne daß ihm der Patriotismus eingepreßt
wird.

Ähnlich ist es mit der Religion. Weder dnrch Vermehrung der Religions-
stunden, noch durch Einführung täglicher Schnlandcichten werden wir ein
frömmeres Geschlecht erziehen. Man sehe sich doch den Religionsunterricht
an, wie er gewöhnlich und namentlich in den obern Klassen erteilt wird!
Es handelt sich da immer nur um die Einprägung von Kenntnissen, eine
Wirkung auf das Herz ist selten zu beobachten. Es ist das mich schwer zu
verlangen, da die Religion — Prüfnngsgegenstand ist und über die Leistungen
eine Zensur erteilt wird! Ebenso wenig versprechen nnr uns von deu Schul-


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[0477] was kann die Schule zur Lcharakierl'ildnng thun? es ist, bei jeder Kleinigkeit zu strafen, so gewissenlos ist es auch, gar nicht zu strafen. Wie soll der Schüler zu einem Gefühle der Pflicht kommen, wenn er nicht die Verletzung der Pflicht büßen muß? Mit einer liebevollen Vorhaltung ist es nicht immer gethan. Beim erstenmal mag sie genügen, dann aber muß Strafe eintreten. Mau sei mäßig in den Forderungen, halte aber sireng darauf, daß die Forderungen auch erfüllt werden. Hat ein Junge seine Arbeit nicht gemacht, so muß er nachsitzen, und ist er »»gezogen gewesen, so ist in den untern Klassen ein KlaPS gewöhnlich besser als andre Strafen, wird auch gar nicht als etwas so Ungeheures empfunden, wie es am grünen Tische erscheint. Selbstverständlich muß darin die nötige Vorsicht angewandt werden. Wir Alten sind wahrscheinlich alle noch heute unsern Lehrern für jeden Schlag dankbar. Nur durch weise Strenge kann die Jugend zum Bewußtsein der Pflicht gebracht werden. Und wann wäre das Pflichtgefühl nötiger gewesen als heute? Die einen reißen an den Banden des Staates, die andern führen ein gedankenloses Genußleben, wissen nicht, Ums es gekostet hat, das Reich aufzurichten, wissen nichts von der Not der Väter, wissen nichts von einer Verpflichtung, den Besitz zu behaupten und zu vermehren, sondern nehmen das gegebene gleichgiltig hin und denken, es müsse so sein. Diesen Bürschchen kann nnr durch Strenge das Pflichtgefühl beige¬ bracht werden. Das Pflichtgefühl hat Achtung vor dem. Bestehenden, Liebe zum Bestehenden, Liebe zum Vaterlande zur Folge. Man täusche sich nicht; patriotische Feste thun es nicht, und die vielen Gedenktage, die jetzt in der Schule gefeiert werden, die zahlreichen Jugendschriften patriotischen Inhalts übersättigen den Schüler, sodaß er von den großen Männern unsrer Tage schließlich nichts mehr hören will. Dazu kommt noch, daß der Lehrer doch völlig außer stände ist, bei diesen patriotischen Festlichkeiten immer etwas neues zu sagen, daß er sich wiederholen muß und endlich nur mit halbem Herzen spricht. Nein, in jeder Unterrichtsstunde muß man dem Schüler zeigen, daß er Pflichten zu erfüllen hat, daß er um der andern willen da ist, nicht umgekehrt; in der Geschichtsstunde lerne er die Vergangenheit des eignen Volkes und die Geschichte der andern Völker keimen, man mache ihn mit seiner Heimat, seiner Sprache, der Litteratur seines Volkes bekannt, dann wird er von selbst sein Vaterland lieben, ohne daß ihm der Patriotismus eingepreßt wird. Ähnlich ist es mit der Religion. Weder dnrch Vermehrung der Religions- stunden, noch durch Einführung täglicher Schnlandcichten werden wir ein frömmeres Geschlecht erziehen. Man sehe sich doch den Religionsunterricht an, wie er gewöhnlich und namentlich in den obern Klassen erteilt wird! Es handelt sich da immer nur um die Einprägung von Kenntnissen, eine Wirkung auf das Herz ist selten zu beobachten. Es ist das mich schwer zu verlangen, da die Religion — Prüfnngsgegenstand ist und über die Leistungen eine Zensur erteilt wird! Ebenso wenig versprechen nnr uns von deu Schul- GrenztwI.!» II 1.891 60

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/477>, abgerufen am 24.07.2024.