Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ihres Römische Geschichte

Herrscher von Gallien mit einem gallischen Heers!) in Italien einfiele, um es
zu erobern"; "daß Cäsar sich mit überschwänglichen und anstößigen Ehre"
überschütten ließ, daß er sogar nach dem verhaßten und gefürchteten Königs¬
titel strebte, ist ein psychologisches Rätsel bei einem Manne, der sein Leben
lang immer mit kluger und kalter Berechnung gehandelt und nie sich durch
Gefühle und Eitelkeit hatte beherrschen lassen. Es erscheint als eine solche
Schwäche und Verleugnung seiner eigensten Natur, daß seine Verehrer trotz
aller Zeugnisse haben leugnen wollen, er habe wirklich nach der Königskrone
getrachtet. Aber dieses ist die reine Willkür. Die Beweise sind zu schlagend."
An andern Stellen warnt Jhre wiederholt, dem Stadtklatsch zu viel zu trauen ;
doch hier sind die Stimmen von Cäsars Feinden "schlagende Beweise," und
ohne auf Cäsars Freunde zu hören, beschuldigt Jhre den größten Römer
lieber eines Widerspruchs gegen "seine eigenste Natur" und sucht, kaum
glaublich, "das psychologische Rätsel" durch die Annahme einer geistigen
Krankheit bei Cäsar zu lösen: "mag mau es Verblendung, mag man es
Schwäche oder eine geistige Krankheit (!) nennen," "wenigstens war Cäsar in
seiner letzten Zeit körperlich geschwächt," fügt eine Anmerkung erläuternd hinzu
und bringt das Zeugnis Suetous bei, wonach Cäsar an plötzlichen Ohnmachts¬
zufällen und Schlaflosigkeit gelitten hätte!

Woran alle diese Charakterschilderungen leiden, geht wohl schon aus den
ausgeschriebnen Stellen hervor. Diese Gestalten haben gleichsam kein Rückgrat,
es fehlt ihnen um Kraft und Saft; sie stehn nicht über den Ereignissen, sondern
lassen sich von ihnen treiben. Die Kunst, einen großen Charakter mit wenigen
Zügen lebenswahr zu schildern, geht Jhre ab, und das verkleinernde Nörgeln
an den wenigen bedeutenden Männern und dem einen wirklich großen Mann,
den Rom besessen hat, wirkt ebenso unerfreulich, wie das nachhelfen und
Emporheben bei den vielen Mittelmäßigkeiten. Daß Ihres Urteil trotzdem in
vielen Fällen und besonders in Einzelheiten das rechte trifft, soll nicht ge¬
leugnet werden, aber es bleibt ein großer Mangel des Buches, daß die
leitenden Männer zu wenig als die alles bewegende und treibende Kraft
hervortreten, und daß man sich bei dieser Erzählung des Zusnmmenbruchs der
Republik und der Kämpfe um die Alleinherrschaft schließlich der Goethischen
Worte erinnert: "Jeder solcher Lumpenhunde wird vom zweiten abgethan."

Bezeichnend für Ihres Kunst in der Charakterschilderung ist es, daß er
eine besondre Vorliebe für Cicero hegt, also für deu Mann, der gerade als
Staatsmann am wenigsten Charakter zeigt; denn in dieser Beziehung vermag
ihn auch Jhue nicht zu retten, so viel er auch sonst zu einer gerechter"
Würdigung des Mannes beiträgt. Im Gegensatz zu denen, die nach Drummms
Vorgänge den großen Redner mit Spott förmlich überschüttet und ihn nicht
nur als Staatsmann der Eitelkeit, des Wankelmuth und der Unfähigkeit,
sondern sogar als Menschen der Feigheit beschuldigt haben, schreibt Jhre die


Ihres Römische Geschichte

Herrscher von Gallien mit einem gallischen Heers!) in Italien einfiele, um es
zu erobern"; „daß Cäsar sich mit überschwänglichen und anstößigen Ehre»
überschütten ließ, daß er sogar nach dem verhaßten und gefürchteten Königs¬
titel strebte, ist ein psychologisches Rätsel bei einem Manne, der sein Leben
lang immer mit kluger und kalter Berechnung gehandelt und nie sich durch
Gefühle und Eitelkeit hatte beherrschen lassen. Es erscheint als eine solche
Schwäche und Verleugnung seiner eigensten Natur, daß seine Verehrer trotz
aller Zeugnisse haben leugnen wollen, er habe wirklich nach der Königskrone
getrachtet. Aber dieses ist die reine Willkür. Die Beweise sind zu schlagend."
An andern Stellen warnt Jhre wiederholt, dem Stadtklatsch zu viel zu trauen ;
doch hier sind die Stimmen von Cäsars Feinden „schlagende Beweise," und
ohne auf Cäsars Freunde zu hören, beschuldigt Jhre den größten Römer
lieber eines Widerspruchs gegen „seine eigenste Natur" und sucht, kaum
glaublich, „das psychologische Rätsel" durch die Annahme einer geistigen
Krankheit bei Cäsar zu lösen: „mag mau es Verblendung, mag man es
Schwäche oder eine geistige Krankheit (!) nennen," „wenigstens war Cäsar in
seiner letzten Zeit körperlich geschwächt," fügt eine Anmerkung erläuternd hinzu
und bringt das Zeugnis Suetous bei, wonach Cäsar an plötzlichen Ohnmachts¬
zufällen und Schlaflosigkeit gelitten hätte!

Woran alle diese Charakterschilderungen leiden, geht wohl schon aus den
ausgeschriebnen Stellen hervor. Diese Gestalten haben gleichsam kein Rückgrat,
es fehlt ihnen um Kraft und Saft; sie stehn nicht über den Ereignissen, sondern
lassen sich von ihnen treiben. Die Kunst, einen großen Charakter mit wenigen
Zügen lebenswahr zu schildern, geht Jhre ab, und das verkleinernde Nörgeln
an den wenigen bedeutenden Männern und dem einen wirklich großen Mann,
den Rom besessen hat, wirkt ebenso unerfreulich, wie das nachhelfen und
Emporheben bei den vielen Mittelmäßigkeiten. Daß Ihres Urteil trotzdem in
vielen Fällen und besonders in Einzelheiten das rechte trifft, soll nicht ge¬
leugnet werden, aber es bleibt ein großer Mangel des Buches, daß die
leitenden Männer zu wenig als die alles bewegende und treibende Kraft
hervortreten, und daß man sich bei dieser Erzählung des Zusnmmenbruchs der
Republik und der Kämpfe um die Alleinherrschaft schließlich der Goethischen
Worte erinnert: „Jeder solcher Lumpenhunde wird vom zweiten abgethan."

Bezeichnend für Ihres Kunst in der Charakterschilderung ist es, daß er
eine besondre Vorliebe für Cicero hegt, also für deu Mann, der gerade als
Staatsmann am wenigsten Charakter zeigt; denn in dieser Beziehung vermag
ihn auch Jhue nicht zu retten, so viel er auch sonst zu einer gerechter»
Würdigung des Mannes beiträgt. Im Gegensatz zu denen, die nach Drummms
Vorgänge den großen Redner mit Spott förmlich überschüttet und ihn nicht
nur als Staatsmann der Eitelkeit, des Wankelmuth und der Unfähigkeit,
sondern sogar als Menschen der Feigheit beschuldigt haben, schreibt Jhre die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0471" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/210338"/>
          <fw type="header" place="top"> Ihres Römische Geschichte</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1311" prev="#ID_1310"> Herrscher von Gallien mit einem gallischen Heers!) in Italien einfiele, um es<lb/>
zu erobern"; &#x201E;daß Cäsar sich mit überschwänglichen und anstößigen Ehre»<lb/>
überschütten ließ, daß er sogar nach dem verhaßten und gefürchteten Königs¬<lb/>
titel strebte, ist ein psychologisches Rätsel bei einem Manne, der sein Leben<lb/>
lang immer mit kluger und kalter Berechnung gehandelt und nie sich durch<lb/>
Gefühle und Eitelkeit hatte beherrschen lassen. Es erscheint als eine solche<lb/>
Schwäche und Verleugnung seiner eigensten Natur, daß seine Verehrer trotz<lb/>
aller Zeugnisse haben leugnen wollen, er habe wirklich nach der Königskrone<lb/>
getrachtet. Aber dieses ist die reine Willkür. Die Beweise sind zu schlagend."<lb/>
An andern Stellen warnt Jhre wiederholt, dem Stadtklatsch zu viel zu trauen ;<lb/>
doch hier sind die Stimmen von Cäsars Feinden &#x201E;schlagende Beweise," und<lb/>
ohne auf Cäsars Freunde zu hören, beschuldigt Jhre den größten Römer<lb/>
lieber eines Widerspruchs gegen &#x201E;seine eigenste Natur" und sucht, kaum<lb/>
glaublich, &#x201E;das psychologische Rätsel" durch die Annahme einer geistigen<lb/>
Krankheit bei Cäsar zu lösen: &#x201E;mag mau es Verblendung, mag man es<lb/>
Schwäche oder eine geistige Krankheit (!) nennen," &#x201E;wenigstens war Cäsar in<lb/>
seiner letzten Zeit körperlich geschwächt," fügt eine Anmerkung erläuternd hinzu<lb/>
und bringt das Zeugnis Suetous bei, wonach Cäsar an plötzlichen Ohnmachts¬<lb/>
zufällen und Schlaflosigkeit gelitten hätte!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1312"> Woran alle diese Charakterschilderungen leiden, geht wohl schon aus den<lb/>
ausgeschriebnen Stellen hervor. Diese Gestalten haben gleichsam kein Rückgrat,<lb/>
es fehlt ihnen um Kraft und Saft; sie stehn nicht über den Ereignissen, sondern<lb/>
lassen sich von ihnen treiben. Die Kunst, einen großen Charakter mit wenigen<lb/>
Zügen lebenswahr zu schildern, geht Jhre ab, und das verkleinernde Nörgeln<lb/>
an den wenigen bedeutenden Männern und dem einen wirklich großen Mann,<lb/>
den Rom besessen hat, wirkt ebenso unerfreulich, wie das nachhelfen und<lb/>
Emporheben bei den vielen Mittelmäßigkeiten. Daß Ihres Urteil trotzdem in<lb/>
vielen Fällen und besonders in Einzelheiten das rechte trifft, soll nicht ge¬<lb/>
leugnet werden, aber es bleibt ein großer Mangel des Buches, daß die<lb/>
leitenden Männer zu wenig als die alles bewegende und treibende Kraft<lb/>
hervortreten, und daß man sich bei dieser Erzählung des Zusnmmenbruchs der<lb/>
Republik und der Kämpfe um die Alleinherrschaft schließlich der Goethischen<lb/>
Worte erinnert: &#x201E;Jeder solcher Lumpenhunde wird vom zweiten abgethan."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1313" next="#ID_1314"> Bezeichnend für Ihres Kunst in der Charakterschilderung ist es, daß er<lb/>
eine besondre Vorliebe für Cicero hegt, also für deu Mann, der gerade als<lb/>
Staatsmann am wenigsten Charakter zeigt; denn in dieser Beziehung vermag<lb/>
ihn auch Jhue nicht zu retten, so viel er auch sonst zu einer gerechter»<lb/>
Würdigung des Mannes beiträgt. Im Gegensatz zu denen, die nach Drummms<lb/>
Vorgänge den großen Redner mit Spott förmlich überschüttet und ihn nicht<lb/>
nur als Staatsmann der Eitelkeit, des Wankelmuth und der Unfähigkeit,<lb/>
sondern sogar als Menschen der Feigheit beschuldigt haben, schreibt Jhre die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0471] Ihres Römische Geschichte Herrscher von Gallien mit einem gallischen Heers!) in Italien einfiele, um es zu erobern"; „daß Cäsar sich mit überschwänglichen und anstößigen Ehre» überschütten ließ, daß er sogar nach dem verhaßten und gefürchteten Königs¬ titel strebte, ist ein psychologisches Rätsel bei einem Manne, der sein Leben lang immer mit kluger und kalter Berechnung gehandelt und nie sich durch Gefühle und Eitelkeit hatte beherrschen lassen. Es erscheint als eine solche Schwäche und Verleugnung seiner eigensten Natur, daß seine Verehrer trotz aller Zeugnisse haben leugnen wollen, er habe wirklich nach der Königskrone getrachtet. Aber dieses ist die reine Willkür. Die Beweise sind zu schlagend." An andern Stellen warnt Jhre wiederholt, dem Stadtklatsch zu viel zu trauen ; doch hier sind die Stimmen von Cäsars Feinden „schlagende Beweise," und ohne auf Cäsars Freunde zu hören, beschuldigt Jhre den größten Römer lieber eines Widerspruchs gegen „seine eigenste Natur" und sucht, kaum glaublich, „das psychologische Rätsel" durch die Annahme einer geistigen Krankheit bei Cäsar zu lösen: „mag mau es Verblendung, mag man es Schwäche oder eine geistige Krankheit (!) nennen," „wenigstens war Cäsar in seiner letzten Zeit körperlich geschwächt," fügt eine Anmerkung erläuternd hinzu und bringt das Zeugnis Suetous bei, wonach Cäsar an plötzlichen Ohnmachts¬ zufällen und Schlaflosigkeit gelitten hätte! Woran alle diese Charakterschilderungen leiden, geht wohl schon aus den ausgeschriebnen Stellen hervor. Diese Gestalten haben gleichsam kein Rückgrat, es fehlt ihnen um Kraft und Saft; sie stehn nicht über den Ereignissen, sondern lassen sich von ihnen treiben. Die Kunst, einen großen Charakter mit wenigen Zügen lebenswahr zu schildern, geht Jhre ab, und das verkleinernde Nörgeln an den wenigen bedeutenden Männern und dem einen wirklich großen Mann, den Rom besessen hat, wirkt ebenso unerfreulich, wie das nachhelfen und Emporheben bei den vielen Mittelmäßigkeiten. Daß Ihres Urteil trotzdem in vielen Fällen und besonders in Einzelheiten das rechte trifft, soll nicht ge¬ leugnet werden, aber es bleibt ein großer Mangel des Buches, daß die leitenden Männer zu wenig als die alles bewegende und treibende Kraft hervortreten, und daß man sich bei dieser Erzählung des Zusnmmenbruchs der Republik und der Kämpfe um die Alleinherrschaft schließlich der Goethischen Worte erinnert: „Jeder solcher Lumpenhunde wird vom zweiten abgethan." Bezeichnend für Ihres Kunst in der Charakterschilderung ist es, daß er eine besondre Vorliebe für Cicero hegt, also für deu Mann, der gerade als Staatsmann am wenigsten Charakter zeigt; denn in dieser Beziehung vermag ihn auch Jhue nicht zu retten, so viel er auch sonst zu einer gerechter» Würdigung des Mannes beiträgt. Im Gegensatz zu denen, die nach Drummms Vorgänge den großen Redner mit Spott förmlich überschüttet und ihn nicht nur als Staatsmann der Eitelkeit, des Wankelmuth und der Unfähigkeit, sondern sogar als Menschen der Feigheit beschuldigt haben, schreibt Jhre die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/471
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/471>, abgerufen am 24.07.2024.