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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Ludwig An^engnil'er

liebe in ihm. Ebenso ist es mit den Gestalten im "Meiueidbauer," im "Gwissens-
wurm," in den "Kreuzelschreibern" und so auch in allen Dorfgeschichten.

Das Verhältnis Anzengrubers zum Bauerntum ist also rein künstlerisch.
Er scheint befangen und gequält, wenn Städter vor seiner Phantasie stehen, er
erhält seinen Schwung, seine Erfindungsgabe, seinen humorvollen Übermut
wieder, sowie er Bauern vor sich sieht. Es scheint das eine Art von Be¬
schränkung zu sein, wie sie z. B. einem Tondichter eigen sein kann; auf dem
Klaviere ist er beredt, das Talent feurig, erfinderisch, witzig, auf der Violine
konventionell. So ähnlich darf man das Verhältnis Anzengrnbers als
schaffender Dichter zu Stadt und Land auffassen. Die Beschränkung, die ihm
dadurch auferlegt wird, ist jedoch nicht so groß, denn für den Standpunkt, den
Anzengruber dein Lande gegenüber einnimmt, ist auch die Bauernwelt dichterisch
und ergiebig genng. Im "Meineidbauer" fagt der Großknecht gelegentlich
einmal: "Wenn ich das Buch so in der Kirch vor mir hinleg, da seh ichs' ordent¬
lich vor mir liegn, die Örter, wo ich meine Tag zubracht hab. Da liegt
tief im Grund das kleine Ottenschlag und hoch oben das nette Wirtshaus zur
Grenz, klein wie ni Schwalbennest -- weiter im Land, nur zwei Stund' weiter
Alt-Nanuing, und da verwunder ich mich, daß man auf nur vier Stunden
im Umkreis im Land soviel daleb'n kann." Die engere Räumlichkeit des Dorfes
bildet kein Hindernis für den Dichter; für den, der sehen kann, bietet es der
merkwürdigen Vorfälle, Charaktere und Schicksale genug. Anzengrnbers Er¬
zählungen zeigen gern und häufig (z. B. in den "Oertlern"), daß in der Stadt
der Einzelne in der Masse untergeht, seine Persönlichkeit sich konventionell ab¬
schleift, er wird ein Soldat, ein Arbeiter, ein Beamter; er wird ein Exemplar
von einem Typus und verliert seine persönliche Eigenart. Auch die Bezieh¬
ungen der Menschen unter einander schwächen sich für das dichterische Auge
M der weitausgedehnter Stadt ab, sie verlieren ihre Wärme, ihren leidenschaft¬
lichen Charakter. Auf dem Dorfe dagegen verschwindet keiner, die Menschen
sehen sich fort und fort, Haß und Liebe wird dadurch gesteigert. Ans dein
Dorfe ist much das Gedächtnis der Menschen für einander dauerhafter, sodaß
sich alle Eigenschaften in guter und schlimmer Richtung steigern und jeder
Mensch einen scharf ausgeprägten Charakter erhält. Und um diese auffällige
Eigenart ist es dem nach Originalen suchenden Dichter gerade am meisten zu
thun, die Sonderlinge sind in Ernst und Scherz seine Lieblinge, die findet er
nirgends so reichlich wie bei den Bauern.

Doch sind diese rein künstlerischen Motive nicht der letzte Grund für die
Erklärung der Frage, warum Anzengrnber ein großer Dichter nur in der Dorf-
Poesie geworden ist. Entscheidend ist eine andre Eigenschaft seines dichterischen
Wesens geworden, die Beschaffenheit seines Pathos.

Sehen wir auf den Inhalt der Werke, die Anzengrnber in der knappen
Folge weniger Jahre, eines das andre an Schönheit der Form und Reichtum


Ludwig An^engnil'er

liebe in ihm. Ebenso ist es mit den Gestalten im „Meiueidbauer," im „Gwissens-
wurm," in den „Kreuzelschreibern" und so auch in allen Dorfgeschichten.

Das Verhältnis Anzengrubers zum Bauerntum ist also rein künstlerisch.
Er scheint befangen und gequält, wenn Städter vor seiner Phantasie stehen, er
erhält seinen Schwung, seine Erfindungsgabe, seinen humorvollen Übermut
wieder, sowie er Bauern vor sich sieht. Es scheint das eine Art von Be¬
schränkung zu sein, wie sie z. B. einem Tondichter eigen sein kann; auf dem
Klaviere ist er beredt, das Talent feurig, erfinderisch, witzig, auf der Violine
konventionell. So ähnlich darf man das Verhältnis Anzengrnbers als
schaffender Dichter zu Stadt und Land auffassen. Die Beschränkung, die ihm
dadurch auferlegt wird, ist jedoch nicht so groß, denn für den Standpunkt, den
Anzengruber dein Lande gegenüber einnimmt, ist auch die Bauernwelt dichterisch
und ergiebig genng. Im „Meineidbauer" fagt der Großknecht gelegentlich
einmal: „Wenn ich das Buch so in der Kirch vor mir hinleg, da seh ichs' ordent¬
lich vor mir liegn, die Örter, wo ich meine Tag zubracht hab. Da liegt
tief im Grund das kleine Ottenschlag und hoch oben das nette Wirtshaus zur
Grenz, klein wie ni Schwalbennest — weiter im Land, nur zwei Stund' weiter
Alt-Nanuing, und da verwunder ich mich, daß man auf nur vier Stunden
im Umkreis im Land soviel daleb'n kann." Die engere Räumlichkeit des Dorfes
bildet kein Hindernis für den Dichter; für den, der sehen kann, bietet es der
merkwürdigen Vorfälle, Charaktere und Schicksale genug. Anzengrnbers Er¬
zählungen zeigen gern und häufig (z. B. in den „Oertlern"), daß in der Stadt
der Einzelne in der Masse untergeht, seine Persönlichkeit sich konventionell ab¬
schleift, er wird ein Soldat, ein Arbeiter, ein Beamter; er wird ein Exemplar
von einem Typus und verliert seine persönliche Eigenart. Auch die Bezieh¬
ungen der Menschen unter einander schwächen sich für das dichterische Auge
M der weitausgedehnter Stadt ab, sie verlieren ihre Wärme, ihren leidenschaft¬
lichen Charakter. Auf dem Dorfe dagegen verschwindet keiner, die Menschen
sehen sich fort und fort, Haß und Liebe wird dadurch gesteigert. Ans dein
Dorfe ist much das Gedächtnis der Menschen für einander dauerhafter, sodaß
sich alle Eigenschaften in guter und schlimmer Richtung steigern und jeder
Mensch einen scharf ausgeprägten Charakter erhält. Und um diese auffällige
Eigenart ist es dem nach Originalen suchenden Dichter gerade am meisten zu
thun, die Sonderlinge sind in Ernst und Scherz seine Lieblinge, die findet er
nirgends so reichlich wie bei den Bauern.

Doch sind diese rein künstlerischen Motive nicht der letzte Grund für die
Erklärung der Frage, warum Anzengrnber ein großer Dichter nur in der Dorf-
Poesie geworden ist. Entscheidend ist eine andre Eigenschaft seines dichterischen
Wesens geworden, die Beschaffenheit seines Pathos.

Sehen wir auf den Inhalt der Werke, die Anzengrnber in der knappen
Folge weniger Jahre, eines das andre an Schönheit der Form und Reichtum


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[0047] Ludwig An^engnil'er liebe in ihm. Ebenso ist es mit den Gestalten im „Meiueidbauer," im „Gwissens- wurm," in den „Kreuzelschreibern" und so auch in allen Dorfgeschichten. Das Verhältnis Anzengrubers zum Bauerntum ist also rein künstlerisch. Er scheint befangen und gequält, wenn Städter vor seiner Phantasie stehen, er erhält seinen Schwung, seine Erfindungsgabe, seinen humorvollen Übermut wieder, sowie er Bauern vor sich sieht. Es scheint das eine Art von Be¬ schränkung zu sein, wie sie z. B. einem Tondichter eigen sein kann; auf dem Klaviere ist er beredt, das Talent feurig, erfinderisch, witzig, auf der Violine konventionell. So ähnlich darf man das Verhältnis Anzengrnbers als schaffender Dichter zu Stadt und Land auffassen. Die Beschränkung, die ihm dadurch auferlegt wird, ist jedoch nicht so groß, denn für den Standpunkt, den Anzengruber dein Lande gegenüber einnimmt, ist auch die Bauernwelt dichterisch und ergiebig genng. Im „Meineidbauer" fagt der Großknecht gelegentlich einmal: „Wenn ich das Buch so in der Kirch vor mir hinleg, da seh ichs' ordent¬ lich vor mir liegn, die Örter, wo ich meine Tag zubracht hab. Da liegt tief im Grund das kleine Ottenschlag und hoch oben das nette Wirtshaus zur Grenz, klein wie ni Schwalbennest — weiter im Land, nur zwei Stund' weiter Alt-Nanuing, und da verwunder ich mich, daß man auf nur vier Stunden im Umkreis im Land soviel daleb'n kann." Die engere Räumlichkeit des Dorfes bildet kein Hindernis für den Dichter; für den, der sehen kann, bietet es der merkwürdigen Vorfälle, Charaktere und Schicksale genug. Anzengrnbers Er¬ zählungen zeigen gern und häufig (z. B. in den „Oertlern"), daß in der Stadt der Einzelne in der Masse untergeht, seine Persönlichkeit sich konventionell ab¬ schleift, er wird ein Soldat, ein Arbeiter, ein Beamter; er wird ein Exemplar von einem Typus und verliert seine persönliche Eigenart. Auch die Bezieh¬ ungen der Menschen unter einander schwächen sich für das dichterische Auge M der weitausgedehnter Stadt ab, sie verlieren ihre Wärme, ihren leidenschaft¬ lichen Charakter. Auf dem Dorfe dagegen verschwindet keiner, die Menschen sehen sich fort und fort, Haß und Liebe wird dadurch gesteigert. Ans dein Dorfe ist much das Gedächtnis der Menschen für einander dauerhafter, sodaß sich alle Eigenschaften in guter und schlimmer Richtung steigern und jeder Mensch einen scharf ausgeprägten Charakter erhält. Und um diese auffällige Eigenart ist es dem nach Originalen suchenden Dichter gerade am meisten zu thun, die Sonderlinge sind in Ernst und Scherz seine Lieblinge, die findet er nirgends so reichlich wie bei den Bauern. Doch sind diese rein künstlerischen Motive nicht der letzte Grund für die Erklärung der Frage, warum Anzengrnber ein großer Dichter nur in der Dorf- Poesie geworden ist. Entscheidend ist eine andre Eigenschaft seines dichterischen Wesens geworden, die Beschaffenheit seines Pathos. Sehen wir auf den Inhalt der Werke, die Anzengrnber in der knappen Folge weniger Jahre, eines das andre an Schönheit der Form und Reichtum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/47>, abgerufen am 24.07.2024.