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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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klare Erzählung der geschichtlichen Vorgänge; weniger befriedigt die Darlegung
der innern Zustände, am bedenklichsten ist die Charakterschilderung der großen
Männer, die in den Kampf entscheidend eingreifen. Das fortwährende Hin¬
blicken auf Mommsen hat hier etwas Peinliches. Jhre scheint förmlich eine
Übereinstimmung mit seinem Vorgänger zu scheuen, und wo ihn die Über¬
lieferung dazu zwingt, sucht er wenigstens den Charakter seines Helden noch
unter Mommseus Schilderung hinabzudrücken oder darüber hinaus zu erheben.
Dabei können Widersprüche und Unklarheiten nicht ausbleiben. Die Begabung
des Pompejus ist schon von Mommsen überaus gering geschätzt worden, aber
Pompejus bleibt doch auch bei Mommsen wenigstens "ein guter Offizier."
Jhre meint zwar auch gelegentlich: "Pompejus war ein erfahrener Feldherr,
der es verstand, in großem Stil zu operiren," aber beim Rückblick auf das
Leben des Helden urteilt er: "Pompejus besaß kaum mehr kriegerische Be¬
gabung, als der durchschnittliche Römer; es war überall nur die althergebrachte
Routine, die er, allerdings mit Umsicht ^gleich dem durchschnittlichen Römers,
zur Anwendung brachte, zuletzt scheint ihm sogar der persönliche Mut und ^der^
Verstand geschwunden zu sein." Zwei Seiten später dagegen liest man wieder:
"Wie bitter mögen die verruchten Mörder des Pompejus ihre That bereut
haben, als sie kurz nachher im verzweifelten Kampfe Cäsar gegenüberstanden!
Und wer kann sagen, was der Ausgang dieses Kampfes gewesen Ware, wenn
sie damals einen Pompejus an ihrer Spitze gehabt hätten?" Ja, wenn
Pompejus als Feldherr wie als Staatsmann wirklich eine solche Null war,
wie Jhue meint, was Hütte er denn und noch dazu mit seinem geschwuudnen
Verstand den Ägyptern helfen können?

Eine rätselhafte und sehr verschieden beurteilte Gestalt ist Sulla. Mommsen
hat ihn "gerettet," so weit die Überlieferung das zuließ, Jhue sucht noch weiter
zu retten, und zwar gerade dort, wo unsre Quellen in der Verurteilung Sullas
übereinstimmen, in der Anschuldigung jeuer fast beispiellosen Grausamkeit,
womit Sulla seine Geguer aus dem Wege räumte. Jhre meint, "es hieße
einen ungerechten Maßstab anlegen an den größten Mann, den bis dahin Rom
erzeugt hatte, wollte mau ihn messen und beurteilen nach der Zahl der Opfer,
die der fürchterliche Kampf gefordert hatte. Moralisch wiegt ein einziges
Menschenleben, das der Rachsucht oder Bosheit geopfert wird, schwerer als
Tausende, die in einem Kampf erliegen für eine große Sache. Nur dann
könnte Sulla dem Abscheu der Menschheit verfallen, wenn er in wilder, plan¬
loser Mordsucht oder zur Befriedigung persönlicher Leidenschaften gehandelt
hätte." Eine wunderliche Moral, die den Verfasser zwingen wird, auch den
Schreckensmännern der großen Revolution "gerecht zu werden"! Und wenn
Jhre als Beweis dafür, "daß die Schreckeustage vergessen und vergeben
waren," das prunkvolle Leichenbegängnis Sullas und die Trauer der römischen
Matronen auführt, so braucht mau dem nur die überschwänglichen Ehren-


Grenzbolm II 1891 59

klare Erzählung der geschichtlichen Vorgänge; weniger befriedigt die Darlegung
der innern Zustände, am bedenklichsten ist die Charakterschilderung der großen
Männer, die in den Kampf entscheidend eingreifen. Das fortwährende Hin¬
blicken auf Mommsen hat hier etwas Peinliches. Jhre scheint förmlich eine
Übereinstimmung mit seinem Vorgänger zu scheuen, und wo ihn die Über¬
lieferung dazu zwingt, sucht er wenigstens den Charakter seines Helden noch
unter Mommseus Schilderung hinabzudrücken oder darüber hinaus zu erheben.
Dabei können Widersprüche und Unklarheiten nicht ausbleiben. Die Begabung
des Pompejus ist schon von Mommsen überaus gering geschätzt worden, aber
Pompejus bleibt doch auch bei Mommsen wenigstens „ein guter Offizier."
Jhre meint zwar auch gelegentlich: „Pompejus war ein erfahrener Feldherr,
der es verstand, in großem Stil zu operiren," aber beim Rückblick auf das
Leben des Helden urteilt er: „Pompejus besaß kaum mehr kriegerische Be¬
gabung, als der durchschnittliche Römer; es war überall nur die althergebrachte
Routine, die er, allerdings mit Umsicht ^gleich dem durchschnittlichen Römers,
zur Anwendung brachte, zuletzt scheint ihm sogar der persönliche Mut und ^der^
Verstand geschwunden zu sein." Zwei Seiten später dagegen liest man wieder:
„Wie bitter mögen die verruchten Mörder des Pompejus ihre That bereut
haben, als sie kurz nachher im verzweifelten Kampfe Cäsar gegenüberstanden!
Und wer kann sagen, was der Ausgang dieses Kampfes gewesen Ware, wenn
sie damals einen Pompejus an ihrer Spitze gehabt hätten?" Ja, wenn
Pompejus als Feldherr wie als Staatsmann wirklich eine solche Null war,
wie Jhue meint, was Hütte er denn und noch dazu mit seinem geschwuudnen
Verstand den Ägyptern helfen können?

Eine rätselhafte und sehr verschieden beurteilte Gestalt ist Sulla. Mommsen
hat ihn „gerettet," so weit die Überlieferung das zuließ, Jhue sucht noch weiter
zu retten, und zwar gerade dort, wo unsre Quellen in der Verurteilung Sullas
übereinstimmen, in der Anschuldigung jeuer fast beispiellosen Grausamkeit,
womit Sulla seine Geguer aus dem Wege räumte. Jhre meint, „es hieße
einen ungerechten Maßstab anlegen an den größten Mann, den bis dahin Rom
erzeugt hatte, wollte mau ihn messen und beurteilen nach der Zahl der Opfer,
die der fürchterliche Kampf gefordert hatte. Moralisch wiegt ein einziges
Menschenleben, das der Rachsucht oder Bosheit geopfert wird, schwerer als
Tausende, die in einem Kampf erliegen für eine große Sache. Nur dann
könnte Sulla dem Abscheu der Menschheit verfallen, wenn er in wilder, plan¬
loser Mordsucht oder zur Befriedigung persönlicher Leidenschaften gehandelt
hätte." Eine wunderliche Moral, die den Verfasser zwingen wird, auch den
Schreckensmännern der großen Revolution „gerecht zu werden"! Und wenn
Jhre als Beweis dafür, „daß die Schreckeustage vergessen und vergeben
waren," das prunkvolle Leichenbegängnis Sullas und die Trauer der römischen
Matronen auführt, so braucht mau dem nur die überschwänglichen Ehren-


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[0469] klare Erzählung der geschichtlichen Vorgänge; weniger befriedigt die Darlegung der innern Zustände, am bedenklichsten ist die Charakterschilderung der großen Männer, die in den Kampf entscheidend eingreifen. Das fortwährende Hin¬ blicken auf Mommsen hat hier etwas Peinliches. Jhre scheint förmlich eine Übereinstimmung mit seinem Vorgänger zu scheuen, und wo ihn die Über¬ lieferung dazu zwingt, sucht er wenigstens den Charakter seines Helden noch unter Mommseus Schilderung hinabzudrücken oder darüber hinaus zu erheben. Dabei können Widersprüche und Unklarheiten nicht ausbleiben. Die Begabung des Pompejus ist schon von Mommsen überaus gering geschätzt worden, aber Pompejus bleibt doch auch bei Mommsen wenigstens „ein guter Offizier." Jhre meint zwar auch gelegentlich: „Pompejus war ein erfahrener Feldherr, der es verstand, in großem Stil zu operiren," aber beim Rückblick auf das Leben des Helden urteilt er: „Pompejus besaß kaum mehr kriegerische Be¬ gabung, als der durchschnittliche Römer; es war überall nur die althergebrachte Routine, die er, allerdings mit Umsicht ^gleich dem durchschnittlichen Römers, zur Anwendung brachte, zuletzt scheint ihm sogar der persönliche Mut und ^der^ Verstand geschwunden zu sein." Zwei Seiten später dagegen liest man wieder: „Wie bitter mögen die verruchten Mörder des Pompejus ihre That bereut haben, als sie kurz nachher im verzweifelten Kampfe Cäsar gegenüberstanden! Und wer kann sagen, was der Ausgang dieses Kampfes gewesen Ware, wenn sie damals einen Pompejus an ihrer Spitze gehabt hätten?" Ja, wenn Pompejus als Feldherr wie als Staatsmann wirklich eine solche Null war, wie Jhue meint, was Hütte er denn und noch dazu mit seinem geschwuudnen Verstand den Ägyptern helfen können? Eine rätselhafte und sehr verschieden beurteilte Gestalt ist Sulla. Mommsen hat ihn „gerettet," so weit die Überlieferung das zuließ, Jhue sucht noch weiter zu retten, und zwar gerade dort, wo unsre Quellen in der Verurteilung Sullas übereinstimmen, in der Anschuldigung jeuer fast beispiellosen Grausamkeit, womit Sulla seine Geguer aus dem Wege räumte. Jhre meint, „es hieße einen ungerechten Maßstab anlegen an den größten Mann, den bis dahin Rom erzeugt hatte, wollte mau ihn messen und beurteilen nach der Zahl der Opfer, die der fürchterliche Kampf gefordert hatte. Moralisch wiegt ein einziges Menschenleben, das der Rachsucht oder Bosheit geopfert wird, schwerer als Tausende, die in einem Kampf erliegen für eine große Sache. Nur dann könnte Sulla dem Abscheu der Menschheit verfallen, wenn er in wilder, plan¬ loser Mordsucht oder zur Befriedigung persönlicher Leidenschaften gehandelt hätte." Eine wunderliche Moral, die den Verfasser zwingen wird, auch den Schreckensmännern der großen Revolution „gerecht zu werden"! Und wenn Jhre als Beweis dafür, „daß die Schreckeustage vergessen und vergeben waren," das prunkvolle Leichenbegängnis Sullas und die Trauer der römischen Matronen auführt, so braucht mau dem nur die überschwänglichen Ehren- Grenzbolm II 1891 59

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/469>, abgerufen am 24.07.2024.