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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Ihres Römische Geschichte

im Gegenteil, je mehr diese alten Erzählungen aus der Schule verdrängt
werden, um so lieber begegnen mir ihnen in eiuer Darstellung, die fürs Volk
geschrieben ist; denu es ist gewiß uicht ohne Wert, zu missen, Mas die Römer
über ihre eigue Vergangenheit gefabelt und geglaubt haben, und die Veanlaguug
eines Volkes verrät sich auch in den Zügen, mit denen es seine Sagen aus¬
stattet. Aber mit der breiten Ausführlichkeit, Momie Jhue seiner Erzählung
Abschnitt für Abschnitt eine "Kritik" der Sage folgen läßt, kann man nicht
einverstanden sein. Die Teilnahme des Lesers "ins; nachlassen, Menn er als
Ergebnis langer Erörterungen immer nur dasselbe erfährt, das; nämlich diese
alten Sagen eben wirklich Sagen sind. Jhre giebt in diesen Abschnitten zu
viel oder zu wenig, zu wenig für den Forscher, zu viel für den Laien. Er
ist hier zum Nachteil für das Buch deu Ausführungen Schweglers gefolgt;
während dieser aber im ersten Bande seiner Römischen Geschichte die Über¬
lieferung nach allen Richtungen hin durchforscht und in ihre einzelnen
Bestandteile zerlegt, versucht Jhue nur die Ergebnisse dieser Untersuchungen
zusammenzufassen und setzt sich dadurch dem Vorwurf aus, den er selbst gegen
Mommsen erhebt. "Dem Laien -- meint schon Clason in der Fortsetzung des
Schweglerschen Werkes ^ wird es unmöglich sein, unabhängig vom Autor sich
über die jedesmal in Frage stehende Sache ein Bild zu machen. Und
wiederum vermißt der Fachgeuosse vielfach die genauere Ausführung eines
Beweises." Man kann diesem Urteile nur beipflichten.

Der erste Band Ihres ist überhaupt der schwächste. Es fehlt hier alles,
was deu Leser anziehn und fesseln könnte. Ihres Blick reicht nicht sehr weit,
und seiner Anffassungs- und Gestaltlingsweise mangelt die bildende und be¬
lebende Kraft, die uns bei Mommsen selbst da fesselt, wo wir seine Ansichten
uicht teilen können. Mommsen beherrscht die Überlieferung; Jhre läßt sich
von ihr beherrschen und verliert sich, wo sie versagt, in Einzeluntersuchungen,
über denen der Zusammenhang des Ganzen verloren geht. Schon äußerlich
macht sich das fühlbar. Während Mommsen die Schilderung des Zeitraumes
vom Sturz der Königsherrschaft bis zum tarentinischen Krieg in neun Kapitel
zusammendrängt, braucht Jhre dazu sechsunddreißig Kapitel, und obwohl dieses
Buch fast zweihundert Seiten stärker ist als bei Mommsen, so bleibt doch, da
für die ältesten Zeiten der römischen Geschichte nnr spärliche und trübe Quellen
fließen, der Inhalt dürr und die Darstellung trocken. Erst um die Wende
des vierten und des dritten vorchristlichen Jahrhunderts werden unsre Quellen
stärker und reiner, und damit erhält anch Ihres Darstellung mehr Leben.
Schon die Abschnitte, die den tarentinischen Krieg und die Kämpfe gegen die
Karthager schildern, bieten ein klares Bild der großen Ereignisse, und die
Erzählung der innern Kampfe von den gracchischen Bestrebungen an bis zur
Rückkehr Octnvians aus Ägypten gehört zu dem besten, Mas Mir über diesen
Zeitraum besitzen. Einen besondern Vorzug von Ihres Darstellung bildet die


Ihres Römische Geschichte

im Gegenteil, je mehr diese alten Erzählungen aus der Schule verdrängt
werden, um so lieber begegnen mir ihnen in eiuer Darstellung, die fürs Volk
geschrieben ist; denu es ist gewiß uicht ohne Wert, zu missen, Mas die Römer
über ihre eigue Vergangenheit gefabelt und geglaubt haben, und die Veanlaguug
eines Volkes verrät sich auch in den Zügen, mit denen es seine Sagen aus¬
stattet. Aber mit der breiten Ausführlichkeit, Momie Jhue seiner Erzählung
Abschnitt für Abschnitt eine „Kritik" der Sage folgen läßt, kann man nicht
einverstanden sein. Die Teilnahme des Lesers »ins; nachlassen, Menn er als
Ergebnis langer Erörterungen immer nur dasselbe erfährt, das; nämlich diese
alten Sagen eben wirklich Sagen sind. Jhre giebt in diesen Abschnitten zu
viel oder zu wenig, zu wenig für den Forscher, zu viel für den Laien. Er
ist hier zum Nachteil für das Buch deu Ausführungen Schweglers gefolgt;
während dieser aber im ersten Bande seiner Römischen Geschichte die Über¬
lieferung nach allen Richtungen hin durchforscht und in ihre einzelnen
Bestandteile zerlegt, versucht Jhue nur die Ergebnisse dieser Untersuchungen
zusammenzufassen und setzt sich dadurch dem Vorwurf aus, den er selbst gegen
Mommsen erhebt. „Dem Laien — meint schon Clason in der Fortsetzung des
Schweglerschen Werkes ^ wird es unmöglich sein, unabhängig vom Autor sich
über die jedesmal in Frage stehende Sache ein Bild zu machen. Und
wiederum vermißt der Fachgeuosse vielfach die genauere Ausführung eines
Beweises." Man kann diesem Urteile nur beipflichten.

Der erste Band Ihres ist überhaupt der schwächste. Es fehlt hier alles,
was deu Leser anziehn und fesseln könnte. Ihres Blick reicht nicht sehr weit,
und seiner Anffassungs- und Gestaltlingsweise mangelt die bildende und be¬
lebende Kraft, die uns bei Mommsen selbst da fesselt, wo wir seine Ansichten
uicht teilen können. Mommsen beherrscht die Überlieferung; Jhre läßt sich
von ihr beherrschen und verliert sich, wo sie versagt, in Einzeluntersuchungen,
über denen der Zusammenhang des Ganzen verloren geht. Schon äußerlich
macht sich das fühlbar. Während Mommsen die Schilderung des Zeitraumes
vom Sturz der Königsherrschaft bis zum tarentinischen Krieg in neun Kapitel
zusammendrängt, braucht Jhre dazu sechsunddreißig Kapitel, und obwohl dieses
Buch fast zweihundert Seiten stärker ist als bei Mommsen, so bleibt doch, da
für die ältesten Zeiten der römischen Geschichte nnr spärliche und trübe Quellen
fließen, der Inhalt dürr und die Darstellung trocken. Erst um die Wende
des vierten und des dritten vorchristlichen Jahrhunderts werden unsre Quellen
stärker und reiner, und damit erhält anch Ihres Darstellung mehr Leben.
Schon die Abschnitte, die den tarentinischen Krieg und die Kämpfe gegen die
Karthager schildern, bieten ein klares Bild der großen Ereignisse, und die
Erzählung der innern Kampfe von den gracchischen Bestrebungen an bis zur
Rückkehr Octnvians aus Ägypten gehört zu dem besten, Mas Mir über diesen
Zeitraum besitzen. Einen besondern Vorzug von Ihres Darstellung bildet die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/468>, abgerufen am 24.07.2024.