Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.Ludwig Anzengruber Auf Grundlage der Gesamtausgabe und dieser Lebensbeschreibung wollen Überblickt man den reichen Inhalt der zehn Bände von Anzengrubers Anzengrubers Stellung zum Bauerntum ist gleich von Anfang, vom Ludwig Anzengruber Auf Grundlage der Gesamtausgabe und dieser Lebensbeschreibung wollen Überblickt man den reichen Inhalt der zehn Bände von Anzengrubers Anzengrubers Stellung zum Bauerntum ist gleich von Anfang, vom <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0046" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209913"/> <fw type="header" place="top"> Ludwig Anzengruber</fw><lb/> <p xml:id="ID_110"> Auf Grundlage der Gesamtausgabe und dieser Lebensbeschreibung wollen<lb/> wir nun ein Charakterbild Anzengrubers entwerfen, das sich in mehreren<lb/> Grundziigen von der Zeichnung des Biographen unterscheiden wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_111"> Überblickt man den reichen Inhalt der zehn Bände von Anzengrubers<lb/> gesammelten Werken, so bemerkt man, daß er je nach dem Stoffkreis, in dem<lb/> sich die Phantasie des Dichters bewegt, aus zwei nicht bloß der Masse, son¬<lb/> dern auch der innern Beschaffenheit nach sehr verschiednen Gruppen besteht.<lb/> Die eine umfaßt die Dorfpoesie in dramatischer und erzählender Form, die<lb/> andre, wesentlich kleinere Gruppe umfaßt die Wiener Sittenbilder: „Das<lb/> vierte Gebot," „Heimgfuuden," „Alte Wiener," zu denen wir auch die städ-<lb/> schen Erzählungen rechnen können, die Phantasien und die Skizzen. Merk¬<lb/> würdig: Anzengruber, der geborene Städter, dem es kein Bedürfnis war, auch<lb/> uur deu Sommer auf dem Lande zu verbringen, den der großstädtische Straßen¬<lb/> lärm in keiner Weise an der Arbeit hinderte, der auch für die modischen Burg¬<lb/> und Landpartien keine Leidenschaft hatte, das Reisen überhaupt nicht liebte,<lb/> er begründete seinen Ruhm als Dichter mit Bauernkomödien und Dorfgeschichte».<lb/> Das ist das erste, was sich jedem, der sich mit ihm beschäftigt, wie ein Rätsel<lb/> aufdrängt. Allerdings war Auzengruber als bestellter Theaterdichter einer<lb/> Wiener Bühne, als Wiener Kind und Freund des Wiener Lokalstückes von<lb/> Beginn seiner dramatischen Laufbahn an bestrebt, nicht bloß Bauern, sondern<lb/> auch Städter, wenn nicht Patrizier, so doch kleine Bürger, Vorstädter auf die<lb/> Bühne zu bringen. Aber dieser Stoff erwies sich ihm so spröde, daß er selbst<lb/> von den vielen Versuchen, die er in dieser Richtung gemacht hatte, nur eine<lb/> sehr kleine Auswahl zur Aufnahme in seine Gesamtausgabe bestimmte, während<lb/> von den Bauernkomödien keine einzige ausgeschlossen worden ist und, trotz des<lb/> vielbewunderten „Vierten Gebots," Anzengrubers Poesie doch am hellsten in den<lb/> Bauernstücken leuchtet. Von dieser Thatsache müssen wir ausgehen; gelingt es<lb/> uns, sie von innen heraus zu begreifen, so haben wir den ganzen Maun verstanden.</p><lb/> <p xml:id="ID_112" next="#ID_113"> Anzengrubers Stellung zum Bauerntum ist gleich von Anfang, vom<lb/> „Pfarrer von Kirchfeld" an rein künstlerisch, d. h. er fühlt und sieht diese<lb/> Menschen nicht im Kontraste zu den Städtern, er hat nicht die Absicht,<lb/> Sittenbilder des Landvolkes zu geben, er flicht nicht sentimental vor der Über-<lb/> feinernng der Zivilisation an den Busen der Natur, sondern er giebt uns<lb/> Charakterbilder, dramatisch wirksame Gegensätze, Leidenschaften, wahrhaft und<lb/> natürlich dergestellt, die uns als solche fesseln; das bäuerische Gewand ist bei<lb/> ihm kein Kostüm, es gehört zur Wahrheit seiner Menschen und ihrer Konflikte.<lb/> Man kann sich einen Wurzelsepp, der der Kirche zürnt, .'weil sie ihm die Ehe<lb/> mit einem lutherischen Mädchen nicht gestattet hat, und den die Milde des<lb/> Pfarrers Hell mit der Kirche versöhnt, gar nicht anders als auf dem Lande<lb/> denken; aber was uus ein ihm fesselt, ist nicht sein Gewand, sondern sein selt¬<lb/> sames Schicksal, sein Herz: nicht das Bäurische, sondern das allgemein Mensch-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0046]
Ludwig Anzengruber
Auf Grundlage der Gesamtausgabe und dieser Lebensbeschreibung wollen
wir nun ein Charakterbild Anzengrubers entwerfen, das sich in mehreren
Grundziigen von der Zeichnung des Biographen unterscheiden wird.
Überblickt man den reichen Inhalt der zehn Bände von Anzengrubers
gesammelten Werken, so bemerkt man, daß er je nach dem Stoffkreis, in dem
sich die Phantasie des Dichters bewegt, aus zwei nicht bloß der Masse, son¬
dern auch der innern Beschaffenheit nach sehr verschiednen Gruppen besteht.
Die eine umfaßt die Dorfpoesie in dramatischer und erzählender Form, die
andre, wesentlich kleinere Gruppe umfaßt die Wiener Sittenbilder: „Das
vierte Gebot," „Heimgfuuden," „Alte Wiener," zu denen wir auch die städ-
schen Erzählungen rechnen können, die Phantasien und die Skizzen. Merk¬
würdig: Anzengruber, der geborene Städter, dem es kein Bedürfnis war, auch
uur deu Sommer auf dem Lande zu verbringen, den der großstädtische Straßen¬
lärm in keiner Weise an der Arbeit hinderte, der auch für die modischen Burg¬
und Landpartien keine Leidenschaft hatte, das Reisen überhaupt nicht liebte,
er begründete seinen Ruhm als Dichter mit Bauernkomödien und Dorfgeschichte».
Das ist das erste, was sich jedem, der sich mit ihm beschäftigt, wie ein Rätsel
aufdrängt. Allerdings war Auzengruber als bestellter Theaterdichter einer
Wiener Bühne, als Wiener Kind und Freund des Wiener Lokalstückes von
Beginn seiner dramatischen Laufbahn an bestrebt, nicht bloß Bauern, sondern
auch Städter, wenn nicht Patrizier, so doch kleine Bürger, Vorstädter auf die
Bühne zu bringen. Aber dieser Stoff erwies sich ihm so spröde, daß er selbst
von den vielen Versuchen, die er in dieser Richtung gemacht hatte, nur eine
sehr kleine Auswahl zur Aufnahme in seine Gesamtausgabe bestimmte, während
von den Bauernkomödien keine einzige ausgeschlossen worden ist und, trotz des
vielbewunderten „Vierten Gebots," Anzengrubers Poesie doch am hellsten in den
Bauernstücken leuchtet. Von dieser Thatsache müssen wir ausgehen; gelingt es
uns, sie von innen heraus zu begreifen, so haben wir den ganzen Maun verstanden.
Anzengrubers Stellung zum Bauerntum ist gleich von Anfang, vom
„Pfarrer von Kirchfeld" an rein künstlerisch, d. h. er fühlt und sieht diese
Menschen nicht im Kontraste zu den Städtern, er hat nicht die Absicht,
Sittenbilder des Landvolkes zu geben, er flicht nicht sentimental vor der Über-
feinernng der Zivilisation an den Busen der Natur, sondern er giebt uns
Charakterbilder, dramatisch wirksame Gegensätze, Leidenschaften, wahrhaft und
natürlich dergestellt, die uns als solche fesseln; das bäuerische Gewand ist bei
ihm kein Kostüm, es gehört zur Wahrheit seiner Menschen und ihrer Konflikte.
Man kann sich einen Wurzelsepp, der der Kirche zürnt, .'weil sie ihm die Ehe
mit einem lutherischen Mädchen nicht gestattet hat, und den die Milde des
Pfarrers Hell mit der Kirche versöhnt, gar nicht anders als auf dem Lande
denken; aber was uus ein ihm fesselt, ist nicht sein Gewand, sondern sein selt¬
sames Schicksal, sein Herz: nicht das Bäurische, sondern das allgemein Mensch-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |