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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Die Lage Deutschlands in Afrika

die englische Negierung bemüht gewesen ist, die Steine des Anstoßes weg¬
zuräumen, die der rücksichtslose Freibeuterinstinkt der Nation durch ihre Land¬
jäger uns in unsre afrikanischen Pfade legte. Der Alltagsärger, den uns jede
afrikanische Post brachte, gehört uach dieser Seite hin glücklich zu den hoffentlich
ein für allemal hinter uns liegenden Dingen.

Wie sieht es nun zur Stunde in unsern Kolvnialgebieten aus, in Ost¬
afrika, in Kamerun und in Südwestafrika? Was ist erreicht, und welches sind
die Aufgaben, die wir in nächster Zeit anzugreifen und zu lösen haben?
Worauf wird der Kolonialrat seine Aufmerksamkeit zu richten haben?

Als nach Abschluß des deutsch-englischen Abkommens unsre Presse, und
zwar gerade die koloniefreundliche, Stellung zu nehmen hatte, war ein wesent¬
licher Grund ihres Mißtrauens die geringe Zuversicht, die man zu der Umsicht
und Erfahrung der neuen Mäuner hegte, die berufen waren, fortan die Inter¬
essen des Reiches im schwarzen Erdteil zu vertreten. Vom Reichskanzler
von Caprivi war bekannt, daß er bei früherer Gelegenheit sehr kühl über die
Zukunft der Kolonien gesprochen hatte. Der Staatssekretär konnte nicht
anders als fremd einer Frage gegenüberstehen, die bisher ganz außerhalb des
Bereiches seiner Thätigkeit gelegen hatte und natürlich zurückstehen mußte im
Vergleich zu dem fast unermeßlichen Arbeitsfelde, in das er sich plötzlich hinein¬
versetzt sah. Der neue Chef des Kvlonialamtes endlich war zwar als hervor¬
ragender Jurist bekannt, über Kolvniefrngen aber hatte er, so viel man wußte,
nur sehr beiläufig gearbeitet. Mau kannte von ihm eine schwungvoll ge¬
schriebene Einleitung zu dein bekannten Buche von Schuck über die Kolonial-
politik des Großen Kurfürsten, und wer diese Einleitung gelesen hatte, mochte
wohl bemerkt haben, daß Dr. Kayser einen feinen Sinn für das Wesentliche
in verwickelten Fragen hatte -- wer aber hätte daraus schließen können, daß
er thatsächlich imstande sein würde, auch unter dem Druck so ungünstiger Ver¬
hältnisse, wie mau sie zu scheu glaubte, die Führung in den afrikanischen
Dingen zu ergreifen und zu behaupten? Mit den pekuniären Verhältnissen
der deutsch-ostafrikanischen Gesellschaft stand es kläglich, und die wenig geklärte
Stellung zwischen Gesellschaft und Neichsregierung bot ewigen Anlaß zu
Weiterungen und Mißverständnissen, die lähmend wirkten. Endlich hatte die
Nation ihre Lieblinge für die Arbeit in Afrika bereits gefunden: die Wißmann,
Peters, Emin, Graveureuth und wie sie alle heißen, die mit Land und Leuten
vertraut waren, die wollte man nicht missen, ihnen wollte man, wenn irgend
möglich, die Führung in die Hand spielen. Und nun ging bald von dem
einen, bald vom andern das Gerücht, daß er "afrikamüde" geworden sei.
Es hieß, sie würden wohl überhnnpt nicht nach Afrika zurückgehen, oder:
man würde genötigt sein, sie abzuberufen. Dann kam die Klage, daß
Ostafrika ohne Sansibar wirtschaftlich nicht zu behaupte,: sei, mit dem Hafen
von Dar-es-Salaam sei es nichts, und so fort in stets neuen Besorgnissen


Die Lage Deutschlands in Afrika

die englische Negierung bemüht gewesen ist, die Steine des Anstoßes weg¬
zuräumen, die der rücksichtslose Freibeuterinstinkt der Nation durch ihre Land¬
jäger uns in unsre afrikanischen Pfade legte. Der Alltagsärger, den uns jede
afrikanische Post brachte, gehört uach dieser Seite hin glücklich zu den hoffentlich
ein für allemal hinter uns liegenden Dingen.

Wie sieht es nun zur Stunde in unsern Kolvnialgebieten aus, in Ost¬
afrika, in Kamerun und in Südwestafrika? Was ist erreicht, und welches sind
die Aufgaben, die wir in nächster Zeit anzugreifen und zu lösen haben?
Worauf wird der Kolonialrat seine Aufmerksamkeit zu richten haben?

Als nach Abschluß des deutsch-englischen Abkommens unsre Presse, und
zwar gerade die koloniefreundliche, Stellung zu nehmen hatte, war ein wesent¬
licher Grund ihres Mißtrauens die geringe Zuversicht, die man zu der Umsicht
und Erfahrung der neuen Mäuner hegte, die berufen waren, fortan die Inter¬
essen des Reiches im schwarzen Erdteil zu vertreten. Vom Reichskanzler
von Caprivi war bekannt, daß er bei früherer Gelegenheit sehr kühl über die
Zukunft der Kolonien gesprochen hatte. Der Staatssekretär konnte nicht
anders als fremd einer Frage gegenüberstehen, die bisher ganz außerhalb des
Bereiches seiner Thätigkeit gelegen hatte und natürlich zurückstehen mußte im
Vergleich zu dem fast unermeßlichen Arbeitsfelde, in das er sich plötzlich hinein¬
versetzt sah. Der neue Chef des Kvlonialamtes endlich war zwar als hervor¬
ragender Jurist bekannt, über Kolvniefrngen aber hatte er, so viel man wußte,
nur sehr beiläufig gearbeitet. Mau kannte von ihm eine schwungvoll ge¬
schriebene Einleitung zu dein bekannten Buche von Schuck über die Kolonial-
politik des Großen Kurfürsten, und wer diese Einleitung gelesen hatte, mochte
wohl bemerkt haben, daß Dr. Kayser einen feinen Sinn für das Wesentliche
in verwickelten Fragen hatte — wer aber hätte daraus schließen können, daß
er thatsächlich imstande sein würde, auch unter dem Druck so ungünstiger Ver¬
hältnisse, wie mau sie zu scheu glaubte, die Führung in den afrikanischen
Dingen zu ergreifen und zu behaupten? Mit den pekuniären Verhältnissen
der deutsch-ostafrikanischen Gesellschaft stand es kläglich, und die wenig geklärte
Stellung zwischen Gesellschaft und Neichsregierung bot ewigen Anlaß zu
Weiterungen und Mißverständnissen, die lähmend wirkten. Endlich hatte die
Nation ihre Lieblinge für die Arbeit in Afrika bereits gefunden: die Wißmann,
Peters, Emin, Graveureuth und wie sie alle heißen, die mit Land und Leuten
vertraut waren, die wollte man nicht missen, ihnen wollte man, wenn irgend
möglich, die Führung in die Hand spielen. Und nun ging bald von dem
einen, bald vom andern das Gerücht, daß er „afrikamüde" geworden sei.
Es hieß, sie würden wohl überhnnpt nicht nach Afrika zurückgehen, oder:
man würde genötigt sein, sie abzuberufen. Dann kam die Klage, daß
Ostafrika ohne Sansibar wirtschaftlich nicht zu behaupte,: sei, mit dem Hafen
von Dar-es-Salaam sei es nichts, und so fort in stets neuen Besorgnissen


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[0459] Die Lage Deutschlands in Afrika die englische Negierung bemüht gewesen ist, die Steine des Anstoßes weg¬ zuräumen, die der rücksichtslose Freibeuterinstinkt der Nation durch ihre Land¬ jäger uns in unsre afrikanischen Pfade legte. Der Alltagsärger, den uns jede afrikanische Post brachte, gehört uach dieser Seite hin glücklich zu den hoffentlich ein für allemal hinter uns liegenden Dingen. Wie sieht es nun zur Stunde in unsern Kolvnialgebieten aus, in Ost¬ afrika, in Kamerun und in Südwestafrika? Was ist erreicht, und welches sind die Aufgaben, die wir in nächster Zeit anzugreifen und zu lösen haben? Worauf wird der Kolonialrat seine Aufmerksamkeit zu richten haben? Als nach Abschluß des deutsch-englischen Abkommens unsre Presse, und zwar gerade die koloniefreundliche, Stellung zu nehmen hatte, war ein wesent¬ licher Grund ihres Mißtrauens die geringe Zuversicht, die man zu der Umsicht und Erfahrung der neuen Mäuner hegte, die berufen waren, fortan die Inter¬ essen des Reiches im schwarzen Erdteil zu vertreten. Vom Reichskanzler von Caprivi war bekannt, daß er bei früherer Gelegenheit sehr kühl über die Zukunft der Kolonien gesprochen hatte. Der Staatssekretär konnte nicht anders als fremd einer Frage gegenüberstehen, die bisher ganz außerhalb des Bereiches seiner Thätigkeit gelegen hatte und natürlich zurückstehen mußte im Vergleich zu dem fast unermeßlichen Arbeitsfelde, in das er sich plötzlich hinein¬ versetzt sah. Der neue Chef des Kvlonialamtes endlich war zwar als hervor¬ ragender Jurist bekannt, über Kolvniefrngen aber hatte er, so viel man wußte, nur sehr beiläufig gearbeitet. Mau kannte von ihm eine schwungvoll ge¬ schriebene Einleitung zu dein bekannten Buche von Schuck über die Kolonial- politik des Großen Kurfürsten, und wer diese Einleitung gelesen hatte, mochte wohl bemerkt haben, daß Dr. Kayser einen feinen Sinn für das Wesentliche in verwickelten Fragen hatte — wer aber hätte daraus schließen können, daß er thatsächlich imstande sein würde, auch unter dem Druck so ungünstiger Ver¬ hältnisse, wie mau sie zu scheu glaubte, die Führung in den afrikanischen Dingen zu ergreifen und zu behaupten? Mit den pekuniären Verhältnissen der deutsch-ostafrikanischen Gesellschaft stand es kläglich, und die wenig geklärte Stellung zwischen Gesellschaft und Neichsregierung bot ewigen Anlaß zu Weiterungen und Mißverständnissen, die lähmend wirkten. Endlich hatte die Nation ihre Lieblinge für die Arbeit in Afrika bereits gefunden: die Wißmann, Peters, Emin, Graveureuth und wie sie alle heißen, die mit Land und Leuten vertraut waren, die wollte man nicht missen, ihnen wollte man, wenn irgend möglich, die Führung in die Hand spielen. Und nun ging bald von dem einen, bald vom andern das Gerücht, daß er „afrikamüde" geworden sei. Es hieß, sie würden wohl überhnnpt nicht nach Afrika zurückgehen, oder: man würde genötigt sein, sie abzuberufen. Dann kam die Klage, daß Ostafrika ohne Sansibar wirtschaftlich nicht zu behaupte,: sei, mit dem Hafen von Dar-es-Salaam sei es nichts, und so fort in stets neuen Besorgnissen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/459>, abgerufen am 04.07.2024.