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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Rothschild und Rußland

Paß besorgt zu haben, werden sie bedroht und gehindert. Das wird wahr¬
scheinlich bald so geändert werden, daß den Juden alle Erleichterung zur Aus¬
wanderung gewahrt werden wird. Aber ebenso bald dürsten sich Amerika,
England und vielleicht noch andre Staaten gegen die jüdische Einwanderung
verschließen; was dann? Dann werden die Geldbarone Hirsch und Rothschild
zu sorgen haben, daß ihre Volksgenossen in Rußland nicht einfach verhungern.

Wer diese Judenfrage zu losen wüßte, der wäre ein sehr weiser Mann.
Man kann es ja den Russen eigentlich nicht verdenken, wein: sie sich gegen
die jüdische Einwanderung sträuben. Der Stand der Kultur und das Beamten¬
tum sind auch heute noch in Rußland so, daß sie wenig Widerstand bieten
gegen die unterwühlenden und parasitischen Kräfte der Juden. Rußland ist
staatlich wohl stark genug, eiuen Teil seiner Juden zu verjagen oder eiu-
zugreuzeu, aber zu schwach, ihre übeln Kräfte in Schranken zu halten; Wucher,
Bestechung, unehrlicher Handel, Aufsaugung des Volkes würden, schon jetzt
von den Russen selbst kunstfertig geübt, durch die Juden zu ungeahnter Blüte
gebracht werden. Anderseits siud manche der bisherigen Maßregeln so, wie
sie eines Kultnrstaates kaum würdig sind. Ein liberaler Gouverneur sieht
heute durch die Finger, wenn sich die Juden in seinem Gubernium wider¬
gesetzlich niederlassen; ein bestechlicher Polizeimeister läßt sie gegen gute Rubel
in die Stadt, in den Kreis. In etlichen Jahren haben sich Hunderte in der
Stadt, im Kreise, Tausende im Gubernium angesiedelt, haben Häuser, treiben
Gewerbe und Handel; hier, wo es für jedes Ding ein Gesetz giebt, das das
Ding gebietet, und eines, das dasselbe Ding verbietet, richtet sich die Menge
vor allem nach dein Beamten, nicht nach dem Gesetz, das sie ja selten kennt.
"Der Gouverneur erlaubt," heißt: "das Gesetz erlaubt," und so sind die ein¬
gewanderten Juden oft in gutem Glauben auf dem ungesetzlichen Boden seit
Jahren heimisch. Nun kommt ein neuer Gouverneur, ein Streber. Juden
jagen ist, wie er weiß, oben heute gut angesehen; also beginnt er seine Juden
zu bedrängen, jagt sie vielleicht plötzlich samt und sonders hinaus. In Stadt
und Kreis geht es leidlich, so lange der bestechliche Polizeimeister im Amte
bleibt oder ein eben solcher ihm folgt: er läßt sich alljährlich seinen Tribut
zahlen, und seine Unterbeamten fahren anch gut, indem sie diesen Tribut bei¬
treiben: "Zahle mir 10 Rubel, Josfel -- heißt es --, sonst werde ich sorgen,
daß du vor den Polizeimeister kommst, und da geht es, weißt du, nicht ohne
20 Rubel ab." Ab und zu und hie und dn kommt dann noch so eine all¬
gemeine Besteuerung; es heißt plötzlich: Ihr müßt alle hinaus, alle, ohne
Gnade; denn von Petersburg ist strenger Befehl gekommen, daß kein Jude
hier wohnen darf. Die Angst ist groß, und das Geld springt aus dem Beutel.
Oder ein Hehler beim Pferdediebstahl, ein Schmuggler, ein Händler ohne
Gewerbeschein wird ergriffen: "Zahle!" und er zahlt seinen letzten Heller, und
um zu leben, bleibt er beim Handel ohne Gewerbeschein. Im nächsten Jahr


Rothschild und Rußland

Paß besorgt zu haben, werden sie bedroht und gehindert. Das wird wahr¬
scheinlich bald so geändert werden, daß den Juden alle Erleichterung zur Aus¬
wanderung gewahrt werden wird. Aber ebenso bald dürsten sich Amerika,
England und vielleicht noch andre Staaten gegen die jüdische Einwanderung
verschließen; was dann? Dann werden die Geldbarone Hirsch und Rothschild
zu sorgen haben, daß ihre Volksgenossen in Rußland nicht einfach verhungern.

Wer diese Judenfrage zu losen wüßte, der wäre ein sehr weiser Mann.
Man kann es ja den Russen eigentlich nicht verdenken, wein: sie sich gegen
die jüdische Einwanderung sträuben. Der Stand der Kultur und das Beamten¬
tum sind auch heute noch in Rußland so, daß sie wenig Widerstand bieten
gegen die unterwühlenden und parasitischen Kräfte der Juden. Rußland ist
staatlich wohl stark genug, eiuen Teil seiner Juden zu verjagen oder eiu-
zugreuzeu, aber zu schwach, ihre übeln Kräfte in Schranken zu halten; Wucher,
Bestechung, unehrlicher Handel, Aufsaugung des Volkes würden, schon jetzt
von den Russen selbst kunstfertig geübt, durch die Juden zu ungeahnter Blüte
gebracht werden. Anderseits siud manche der bisherigen Maßregeln so, wie
sie eines Kultnrstaates kaum würdig sind. Ein liberaler Gouverneur sieht
heute durch die Finger, wenn sich die Juden in seinem Gubernium wider¬
gesetzlich niederlassen; ein bestechlicher Polizeimeister läßt sie gegen gute Rubel
in die Stadt, in den Kreis. In etlichen Jahren haben sich Hunderte in der
Stadt, im Kreise, Tausende im Gubernium angesiedelt, haben Häuser, treiben
Gewerbe und Handel; hier, wo es für jedes Ding ein Gesetz giebt, das das
Ding gebietet, und eines, das dasselbe Ding verbietet, richtet sich die Menge
vor allem nach dein Beamten, nicht nach dem Gesetz, das sie ja selten kennt.
„Der Gouverneur erlaubt," heißt: „das Gesetz erlaubt," und so sind die ein¬
gewanderten Juden oft in gutem Glauben auf dem ungesetzlichen Boden seit
Jahren heimisch. Nun kommt ein neuer Gouverneur, ein Streber. Juden
jagen ist, wie er weiß, oben heute gut angesehen; also beginnt er seine Juden
zu bedrängen, jagt sie vielleicht plötzlich samt und sonders hinaus. In Stadt
und Kreis geht es leidlich, so lange der bestechliche Polizeimeister im Amte
bleibt oder ein eben solcher ihm folgt: er läßt sich alljährlich seinen Tribut
zahlen, und seine Unterbeamten fahren anch gut, indem sie diesen Tribut bei¬
treiben: „Zahle mir 10 Rubel, Josfel — heißt es —, sonst werde ich sorgen,
daß du vor den Polizeimeister kommst, und da geht es, weißt du, nicht ohne
20 Rubel ab." Ab und zu und hie und dn kommt dann noch so eine all¬
gemeine Besteuerung; es heißt plötzlich: Ihr müßt alle hinaus, alle, ohne
Gnade; denn von Petersburg ist strenger Befehl gekommen, daß kein Jude
hier wohnen darf. Die Angst ist groß, und das Geld springt aus dem Beutel.
Oder ein Hehler beim Pferdediebstahl, ein Schmuggler, ein Händler ohne
Gewerbeschein wird ergriffen: „Zahle!" und er zahlt seinen letzten Heller, und
um zu leben, bleibt er beim Handel ohne Gewerbeschein. Im nächsten Jahr


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[0455] Rothschild und Rußland Paß besorgt zu haben, werden sie bedroht und gehindert. Das wird wahr¬ scheinlich bald so geändert werden, daß den Juden alle Erleichterung zur Aus¬ wanderung gewahrt werden wird. Aber ebenso bald dürsten sich Amerika, England und vielleicht noch andre Staaten gegen die jüdische Einwanderung verschließen; was dann? Dann werden die Geldbarone Hirsch und Rothschild zu sorgen haben, daß ihre Volksgenossen in Rußland nicht einfach verhungern. Wer diese Judenfrage zu losen wüßte, der wäre ein sehr weiser Mann. Man kann es ja den Russen eigentlich nicht verdenken, wein: sie sich gegen die jüdische Einwanderung sträuben. Der Stand der Kultur und das Beamten¬ tum sind auch heute noch in Rußland so, daß sie wenig Widerstand bieten gegen die unterwühlenden und parasitischen Kräfte der Juden. Rußland ist staatlich wohl stark genug, eiuen Teil seiner Juden zu verjagen oder eiu- zugreuzeu, aber zu schwach, ihre übeln Kräfte in Schranken zu halten; Wucher, Bestechung, unehrlicher Handel, Aufsaugung des Volkes würden, schon jetzt von den Russen selbst kunstfertig geübt, durch die Juden zu ungeahnter Blüte gebracht werden. Anderseits siud manche der bisherigen Maßregeln so, wie sie eines Kultnrstaates kaum würdig sind. Ein liberaler Gouverneur sieht heute durch die Finger, wenn sich die Juden in seinem Gubernium wider¬ gesetzlich niederlassen; ein bestechlicher Polizeimeister läßt sie gegen gute Rubel in die Stadt, in den Kreis. In etlichen Jahren haben sich Hunderte in der Stadt, im Kreise, Tausende im Gubernium angesiedelt, haben Häuser, treiben Gewerbe und Handel; hier, wo es für jedes Ding ein Gesetz giebt, das das Ding gebietet, und eines, das dasselbe Ding verbietet, richtet sich die Menge vor allem nach dein Beamten, nicht nach dem Gesetz, das sie ja selten kennt. „Der Gouverneur erlaubt," heißt: „das Gesetz erlaubt," und so sind die ein¬ gewanderten Juden oft in gutem Glauben auf dem ungesetzlichen Boden seit Jahren heimisch. Nun kommt ein neuer Gouverneur, ein Streber. Juden jagen ist, wie er weiß, oben heute gut angesehen; also beginnt er seine Juden zu bedrängen, jagt sie vielleicht plötzlich samt und sonders hinaus. In Stadt und Kreis geht es leidlich, so lange der bestechliche Polizeimeister im Amte bleibt oder ein eben solcher ihm folgt: er läßt sich alljährlich seinen Tribut zahlen, und seine Unterbeamten fahren anch gut, indem sie diesen Tribut bei¬ treiben: „Zahle mir 10 Rubel, Josfel — heißt es —, sonst werde ich sorgen, daß du vor den Polizeimeister kommst, und da geht es, weißt du, nicht ohne 20 Rubel ab." Ab und zu und hie und dn kommt dann noch so eine all¬ gemeine Besteuerung; es heißt plötzlich: Ihr müßt alle hinaus, alle, ohne Gnade; denn von Petersburg ist strenger Befehl gekommen, daß kein Jude hier wohnen darf. Die Angst ist groß, und das Geld springt aus dem Beutel. Oder ein Hehler beim Pferdediebstahl, ein Schmuggler, ein Händler ohne Gewerbeschein wird ergriffen: „Zahle!" und er zahlt seinen letzten Heller, und um zu leben, bleibt er beim Handel ohne Gewerbeschein. Im nächsten Jahr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/455>, abgerufen am 04.07.2024.