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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Vie französische Ausstellung in Moskau

zu denen wir auch das Buchdrama rechnen, gewaltsam hingedrängt. Bis aber
solche Talente, die in der Vtthne mehr erblicken als eine Unterhaltnngsstätte,
heranreifen, können unsre Theaterleiter vieles nachholen, sei es aus der
deutschen Bühnenlitteratur seit Goethe und Schiller, die natürlich ihre bleibende
Stätte behalten, oder aus der fremdländischen, gewiß mich der französischen,
deren ältere Erzeugnisse, wir nenne" nur Angler, an sittlichem Ernst weit über
dem Niveau der modernen Ehebruchskomödien stehen. Insbesondre wird den
weniger an Rücksichten des Gewinnes gebundenen Hvfbühnen in dieser Richtung
eine hervorragende Rolle und Verantwortung zufallen. Wenn diese freilich,
wie es geschieht, zu den fadesten Machwerken der neuen, sogenannten Lnstspiel-
litteratnr hinuntersteigen, da wird man sich nicht wundern dürfen, wenn sich
ans den minder unabhängigen Bühnen die fragwürdigsten Werke breit machen.
Die Hauptaufgabe der hervorragenden Bühnen aber wird die Erziehung des
Publikums sein. Das Theater muß sich seiner geistigen und sittlichen Be¬
deutung wieder bewußt werden. Noch ist die Möglichkeit, dieses Ziel zu er¬
reichen, nicht verschlossen. Hoffen wir, daß das Theater alles Ernstes sein
Streben dahin richtet.


Leonhard Lier


Die französische Ausstellung in Moskau

n Moskau ist am 11. Mai die französische Ausstellung mit
einer Feierlichkeit eröffnet worden, der mau in Deutschland
bisher nicht die gebührende Aufmerksamkeit zugewandt hat, die
aber von weit größerer Tragweite ist, als es ans den ersten Blick
scheint. Auf Bitten der französischen Direktoren der Ausstellung
wurde der Eröffnung eine religiöse Kundgebung vorausgeschickt, die um so auf¬
fallender ist, als sie einen scharf betonten rituell griechischen Charakter trug.
Nicht nur sind die Ausstellnngsränme mit Weihwasser besprengt worden, man
hat sogar das berahinte wunderthätige Bild der Mutter Gottes von Zwerski
in die Ausstellung getragen und in einem im Mittelpunkte der Räume
gelegenen Pavillon der Verehrung der rechtgläubigen russischen Bevölkerung
und der französischen Gäste, die hier doch gewissermaßen die Wirte waren,
freigegeben. Vor diesem Bilde hielt dann der Bischof von Dmitrow, Wissa-
rivn, unter Beistand des Archimandriten Nikifor, des Abtes Athanasius und
von acht Prvtohiereien sowie des Sängerchores vom Tschudowkloster, die in


Vie französische Ausstellung in Moskau

zu denen wir auch das Buchdrama rechnen, gewaltsam hingedrängt. Bis aber
solche Talente, die in der Vtthne mehr erblicken als eine Unterhaltnngsstätte,
heranreifen, können unsre Theaterleiter vieles nachholen, sei es aus der
deutschen Bühnenlitteratur seit Goethe und Schiller, die natürlich ihre bleibende
Stätte behalten, oder aus der fremdländischen, gewiß mich der französischen,
deren ältere Erzeugnisse, wir nenne» nur Angler, an sittlichem Ernst weit über
dem Niveau der modernen Ehebruchskomödien stehen. Insbesondre wird den
weniger an Rücksichten des Gewinnes gebundenen Hvfbühnen in dieser Richtung
eine hervorragende Rolle und Verantwortung zufallen. Wenn diese freilich,
wie es geschieht, zu den fadesten Machwerken der neuen, sogenannten Lnstspiel-
litteratnr hinuntersteigen, da wird man sich nicht wundern dürfen, wenn sich
ans den minder unabhängigen Bühnen die fragwürdigsten Werke breit machen.
Die Hauptaufgabe der hervorragenden Bühnen aber wird die Erziehung des
Publikums sein. Das Theater muß sich seiner geistigen und sittlichen Be¬
deutung wieder bewußt werden. Noch ist die Möglichkeit, dieses Ziel zu er¬
reichen, nicht verschlossen. Hoffen wir, daß das Theater alles Ernstes sein
Streben dahin richtet.


Leonhard Lier


Die französische Ausstellung in Moskau

n Moskau ist am 11. Mai die französische Ausstellung mit
einer Feierlichkeit eröffnet worden, der mau in Deutschland
bisher nicht die gebührende Aufmerksamkeit zugewandt hat, die
aber von weit größerer Tragweite ist, als es ans den ersten Blick
scheint. Auf Bitten der französischen Direktoren der Ausstellung
wurde der Eröffnung eine religiöse Kundgebung vorausgeschickt, die um so auf¬
fallender ist, als sie einen scharf betonten rituell griechischen Charakter trug.
Nicht nur sind die Ausstellnngsränme mit Weihwasser besprengt worden, man
hat sogar das berahinte wunderthätige Bild der Mutter Gottes von Zwerski
in die Ausstellung getragen und in einem im Mittelpunkte der Räume
gelegenen Pavillon der Verehrung der rechtgläubigen russischen Bevölkerung
und der französischen Gäste, die hier doch gewissermaßen die Wirte waren,
freigegeben. Vor diesem Bilde hielt dann der Bischof von Dmitrow, Wissa-
rivn, unter Beistand des Archimandriten Nikifor, des Abtes Athanasius und
von acht Prvtohiereien sowie des Sängerchores vom Tschudowkloster, die in


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[0441] Vie französische Ausstellung in Moskau zu denen wir auch das Buchdrama rechnen, gewaltsam hingedrängt. Bis aber solche Talente, die in der Vtthne mehr erblicken als eine Unterhaltnngsstätte, heranreifen, können unsre Theaterleiter vieles nachholen, sei es aus der deutschen Bühnenlitteratur seit Goethe und Schiller, die natürlich ihre bleibende Stätte behalten, oder aus der fremdländischen, gewiß mich der französischen, deren ältere Erzeugnisse, wir nenne» nur Angler, an sittlichem Ernst weit über dem Niveau der modernen Ehebruchskomödien stehen. Insbesondre wird den weniger an Rücksichten des Gewinnes gebundenen Hvfbühnen in dieser Richtung eine hervorragende Rolle und Verantwortung zufallen. Wenn diese freilich, wie es geschieht, zu den fadesten Machwerken der neuen, sogenannten Lnstspiel- litteratnr hinuntersteigen, da wird man sich nicht wundern dürfen, wenn sich ans den minder unabhängigen Bühnen die fragwürdigsten Werke breit machen. Die Hauptaufgabe der hervorragenden Bühnen aber wird die Erziehung des Publikums sein. Das Theater muß sich seiner geistigen und sittlichen Be¬ deutung wieder bewußt werden. Noch ist die Möglichkeit, dieses Ziel zu er¬ reichen, nicht verschlossen. Hoffen wir, daß das Theater alles Ernstes sein Streben dahin richtet. Leonhard Lier Die französische Ausstellung in Moskau n Moskau ist am 11. Mai die französische Ausstellung mit einer Feierlichkeit eröffnet worden, der mau in Deutschland bisher nicht die gebührende Aufmerksamkeit zugewandt hat, die aber von weit größerer Tragweite ist, als es ans den ersten Blick scheint. Auf Bitten der französischen Direktoren der Ausstellung wurde der Eröffnung eine religiöse Kundgebung vorausgeschickt, die um so auf¬ fallender ist, als sie einen scharf betonten rituell griechischen Charakter trug. Nicht nur sind die Ausstellnngsränme mit Weihwasser besprengt worden, man hat sogar das berahinte wunderthätige Bild der Mutter Gottes von Zwerski in die Ausstellung getragen und in einem im Mittelpunkte der Räume gelegenen Pavillon der Verehrung der rechtgläubigen russischen Bevölkerung und der französischen Gäste, die hier doch gewissermaßen die Wirte waren, freigegeben. Vor diesem Bilde hielt dann der Bischof von Dmitrow, Wissa- rivn, unter Beistand des Archimandriten Nikifor, des Abtes Athanasius und von acht Prvtohiereien sowie des Sängerchores vom Tschudowkloster, die in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/441>, abgerufen am 24.07.2024.