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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Ludwig Anzengrnber

der Decke des Zuschauerraumes im Volkstheater haben seine Verehrer, das
Urteil der Zukunft kühn vorwegnehmend, sein Bild Hand in Hand mit dem
von Ferdinand Raimund gemalt, also bei Lebzeiten den Dichter seiner Un¬
sterblichkeit versichert. Nicht ohne Wehmut sah er sich diese Huldigung an;
denn schon damals wußte er, daß er in einer schlechten Haut stecke, und mochte
ahnen, daß er die Krönung in Mgis nicht lange überleben würde.

So war sein äußeres Leben, so lange er in der Litteratur, die litterarischen
Zeitgenossen mit sehr wenigen Ausnahmen (Gottfried Kellers) überragend,
dastand. Und als er an jenem kalten Dezcmbertage von 1889 zu Grabe ge¬
tragen wurde, da stand zwar das Volk in Massen ans der Straße, durch die
der Leichenwagen fuhr, aber man kann nicht sagen, daß auch nur die Mehr¬
zahl der Gebildeten Wiens ein klares Bewußtsein oder Bild von seiner Eigenart
und Größe gehabt hätte. Es waren doch zu viele Jahre seit der ersten Auf¬
führung seiner Meisterwerke verstrichen; mehr als den "Pfarrer" und den
"Meineidbauer" haben die wenigsten gekannt, und die Stimmung der Zeit war
inzwischen auch anders geworden. Seine Erzählungen, die teilweise geradezu
bewunderungswürdig sind, haben es nicht zur volkstümlichen Beliebtheit ge¬
bracht, haben keine Massenauflagen wie Scheffel, Ebers, Dahn, Vaumbach
erlebt, seine zwei Romane sind gerade in Wien sehr wenig gelesen worden.
Möglich, daß das Publikum des bäurischen Kostüms, der Dorfgeschichten
überdrüssig und noch nicht zu der Erkenntnis gelangt war, daß das Dorf in
Anzengrubers Dichtung nicht mit dem in den andern Dorfgeschichten verglichen
werden darf; so eine tiefere Erkenntnis dringt immer nur sehr langsam durch.
Genug: einen Überblick über die gesamte Leistung Anzengrubers hatte" damals
nur wenige Menschen , kaum seine vertrautesten Freunde, denn nicht bloß daß
er jahrelang sehr wenig gespielt wurde, zur Zeit seines Todes erst wieder
gespielt zu werden anfing, daß ihn die heimische Presse im ganzen nur wider¬
willig unterstützte, so waren seine Schriften nirgends gesammelt, sind bei ver-
schiednen Verlegern in verschiedner Form gedruckt worden, die anmutigsten
seiner Erzählungen vollends, die "Kalendergeschichten," waren vergraben in den
einzelne" Jahrgängen der verschiednen Kalender, die sie mit andern Beiträgen
gebracht haben, und darum der litterarischen Welt sogut wie unbekannt.

Aber schon im Sommer 1889 hatte Auzengruber den Plan zu einer
Gesamtausgabe seiner Schriften gefaßt und mit der Cottaschen Verlags¬
handlung unterhandelt, nach seinem Tode fiel die Ausführung dieses
Planes seinen Freunden (Karl Gründorf, Dr. Bettelheim, V. Chiavacci und
V. K. Schembera) zu, die zu einem "Anzengruber-Kuratorium" zusammen¬
traten, um das Erbe der unmündigen Kinder des Dichters zu verwalten. Ein
Jahr nach dem Tode des Dichters lag die Ausgabe in zehn Bänden") abge-



') Gesammelte Werke von Ludwig Anzengruber. Zehn Bünde. Stuttgart,
I. G. Cottasche Buchhandlung, 1890.
Ludwig Anzengrnber

der Decke des Zuschauerraumes im Volkstheater haben seine Verehrer, das
Urteil der Zukunft kühn vorwegnehmend, sein Bild Hand in Hand mit dem
von Ferdinand Raimund gemalt, also bei Lebzeiten den Dichter seiner Un¬
sterblichkeit versichert. Nicht ohne Wehmut sah er sich diese Huldigung an;
denn schon damals wußte er, daß er in einer schlechten Haut stecke, und mochte
ahnen, daß er die Krönung in Mgis nicht lange überleben würde.

So war sein äußeres Leben, so lange er in der Litteratur, die litterarischen
Zeitgenossen mit sehr wenigen Ausnahmen (Gottfried Kellers) überragend,
dastand. Und als er an jenem kalten Dezcmbertage von 1889 zu Grabe ge¬
tragen wurde, da stand zwar das Volk in Massen ans der Straße, durch die
der Leichenwagen fuhr, aber man kann nicht sagen, daß auch nur die Mehr¬
zahl der Gebildeten Wiens ein klares Bewußtsein oder Bild von seiner Eigenart
und Größe gehabt hätte. Es waren doch zu viele Jahre seit der ersten Auf¬
führung seiner Meisterwerke verstrichen; mehr als den „Pfarrer" und den
„Meineidbauer" haben die wenigsten gekannt, und die Stimmung der Zeit war
inzwischen auch anders geworden. Seine Erzählungen, die teilweise geradezu
bewunderungswürdig sind, haben es nicht zur volkstümlichen Beliebtheit ge¬
bracht, haben keine Massenauflagen wie Scheffel, Ebers, Dahn, Vaumbach
erlebt, seine zwei Romane sind gerade in Wien sehr wenig gelesen worden.
Möglich, daß das Publikum des bäurischen Kostüms, der Dorfgeschichten
überdrüssig und noch nicht zu der Erkenntnis gelangt war, daß das Dorf in
Anzengrubers Dichtung nicht mit dem in den andern Dorfgeschichten verglichen
werden darf; so eine tiefere Erkenntnis dringt immer nur sehr langsam durch.
Genug: einen Überblick über die gesamte Leistung Anzengrubers hatte» damals
nur wenige Menschen , kaum seine vertrautesten Freunde, denn nicht bloß daß
er jahrelang sehr wenig gespielt wurde, zur Zeit seines Todes erst wieder
gespielt zu werden anfing, daß ihn die heimische Presse im ganzen nur wider¬
willig unterstützte, so waren seine Schriften nirgends gesammelt, sind bei ver-
schiednen Verlegern in verschiedner Form gedruckt worden, die anmutigsten
seiner Erzählungen vollends, die „Kalendergeschichten," waren vergraben in den
einzelne» Jahrgängen der verschiednen Kalender, die sie mit andern Beiträgen
gebracht haben, und darum der litterarischen Welt sogut wie unbekannt.

Aber schon im Sommer 1889 hatte Auzengruber den Plan zu einer
Gesamtausgabe seiner Schriften gefaßt und mit der Cottaschen Verlags¬
handlung unterhandelt, nach seinem Tode fiel die Ausführung dieses
Planes seinen Freunden (Karl Gründorf, Dr. Bettelheim, V. Chiavacci und
V. K. Schembera) zu, die zu einem „Anzengruber-Kuratorium" zusammen¬
traten, um das Erbe der unmündigen Kinder des Dichters zu verwalten. Ein
Jahr nach dem Tode des Dichters lag die Ausgabe in zehn Bänden") abge-



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[0044] Ludwig Anzengrnber der Decke des Zuschauerraumes im Volkstheater haben seine Verehrer, das Urteil der Zukunft kühn vorwegnehmend, sein Bild Hand in Hand mit dem von Ferdinand Raimund gemalt, also bei Lebzeiten den Dichter seiner Un¬ sterblichkeit versichert. Nicht ohne Wehmut sah er sich diese Huldigung an; denn schon damals wußte er, daß er in einer schlechten Haut stecke, und mochte ahnen, daß er die Krönung in Mgis nicht lange überleben würde. So war sein äußeres Leben, so lange er in der Litteratur, die litterarischen Zeitgenossen mit sehr wenigen Ausnahmen (Gottfried Kellers) überragend, dastand. Und als er an jenem kalten Dezcmbertage von 1889 zu Grabe ge¬ tragen wurde, da stand zwar das Volk in Massen ans der Straße, durch die der Leichenwagen fuhr, aber man kann nicht sagen, daß auch nur die Mehr¬ zahl der Gebildeten Wiens ein klares Bewußtsein oder Bild von seiner Eigenart und Größe gehabt hätte. Es waren doch zu viele Jahre seit der ersten Auf¬ führung seiner Meisterwerke verstrichen; mehr als den „Pfarrer" und den „Meineidbauer" haben die wenigsten gekannt, und die Stimmung der Zeit war inzwischen auch anders geworden. Seine Erzählungen, die teilweise geradezu bewunderungswürdig sind, haben es nicht zur volkstümlichen Beliebtheit ge¬ bracht, haben keine Massenauflagen wie Scheffel, Ebers, Dahn, Vaumbach erlebt, seine zwei Romane sind gerade in Wien sehr wenig gelesen worden. Möglich, daß das Publikum des bäurischen Kostüms, der Dorfgeschichten überdrüssig und noch nicht zu der Erkenntnis gelangt war, daß das Dorf in Anzengrubers Dichtung nicht mit dem in den andern Dorfgeschichten verglichen werden darf; so eine tiefere Erkenntnis dringt immer nur sehr langsam durch. Genug: einen Überblick über die gesamte Leistung Anzengrubers hatte» damals nur wenige Menschen , kaum seine vertrautesten Freunde, denn nicht bloß daß er jahrelang sehr wenig gespielt wurde, zur Zeit seines Todes erst wieder gespielt zu werden anfing, daß ihn die heimische Presse im ganzen nur wider¬ willig unterstützte, so waren seine Schriften nirgends gesammelt, sind bei ver- schiednen Verlegern in verschiedner Form gedruckt worden, die anmutigsten seiner Erzählungen vollends, die „Kalendergeschichten," waren vergraben in den einzelne» Jahrgängen der verschiednen Kalender, die sie mit andern Beiträgen gebracht haben, und darum der litterarischen Welt sogut wie unbekannt. Aber schon im Sommer 1889 hatte Auzengruber den Plan zu einer Gesamtausgabe seiner Schriften gefaßt und mit der Cottaschen Verlags¬ handlung unterhandelt, nach seinem Tode fiel die Ausführung dieses Planes seinen Freunden (Karl Gründorf, Dr. Bettelheim, V. Chiavacci und V. K. Schembera) zu, die zu einem „Anzengruber-Kuratorium" zusammen¬ traten, um das Erbe der unmündigen Kinder des Dichters zu verwalten. Ein Jahr nach dem Tode des Dichters lag die Ausgabe in zehn Bänden") abge- ') Gesammelte Werke von Ludwig Anzengruber. Zehn Bünde. Stuttgart, I. G. Cottasche Buchhandlung, 1890.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/44>, abgerufen am 24.07.2024.