Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.gehen. Bei dein Theaterpublikum kommt noch das mit in Betracht, was wir Grenzboten U 1L91 55
gehen. Bei dein Theaterpublikum kommt noch das mit in Betracht, was wir Grenzboten U 1L91 55
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0437" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/210304"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1216" prev="#ID_1215" next="#ID_1217"> gehen. Bei dein Theaterpublikum kommt noch das mit in Betracht, was wir<lb/> oben in der Einleitung erörtert haben, der mächtige Korpsgeist, unter dessen<lb/> Übermacht der Einzelwillc unterdrückt wird. Das Theaterpublikum der Reichs-<lb/> hauptstndt, so weit es sich — und das ist der maßgebende Teil — aus Ein¬<lb/> heimischen zusammensetzt, ist der Adel der „modernen Million," der rasch<lb/> emporgekommene Günstling des pekuniären Erfolges, der den bunten Lappen<lb/> einer prunkenden Selbstherrlichkeit gern auch noch den Schmuck des Mäzenaten¬<lb/> tums anheften möchte. Diese Besitzer des rasch, meist auf dem mühelosem Wege<lb/> der Spekulation erworbenen und oft auf gleichem Wege nicht minder rasch<lb/> Verlornen Vermögens sind die echten Kinder unsrer unruhigen, nervösen,<lb/> haftenden Zeit. Erfolg, Genuß, Aufregung sind die Losungsworte dieses mo¬<lb/> dernen Adels, und ihre künstlerischen Bedürfnisse sind nach diesen Worten ge¬<lb/> bildet. Wie in ihren mit funkelnagelneuen Möbeln überladenen Salons die<lb/> Geistreichelei und das frivole Wortspiel, das Leichte und sensationelle an<lb/> der Tagesordnung ist, so verlangen sie auch im Theater die gleiche Kost,<lb/> nnr noch etwas pikanter und mit mehr Pfeffer zugerichtet. Otto von Leixner<lb/> hat in seinen „Sozialen Vriesen aus Berlin" ein anschauliches Bild dieser<lb/> Gesellschaftsklasse entworfen. Insbesondre sagt er von ihrem Einfluß auf<lb/> die Kunst folgendes: „Die Besitzer dieses neuen Reichtums gehören zu<lb/> den fleißigsten Besuchern der Theater und Konzerte wie der großen Aus¬<lb/> stellungen; sie sind die Hauptkuuden vieler Miller, die am meisten schmeicheln¬<lb/> den Verehrer manches modischen Schriftstellers. Für sie vornehmlich bestimmt<lb/> sind ganze Reihen von Bühnenstücken, Romanen und Dichtungen, Gemälden<lb/> nud Bildwerken. So wird ein nicht geringer Teil der Erzeugnisse durch sie<lb/> beeinflußt und die reine, edle Kunst zu Gunsten des Verhüllt-Lüsternen, des<lb/> Schwächlich-Eleganten hingeopfert. Diese Kreise namentlich sind die Pfleger<lb/> des Fremdtnms in Berlin, die eifrigsten Bewundrer der französischen Stücke<lb/> nud gar oft die Beförderer frivoler Lebensauffassung. Ju jüngster Zeit<lb/> haben sie besonders die neueste, naturalistische Schule unterstützt und z. B.<lb/> die „Freie Bühne" begönnert. Nicht aus litterarischer Begeisterung, sondern<lb/> aus Sucht nach dem Neuen, aus einer Neugierde, die von unreinen Trieben<lb/> nichts weniger als frei war, aus Lust an Aufregung." Für diese Kreise<lb/> aber in erster Reihe sind die Werke berechnet, die jetzt in der Reichs-<lb/> hauptstadt Triumphe feiern (denn die „Freie Bühne" hat über den Kreis der<lb/> Clique hinaus wenig Bedeutung), die Dramen eines Lindau, eines Blumen-<lb/> thal, eines Schöuthan; diese und verwandte Kreise aber sind es auch, die der<lb/> modernen Operette und der Ausgeburt eines humorlosen Geistes, der Berliner<lb/> Posse, die Wege geebnet haben. Macht sich in den erstgenannten Stücken ein<lb/> geschmackloses Gemisch von frivoler und sogenannt geistreicher Manier und von<lb/> Empfindsamkeit breit, so herrscht hier neben ehuischer Gemeinheit, die in der<lb/> Vorstellung noch gemeiner wirkt, der tollste, allsgelassenste Blödsinn, sodaß</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten U 1L91 55</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0437]
gehen. Bei dein Theaterpublikum kommt noch das mit in Betracht, was wir
oben in der Einleitung erörtert haben, der mächtige Korpsgeist, unter dessen
Übermacht der Einzelwillc unterdrückt wird. Das Theaterpublikum der Reichs-
hauptstndt, so weit es sich — und das ist der maßgebende Teil — aus Ein¬
heimischen zusammensetzt, ist der Adel der „modernen Million," der rasch
emporgekommene Günstling des pekuniären Erfolges, der den bunten Lappen
einer prunkenden Selbstherrlichkeit gern auch noch den Schmuck des Mäzenaten¬
tums anheften möchte. Diese Besitzer des rasch, meist auf dem mühelosem Wege
der Spekulation erworbenen und oft auf gleichem Wege nicht minder rasch
Verlornen Vermögens sind die echten Kinder unsrer unruhigen, nervösen,
haftenden Zeit. Erfolg, Genuß, Aufregung sind die Losungsworte dieses mo¬
dernen Adels, und ihre künstlerischen Bedürfnisse sind nach diesen Worten ge¬
bildet. Wie in ihren mit funkelnagelneuen Möbeln überladenen Salons die
Geistreichelei und das frivole Wortspiel, das Leichte und sensationelle an
der Tagesordnung ist, so verlangen sie auch im Theater die gleiche Kost,
nnr noch etwas pikanter und mit mehr Pfeffer zugerichtet. Otto von Leixner
hat in seinen „Sozialen Vriesen aus Berlin" ein anschauliches Bild dieser
Gesellschaftsklasse entworfen. Insbesondre sagt er von ihrem Einfluß auf
die Kunst folgendes: „Die Besitzer dieses neuen Reichtums gehören zu
den fleißigsten Besuchern der Theater und Konzerte wie der großen Aus¬
stellungen; sie sind die Hauptkuuden vieler Miller, die am meisten schmeicheln¬
den Verehrer manches modischen Schriftstellers. Für sie vornehmlich bestimmt
sind ganze Reihen von Bühnenstücken, Romanen und Dichtungen, Gemälden
nud Bildwerken. So wird ein nicht geringer Teil der Erzeugnisse durch sie
beeinflußt und die reine, edle Kunst zu Gunsten des Verhüllt-Lüsternen, des
Schwächlich-Eleganten hingeopfert. Diese Kreise namentlich sind die Pfleger
des Fremdtnms in Berlin, die eifrigsten Bewundrer der französischen Stücke
nud gar oft die Beförderer frivoler Lebensauffassung. Ju jüngster Zeit
haben sie besonders die neueste, naturalistische Schule unterstützt und z. B.
die „Freie Bühne" begönnert. Nicht aus litterarischer Begeisterung, sondern
aus Sucht nach dem Neuen, aus einer Neugierde, die von unreinen Trieben
nichts weniger als frei war, aus Lust an Aufregung." Für diese Kreise
aber in erster Reihe sind die Werke berechnet, die jetzt in der Reichs-
hauptstadt Triumphe feiern (denn die „Freie Bühne" hat über den Kreis der
Clique hinaus wenig Bedeutung), die Dramen eines Lindau, eines Blumen-
thal, eines Schöuthan; diese und verwandte Kreise aber sind es auch, die der
modernen Operette und der Ausgeburt eines humorlosen Geistes, der Berliner
Posse, die Wege geebnet haben. Macht sich in den erstgenannten Stücken ein
geschmackloses Gemisch von frivoler und sogenannt geistreicher Manier und von
Empfindsamkeit breit, so herrscht hier neben ehuischer Gemeinheit, die in der
Vorstellung noch gemeiner wirkt, der tollste, allsgelassenste Blödsinn, sodaß
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