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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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so wurden die Florentiner ans Opposition plötzlich fromm und füllten täglich
die Kirchen, beider wurden sie von ihrem Bundesgenossen Bernabc" Visconti
im Stiche gelassen. Dos machte sie zum Frieden geneigt. Zu ihrem Glücke
starb der Papst am 27. März Z!!78. Mit lautem Jubel und großer Illu¬
mination der Stadt wurde das freudige Ereignis gefeiert. (Mau that damals
in solchen Fällen seinen Gefühlen keinen Zwang an; unsre heutigen Anstands-
rücksichten kannte mau nicht.) Gregors Nachfolger Urban VI., obwohl ein
Wüterich, ließ sich bereit finden, den Frieden um den Preis von 250 000 Gold¬
floren zu bewillige".

Es gab doch Männer, denen dieser Streithandel Gewissensbedcuken er¬
regte. I" die Zeit des Friedensschlnsses fiel der Aufruhr der Wollarbeiter
(Tumultv de' Ciompi). Ihn hat Giuv Cappvui, der Eroberer Pisas und
Ahnherr des im Jahre 1876 verstorbnen Geschichtschreibers seiner Bater¬
stadt, des Marchese Giuv Capponi, als Augenzeuge beschrieben. Er beginnt
die Erzählung der verübten Gewaltthaten mit dem Satze: "Um der gegen
die h. Kirche Gottes begangnen Sünde willen, damit sie nicht ungestraft bliebe,
daß nämlich die bösen Bürger von Florenz gegen die Kirche Krieg geführt
und so viele Städte und Schlösser zur Empörung gereizt, auch die Empörer
mit Geld unterstützt habe", und daß man die Kirchengüter verlauft und so
viel Geld wie nur möglich daraus gezogen hat, und wegen der Beschimpfungen
und Beleidigungen, die den kirchlichen Personen zugefügt worden sind, hat
Gott diese Züchtigung unsrer Stadt zugelassen, die ich nnn erzählen will."
Wie er in seinen letzten Lebensjahren die Pflichten der Frömmigkeit gegen
politische Rücksichten abzuwägen verstand, sieht man aus seineu Livoräi, die
er nach der Sitte der Zeit seinen Söhnen hinterließ. Er giebt ihnen den
Rat, sich in keine" Streit mit der Kirche einzulassen, und fährt dann fort:
"Die Spaltung der Kirche ist für unser Gemeinwesen vorteilhaft und erleichtert
uns die Behauptung unsrer Freiheit. Aber sie schadet dem Seelenheile; daher
muß man dergleichen nicht absichtlich befördern, sondern nur den Dingen ihre"
natürlichen Lauf lassen. Könnte man die Geistlichen nur dahin bringen, sich
auf das Geistliche zu beschränken, dann wäre ihre Einigkeit unserm Gemein¬
wesen sogar vorteilhaft. Indes die Freundschaft des Papstes ist uns auf
jeden Fall nützlich; daher dürft ihr in keinem Falle dagegen sein, denn ohne
die Freundschaft der Kirche (das heißt hier des Kirchenstaats) kann uus nichts
gelingen."")



Es sei gestaltet, an dieser Stelle noch ein paar Sätze ans den liiooräi anzuführen,
die keine Beziehung ans unsern Gegenstand haben. "Das Gemeinwesen von Florenz wird
sich so lauge behaupte", als es den Auswärtigen gegenüber Gewehr bei Fuß steht (1^ kMln.
in mano), im Innern aber nicht zuläßt, daß ein Privatmann oder eine Familie oder eine
Clique (congiura) mächtiger werde als die Signoria. -- Mit den Bürgern von heute (Cap¬
poni starb 1420) könnte mau die Dinge kaum ausrichten, die unser Staat schon ausgerichtet

so wurden die Florentiner ans Opposition plötzlich fromm und füllten täglich
die Kirchen, beider wurden sie von ihrem Bundesgenossen Bernabc» Visconti
im Stiche gelassen. Dos machte sie zum Frieden geneigt. Zu ihrem Glücke
starb der Papst am 27. März Z!!78. Mit lautem Jubel und großer Illu¬
mination der Stadt wurde das freudige Ereignis gefeiert. (Mau that damals
in solchen Fällen seinen Gefühlen keinen Zwang an; unsre heutigen Anstands-
rücksichten kannte mau nicht.) Gregors Nachfolger Urban VI., obwohl ein
Wüterich, ließ sich bereit finden, den Frieden um den Preis von 250 000 Gold¬
floren zu bewillige».

Es gab doch Männer, denen dieser Streithandel Gewissensbedcuken er¬
regte. I» die Zeit des Friedensschlnsses fiel der Aufruhr der Wollarbeiter
(Tumultv de' Ciompi). Ihn hat Giuv Cappvui, der Eroberer Pisas und
Ahnherr des im Jahre 1876 verstorbnen Geschichtschreibers seiner Bater¬
stadt, des Marchese Giuv Capponi, als Augenzeuge beschrieben. Er beginnt
die Erzählung der verübten Gewaltthaten mit dem Satze: „Um der gegen
die h. Kirche Gottes begangnen Sünde willen, damit sie nicht ungestraft bliebe,
daß nämlich die bösen Bürger von Florenz gegen die Kirche Krieg geführt
und so viele Städte und Schlösser zur Empörung gereizt, auch die Empörer
mit Geld unterstützt habe», und daß man die Kirchengüter verlauft und so
viel Geld wie nur möglich daraus gezogen hat, und wegen der Beschimpfungen
und Beleidigungen, die den kirchlichen Personen zugefügt worden sind, hat
Gott diese Züchtigung unsrer Stadt zugelassen, die ich nnn erzählen will."
Wie er in seinen letzten Lebensjahren die Pflichten der Frömmigkeit gegen
politische Rücksichten abzuwägen verstand, sieht man aus seineu Livoräi, die
er nach der Sitte der Zeit seinen Söhnen hinterließ. Er giebt ihnen den
Rat, sich in keine» Streit mit der Kirche einzulassen, und fährt dann fort:
„Die Spaltung der Kirche ist für unser Gemeinwesen vorteilhaft und erleichtert
uns die Behauptung unsrer Freiheit. Aber sie schadet dem Seelenheile; daher
muß man dergleichen nicht absichtlich befördern, sondern nur den Dingen ihre»
natürlichen Lauf lassen. Könnte man die Geistlichen nur dahin bringen, sich
auf das Geistliche zu beschränken, dann wäre ihre Einigkeit unserm Gemein¬
wesen sogar vorteilhaft. Indes die Freundschaft des Papstes ist uns auf
jeden Fall nützlich; daher dürft ihr in keinem Falle dagegen sein, denn ohne
die Freundschaft der Kirche (das heißt hier des Kirchenstaats) kann uus nichts
gelingen."")



Es sei gestaltet, an dieser Stelle noch ein paar Sätze ans den liiooräi anzuführen,
die keine Beziehung ans unsern Gegenstand haben. „Das Gemeinwesen von Florenz wird
sich so lauge behaupte», als es den Auswärtigen gegenüber Gewehr bei Fuß steht (1^ kMln.
in mano), im Innern aber nicht zuläßt, daß ein Privatmann oder eine Familie oder eine
Clique (congiura) mächtiger werde als die Signoria. — Mit den Bürgern von heute (Cap¬
poni starb 1420) könnte mau die Dinge kaum ausrichten, die unser Staat schon ausgerichtet
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/432>, abgerufen am 24.07.2024.