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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Ludwig Anzengrnber

Beifall, als seine Theaterstücke. 1876 hatte er seinen ersten Roman "Der
Schandfleck" geschrieben, der acht Jahre darauf umgearbeitet wieder herauskam,
und im November 1878 wurde ihm zugleich mit Wilbrandt und Nissel von
Berlin aus der Schillerpreis zu teil. Und doch mußte er 1879 an Rosegger,
mit dem ihn seit 1870 innige Freundschaft verband, schreiben: "Ich habe nun
neun Jahre Schriftstellertum hinter mir, aber nicht die Stellung errungen, die
mir erlaubte, ohne Frage nach dem augenblicklichen Erfolge ans dem Vollen
heraus Produziren zu dürfen. Ich werde diese Stellung voraussichtlich nie
oder erst dann erringen, wein: meine Jahre nicht mehr die sind, welche eine
Produktion aus dem Vollen zulassen."

Das Glück Anzengrubers dauerte nnr kurze Zeit, und wie bei keinem
zweiten Schriftsteller waren es äußere Unglücksfälle, die es zerstörten. Mehr
als eine andre Knustgattung hängt die dramatische von der Stimmung der
Zeit, von dem zufälligen Vorhandensein einsichtiger Persönlichkeiten an der
Spitze der maßgebenden Bühnen ab. Neben einem schlechten Theaterdirektor
müssen auch große Talente verkümmern, während ein guter Talente nicht bloß
fördert, sondern, wie die Geschichte lehrt, auch entdecken kann. Das Schicksal
Anzengrubers hing von den Wiener Zuständen zu seiner Zeit ab, und es war
nicht seine Schuld, daß er in den folgenden Jahren mit Sorgen aller Art zu
knmpfeu hatte und mitten in der hellsten Schaffensfreude, im rüstigsten Mannes¬
alter geradezu lahmgelegt wurde. Anzengrnber kam aus der Mode, als Wien
an den Folgen des wirtschaftlichen Rückganges litt und nicht imstande war,
die kurz mich einander niedergebrannten Gebäude des Ring- und des Stadt¬
theaters wieder aufzurichten. Vom Burgtheater schloß ihn nicht bloß der
Dialekt, sondern auch der freireligiöse Geist seiner Dichtungen ans. An der
Stätte seiner ersten dramatischen Triumphe, auf der Mieder, kam die Operette
zur Blüte -- die Künstler, die in Anzengrnbers Stücken glänzten, zogen ent¬
weder in die Ferne, wie die Geistinger, Martinelli und Swoboda, oder starben
weg, wie Rott und die Gallmeyer. Es kam schließlich so weit, daß Anzengrnber
in seiner eignen Heimat gar nicht gespielt wurde und dem Volke nur noch dem
Namen nach wie eine litterarische Größe aus fernen Zeiten bekannt war. Um sich
und die Seinen vor der gemeinen Not zu schützen, mußte der Dichter
Stellungen als Redakteur, zuerst der "Heimat" (1882 bis 1884), dann des
"Figaro" annehmen (1884 bis 1889), und an Stelle der dramatischen Pro¬
duktion trat die epische. In den achtziger Jahren hat er nur drei Stücke
geschrieben, zwei davon nach eignen Erzählungen: "Stahl und Stein," "Der
Fleck auf der Ehr" und die Weihuachtskvinödie: "Heimgfunden," das liebens¬
würdigste seiner wienerischen Dramen. Dagegen fällt sein großer Roman
..Der Sterustciuhof" in diese Zeit (1886), der übrigens keine volkstümliche
Wirkung erzielte. Erst als ihm der Grillparzerpreis erteilt worden war
und das Volkstheater begründet wurde, begann eine neue Zeit für ihn. Auf


Ludwig Anzengrnber

Beifall, als seine Theaterstücke. 1876 hatte er seinen ersten Roman „Der
Schandfleck" geschrieben, der acht Jahre darauf umgearbeitet wieder herauskam,
und im November 1878 wurde ihm zugleich mit Wilbrandt und Nissel von
Berlin aus der Schillerpreis zu teil. Und doch mußte er 1879 an Rosegger,
mit dem ihn seit 1870 innige Freundschaft verband, schreiben: „Ich habe nun
neun Jahre Schriftstellertum hinter mir, aber nicht die Stellung errungen, die
mir erlaubte, ohne Frage nach dem augenblicklichen Erfolge ans dem Vollen
heraus Produziren zu dürfen. Ich werde diese Stellung voraussichtlich nie
oder erst dann erringen, wein: meine Jahre nicht mehr die sind, welche eine
Produktion aus dem Vollen zulassen."

Das Glück Anzengrubers dauerte nnr kurze Zeit, und wie bei keinem
zweiten Schriftsteller waren es äußere Unglücksfälle, die es zerstörten. Mehr
als eine andre Knustgattung hängt die dramatische von der Stimmung der
Zeit, von dem zufälligen Vorhandensein einsichtiger Persönlichkeiten an der
Spitze der maßgebenden Bühnen ab. Neben einem schlechten Theaterdirektor
müssen auch große Talente verkümmern, während ein guter Talente nicht bloß
fördert, sondern, wie die Geschichte lehrt, auch entdecken kann. Das Schicksal
Anzengrubers hing von den Wiener Zuständen zu seiner Zeit ab, und es war
nicht seine Schuld, daß er in den folgenden Jahren mit Sorgen aller Art zu
knmpfeu hatte und mitten in der hellsten Schaffensfreude, im rüstigsten Mannes¬
alter geradezu lahmgelegt wurde. Anzengrnber kam aus der Mode, als Wien
an den Folgen des wirtschaftlichen Rückganges litt und nicht imstande war,
die kurz mich einander niedergebrannten Gebäude des Ring- und des Stadt¬
theaters wieder aufzurichten. Vom Burgtheater schloß ihn nicht bloß der
Dialekt, sondern auch der freireligiöse Geist seiner Dichtungen ans. An der
Stätte seiner ersten dramatischen Triumphe, auf der Mieder, kam die Operette
zur Blüte — die Künstler, die in Anzengrnbers Stücken glänzten, zogen ent¬
weder in die Ferne, wie die Geistinger, Martinelli und Swoboda, oder starben
weg, wie Rott und die Gallmeyer. Es kam schließlich so weit, daß Anzengrnber
in seiner eignen Heimat gar nicht gespielt wurde und dem Volke nur noch dem
Namen nach wie eine litterarische Größe aus fernen Zeiten bekannt war. Um sich
und die Seinen vor der gemeinen Not zu schützen, mußte der Dichter
Stellungen als Redakteur, zuerst der „Heimat" (1882 bis 1884), dann des
„Figaro" annehmen (1884 bis 1889), und an Stelle der dramatischen Pro¬
duktion trat die epische. In den achtziger Jahren hat er nur drei Stücke
geschrieben, zwei davon nach eignen Erzählungen: „Stahl und Stein," „Der
Fleck auf der Ehr" und die Weihuachtskvinödie: „Heimgfunden," das liebens¬
würdigste seiner wienerischen Dramen. Dagegen fällt sein großer Roman
..Der Sterustciuhof" in diese Zeit (1886), der übrigens keine volkstümliche
Wirkung erzielte. Erst als ihm der Grillparzerpreis erteilt worden war
und das Volkstheater begründet wurde, begann eine neue Zeit für ihn. Auf


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[0043] Ludwig Anzengrnber Beifall, als seine Theaterstücke. 1876 hatte er seinen ersten Roman „Der Schandfleck" geschrieben, der acht Jahre darauf umgearbeitet wieder herauskam, und im November 1878 wurde ihm zugleich mit Wilbrandt und Nissel von Berlin aus der Schillerpreis zu teil. Und doch mußte er 1879 an Rosegger, mit dem ihn seit 1870 innige Freundschaft verband, schreiben: „Ich habe nun neun Jahre Schriftstellertum hinter mir, aber nicht die Stellung errungen, die mir erlaubte, ohne Frage nach dem augenblicklichen Erfolge ans dem Vollen heraus Produziren zu dürfen. Ich werde diese Stellung voraussichtlich nie oder erst dann erringen, wein: meine Jahre nicht mehr die sind, welche eine Produktion aus dem Vollen zulassen." Das Glück Anzengrubers dauerte nnr kurze Zeit, und wie bei keinem zweiten Schriftsteller waren es äußere Unglücksfälle, die es zerstörten. Mehr als eine andre Knustgattung hängt die dramatische von der Stimmung der Zeit, von dem zufälligen Vorhandensein einsichtiger Persönlichkeiten an der Spitze der maßgebenden Bühnen ab. Neben einem schlechten Theaterdirektor müssen auch große Talente verkümmern, während ein guter Talente nicht bloß fördert, sondern, wie die Geschichte lehrt, auch entdecken kann. Das Schicksal Anzengrubers hing von den Wiener Zuständen zu seiner Zeit ab, und es war nicht seine Schuld, daß er in den folgenden Jahren mit Sorgen aller Art zu knmpfeu hatte und mitten in der hellsten Schaffensfreude, im rüstigsten Mannes¬ alter geradezu lahmgelegt wurde. Anzengrnber kam aus der Mode, als Wien an den Folgen des wirtschaftlichen Rückganges litt und nicht imstande war, die kurz mich einander niedergebrannten Gebäude des Ring- und des Stadt¬ theaters wieder aufzurichten. Vom Burgtheater schloß ihn nicht bloß der Dialekt, sondern auch der freireligiöse Geist seiner Dichtungen ans. An der Stätte seiner ersten dramatischen Triumphe, auf der Mieder, kam die Operette zur Blüte — die Künstler, die in Anzengrnbers Stücken glänzten, zogen ent¬ weder in die Ferne, wie die Geistinger, Martinelli und Swoboda, oder starben weg, wie Rott und die Gallmeyer. Es kam schließlich so weit, daß Anzengrnber in seiner eignen Heimat gar nicht gespielt wurde und dem Volke nur noch dem Namen nach wie eine litterarische Größe aus fernen Zeiten bekannt war. Um sich und die Seinen vor der gemeinen Not zu schützen, mußte der Dichter Stellungen als Redakteur, zuerst der „Heimat" (1882 bis 1884), dann des „Figaro" annehmen (1884 bis 1889), und an Stelle der dramatischen Pro¬ duktion trat die epische. In den achtziger Jahren hat er nur drei Stücke geschrieben, zwei davon nach eignen Erzählungen: „Stahl und Stein," „Der Fleck auf der Ehr" und die Weihuachtskvinödie: „Heimgfunden," das liebens¬ würdigste seiner wienerischen Dramen. Dagegen fällt sein großer Roman ..Der Sterustciuhof" in diese Zeit (1886), der übrigens keine volkstümliche Wirkung erzielte. Erst als ihm der Grillparzerpreis erteilt worden war und das Volkstheater begründet wurde, begann eine neue Zeit für ihn. Auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/43>, abgerufen am 24.07.2024.