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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Florenz "lib die Kirche

Statuten genannt.) Am 4. September werden die Ratskörperschaften (für
gewöhnlich gab es zwei, kleine und zwei große) befragt; sie sind fast ein¬
stimmig für Aufhebung aller Privilegien der Kleriker. Das neue Statut wird
fertig gemacht, der Klerus aber will deswegen einen Prozeß gegen die Stadt
anstrengen. Eine gemischte Versammlung (d. h. Prioren, Sachverständige und
Gemeinderäte) verhandelt darüber am 19. September. Unter den Anträgen
der Versammelten ist der des Dino Compagni der schärfste. (Das ist der
wirkliche Dino Compagni; der berühmte Geschichtschreiber, der sich hinter
diesen Namen versteckt hat, war, wie Scheffer-Boichhorst nachgewiesen hat, ein
genialer Fälscher ans der Zeit der Spätrenaissanee.) Er beantragt: Wenn
die Kleriker nicht binnen drei Tagen die Klage zurückziehen, so soll man sie
aus ihren Häusern verjagen, sie an der Bestelln"", ihrer Felder verhindern
und für vogelfrei erklären. Mau beschließt, ein Parlament (eine Volks¬
versammlung) zu halte", "aber ohne daß die Luder geschlossen werden." Das
Parlament entscheidet, es solle eine Kommission zur Schlichtung der Sache
eingesetzt werden, und für die Beamten, die sich bei der Geschichte die Ex¬
kommunikation zuziehen würden, sollten die Lossprechnngsgebnhren aus der
Staatskasse bezahlt werden. Ans deu weiter" Berichten ist "ur "och zu er¬
sehe", daß ma" eine Gesandtschaft nu deu Papst geschickt hat.

I" deu neunziger Jahren wurde eine ganze Reihe von Gesetzen gegen
den Klerus erlassen. In allen Stücken wurden sie dem bürgerlichen Recht
unterworfen, und ausdrücklich wurde bemerkt, daß die über einen Richter ver¬
hängte Exkommunikation keinen Rechtsgrund abgebe, die Giltigkeit seines
Spruches anzuzweifeln. Das alles that aber weder der Frömmigkeit noch dem
guten Einvernehmen mit dein Papst Eintrag. Die erstere entfaltete sich muss
glänzendste in Kirchenbauten und milden Stiftungen; die Zünfte wetteiferte"
in der Übernahme freiwilliger Leistungen beim Banen und Ausschmücken von
Gotteshäusern. Zum Neubau des Domes wurde 12Alt der Grund gelegt;
die Wvlleiizuuft übernahm die Werkmeisterschaft. Die heilige Reparata, die
frühere Patronin, schien nicht mehr vornehm genug, das reiche und stolze
Gemeinwesen im Himmel zu repräsentiren. Man wählte die heilige Jungfrau
und legte der neuen Schützerin deu schönklingenden Namen Santa Maria
del Fiore bei. Was übrigens den Kirchenbesuch und die Pilgerschaften an¬
langt, so wechselte das quecksilbrige Völklein seine Lieblingsandachtsstätten
und verschiede" bcuamsteu Madonnen so oft wie seine Kleidermoden lind seine
Staatsverfassungen, d. h. wenigstens viermal im Jahre; die Gottlosen spotteten,
und die ernsten Geister ärgerten sich darüber. Daß die zahlreichen und gro߬
artigen Kirchenbauten nicht lediglich der Frömmigkeit entsprangen, daß es vor¬
zugsweise der Vürgerstvlz, der bürgerliche Gemeinsiiin, der Kunsttrieb und die
Freude am Schönen Ware", die sich in solchen Schöpfungen bethätigten, braucht
kaum besonders bemerkt zu werden. Was aber die Freundschaft mit dein


Florenz »lib die Kirche

Statuten genannt.) Am 4. September werden die Ratskörperschaften (für
gewöhnlich gab es zwei, kleine und zwei große) befragt; sie sind fast ein¬
stimmig für Aufhebung aller Privilegien der Kleriker. Das neue Statut wird
fertig gemacht, der Klerus aber will deswegen einen Prozeß gegen die Stadt
anstrengen. Eine gemischte Versammlung (d. h. Prioren, Sachverständige und
Gemeinderäte) verhandelt darüber am 19. September. Unter den Anträgen
der Versammelten ist der des Dino Compagni der schärfste. (Das ist der
wirkliche Dino Compagni; der berühmte Geschichtschreiber, der sich hinter
diesen Namen versteckt hat, war, wie Scheffer-Boichhorst nachgewiesen hat, ein
genialer Fälscher ans der Zeit der Spätrenaissanee.) Er beantragt: Wenn
die Kleriker nicht binnen drei Tagen die Klage zurückziehen, so soll man sie
aus ihren Häusern verjagen, sie an der Bestelln»«, ihrer Felder verhindern
und für vogelfrei erklären. Mau beschließt, ein Parlament (eine Volks¬
versammlung) zu halte», „aber ohne daß die Luder geschlossen werden." Das
Parlament entscheidet, es solle eine Kommission zur Schlichtung der Sache
eingesetzt werden, und für die Beamten, die sich bei der Geschichte die Ex¬
kommunikation zuziehen würden, sollten die Lossprechnngsgebnhren aus der
Staatskasse bezahlt werden. Ans deu weiter» Berichten ist »ur »och zu er¬
sehe», daß ma» eine Gesandtschaft nu deu Papst geschickt hat.

I» deu neunziger Jahren wurde eine ganze Reihe von Gesetzen gegen
den Klerus erlassen. In allen Stücken wurden sie dem bürgerlichen Recht
unterworfen, und ausdrücklich wurde bemerkt, daß die über einen Richter ver¬
hängte Exkommunikation keinen Rechtsgrund abgebe, die Giltigkeit seines
Spruches anzuzweifeln. Das alles that aber weder der Frömmigkeit noch dem
guten Einvernehmen mit dein Papst Eintrag. Die erstere entfaltete sich muss
glänzendste in Kirchenbauten und milden Stiftungen; die Zünfte wetteiferte»
in der Übernahme freiwilliger Leistungen beim Banen und Ausschmücken von
Gotteshäusern. Zum Neubau des Domes wurde 12Alt der Grund gelegt;
die Wvlleiizuuft übernahm die Werkmeisterschaft. Die heilige Reparata, die
frühere Patronin, schien nicht mehr vornehm genug, das reiche und stolze
Gemeinwesen im Himmel zu repräsentiren. Man wählte die heilige Jungfrau
und legte der neuen Schützerin deu schönklingenden Namen Santa Maria
del Fiore bei. Was übrigens den Kirchenbesuch und die Pilgerschaften an¬
langt, so wechselte das quecksilbrige Völklein seine Lieblingsandachtsstätten
und verschiede« bcuamsteu Madonnen so oft wie seine Kleidermoden lind seine
Staatsverfassungen, d. h. wenigstens viermal im Jahre; die Gottlosen spotteten,
und die ernsten Geister ärgerten sich darüber. Daß die zahlreichen und gro߬
artigen Kirchenbauten nicht lediglich der Frömmigkeit entsprangen, daß es vor¬
zugsweise der Vürgerstvlz, der bürgerliche Gemeinsiiin, der Kunsttrieb und die
Freude am Schönen Ware», die sich in solchen Schöpfungen bethätigten, braucht
kaum besonders bemerkt zu werden. Was aber die Freundschaft mit dein


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[0427] Florenz »lib die Kirche Statuten genannt.) Am 4. September werden die Ratskörperschaften (für gewöhnlich gab es zwei, kleine und zwei große) befragt; sie sind fast ein¬ stimmig für Aufhebung aller Privilegien der Kleriker. Das neue Statut wird fertig gemacht, der Klerus aber will deswegen einen Prozeß gegen die Stadt anstrengen. Eine gemischte Versammlung (d. h. Prioren, Sachverständige und Gemeinderäte) verhandelt darüber am 19. September. Unter den Anträgen der Versammelten ist der des Dino Compagni der schärfste. (Das ist der wirkliche Dino Compagni; der berühmte Geschichtschreiber, der sich hinter diesen Namen versteckt hat, war, wie Scheffer-Boichhorst nachgewiesen hat, ein genialer Fälscher ans der Zeit der Spätrenaissanee.) Er beantragt: Wenn die Kleriker nicht binnen drei Tagen die Klage zurückziehen, so soll man sie aus ihren Häusern verjagen, sie an der Bestelln»«, ihrer Felder verhindern und für vogelfrei erklären. Mau beschließt, ein Parlament (eine Volks¬ versammlung) zu halte», „aber ohne daß die Luder geschlossen werden." Das Parlament entscheidet, es solle eine Kommission zur Schlichtung der Sache eingesetzt werden, und für die Beamten, die sich bei der Geschichte die Ex¬ kommunikation zuziehen würden, sollten die Lossprechnngsgebnhren aus der Staatskasse bezahlt werden. Ans deu weiter» Berichten ist »ur »och zu er¬ sehe», daß ma» eine Gesandtschaft nu deu Papst geschickt hat. I» deu neunziger Jahren wurde eine ganze Reihe von Gesetzen gegen den Klerus erlassen. In allen Stücken wurden sie dem bürgerlichen Recht unterworfen, und ausdrücklich wurde bemerkt, daß die über einen Richter ver¬ hängte Exkommunikation keinen Rechtsgrund abgebe, die Giltigkeit seines Spruches anzuzweifeln. Das alles that aber weder der Frömmigkeit noch dem guten Einvernehmen mit dein Papst Eintrag. Die erstere entfaltete sich muss glänzendste in Kirchenbauten und milden Stiftungen; die Zünfte wetteiferte» in der Übernahme freiwilliger Leistungen beim Banen und Ausschmücken von Gotteshäusern. Zum Neubau des Domes wurde 12Alt der Grund gelegt; die Wvlleiizuuft übernahm die Werkmeisterschaft. Die heilige Reparata, die frühere Patronin, schien nicht mehr vornehm genug, das reiche und stolze Gemeinwesen im Himmel zu repräsentiren. Man wählte die heilige Jungfrau und legte der neuen Schützerin deu schönklingenden Namen Santa Maria del Fiore bei. Was übrigens den Kirchenbesuch und die Pilgerschaften an¬ langt, so wechselte das quecksilbrige Völklein seine Lieblingsandachtsstätten und verschiede« bcuamsteu Madonnen so oft wie seine Kleidermoden lind seine Staatsverfassungen, d. h. wenigstens viermal im Jahre; die Gottlosen spotteten, und die ernsten Geister ärgerten sich darüber. Daß die zahlreichen und gro߬ artigen Kirchenbauten nicht lediglich der Frömmigkeit entsprangen, daß es vor¬ zugsweise der Vürgerstvlz, der bürgerliche Gemeinsiiin, der Kunsttrieb und die Freude am Schönen Ware», die sich in solchen Schöpfungen bethätigten, braucht kaum besonders bemerkt zu werden. Was aber die Freundschaft mit dein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/427>, abgerufen am 24.07.2024.