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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Florenz und bin RUche

Aber man begreift, das; es trotzdem bei der oben dargelegten Partei-
grnppirnng einem geschickte" Agitator nicht schwer fallen konnte, das Volk
gegen die Patarener im Harnisch zu bringen, deren Häupter ans den Schlössern
der Magnaten weilten, und zu deren Schlitz diese bewaffnete Bauern in ihre
Stadtfestungen legten. Einen solchen Demagogen fand der Papst endlich in
jenein Pietro ti Verona, der nnter dem Namen Petrus Martyr auch in
unheiligen Kreisen berühmt geworden ist dnrch ein Gemälde Tizians, das
vor etwa fünfzehn Jahren, wenn wir uns recht erinnern, die Flammen zerstört
haben. Petrus organisirte die Gegner der Magnaten als eine bewaffnete
Brüderschaft der Capitani ti Santa Maria und teilte sie in 12 Kompagnien.
Die Entscheidung dnrch Waffengewalt konnte nun nicht ausbleiben. Da die
Berichte über diese Begebenheiten vorzugsweise von Geistlichen und Mönchen
stammen, so versteht sichs von selbst, daß die Patarener als die Angreifer
erscheinen. An ihrer Spitze stand im Jahre 1244 kein geringerer als der
Pvdestü, dieses Jahres, Pace ti Pesannola ans Bergamo, ein aufrichtiger
Ghibelliue. Am 24. August kam es zum Straßenknmpf. Im entscheidenden
Augenblick übergab Peter die Marienritterfahne einem Rossi, der, einem katholisch
gebliebner Zweige der Baroni entsprossen, vom Familienhasz entflammt den
Ponte Veechio stürmte und ein Blutbad anrichtete. Die Sieger hielten
strenges Gericht; wer von deu überlebenden Patareuern nicht in Santa Maria
Novella das Glaubensbekenntnis ablegte und sich ein rotes Krenz auf die
rechte Schulter befestigen ließ, wurde verbrannt. Die Männer, die deu
Petrus kurz darauf in der Nähe von Como erschlugen, sollen Florentiner
Flüchtlinge gewesen sein. Florenz wartete nicht auf die Heiligsprechung des
Eiferers, sondern setzte ihm Denkmäler an den beiden Punkten, Um die
Schlacht am heftigsten getobt hatte, und die mächtige Wolleuzuuft schmückte
ihren Palast (Or San Michele) mit seinem Bildnis. Ist es einerseits gewiß,
obwohl von den geistlichen Berichterstattern nnr einer es andeutet, daß das
Bündnis der Patarener mit den ghibellinischen Magnaten ster die Partei¬
nahme der Bürger den Ausschlag gegeben hat, so braucht diese Parteinahme
deswegen noch nicht als religiöse Heuchelei ausgelegt zu werden. Der Mensch
handelt fast niemals aus einem einzigen ganz ungemischten Beweggründe.
Auch die gottesfürchtigsten Personen lassen eine sich darbietende Gelegenheit
zu irgend einer Art angenehmen Götzen- oder Teufelsdienst nicht gern unge-
nützt, und auch die frechsten Atheisten stecken wenigstens im Herzenskämmerlein
ttnserm Herrgott hie und da ein Lichtlein auf. Ju Italien zumal soll es
bis auf deu heutigen Tag Freigeister geben, die unter den Kleidern allerlei
Amulette zu Ehren Marias und andrer Heiligen tragen. Läßt sich das Volk,
noch dazu ein so eindrucksfähiges Volk wie das florentinische, zu jeder Art
Schwärmerei leicht hinreißen, so ist nicht abzusehen, warum die Leutchen nicht
in einem Augenblicke, wo die Kirche ihre" llnabhängigkeitsbestrebnngen zu


Florenz und bin RUche

Aber man begreift, das; es trotzdem bei der oben dargelegten Partei-
grnppirnng einem geschickte» Agitator nicht schwer fallen konnte, das Volk
gegen die Patarener im Harnisch zu bringen, deren Häupter ans den Schlössern
der Magnaten weilten, und zu deren Schlitz diese bewaffnete Bauern in ihre
Stadtfestungen legten. Einen solchen Demagogen fand der Papst endlich in
jenein Pietro ti Verona, der nnter dem Namen Petrus Martyr auch in
unheiligen Kreisen berühmt geworden ist dnrch ein Gemälde Tizians, das
vor etwa fünfzehn Jahren, wenn wir uns recht erinnern, die Flammen zerstört
haben. Petrus organisirte die Gegner der Magnaten als eine bewaffnete
Brüderschaft der Capitani ti Santa Maria und teilte sie in 12 Kompagnien.
Die Entscheidung dnrch Waffengewalt konnte nun nicht ausbleiben. Da die
Berichte über diese Begebenheiten vorzugsweise von Geistlichen und Mönchen
stammen, so versteht sichs von selbst, daß die Patarener als die Angreifer
erscheinen. An ihrer Spitze stand im Jahre 1244 kein geringerer als der
Pvdestü, dieses Jahres, Pace ti Pesannola ans Bergamo, ein aufrichtiger
Ghibelliue. Am 24. August kam es zum Straßenknmpf. Im entscheidenden
Augenblick übergab Peter die Marienritterfahne einem Rossi, der, einem katholisch
gebliebner Zweige der Baroni entsprossen, vom Familienhasz entflammt den
Ponte Veechio stürmte und ein Blutbad anrichtete. Die Sieger hielten
strenges Gericht; wer von deu überlebenden Patareuern nicht in Santa Maria
Novella das Glaubensbekenntnis ablegte und sich ein rotes Krenz auf die
rechte Schulter befestigen ließ, wurde verbrannt. Die Männer, die deu
Petrus kurz darauf in der Nähe von Como erschlugen, sollen Florentiner
Flüchtlinge gewesen sein. Florenz wartete nicht auf die Heiligsprechung des
Eiferers, sondern setzte ihm Denkmäler an den beiden Punkten, Um die
Schlacht am heftigsten getobt hatte, und die mächtige Wolleuzuuft schmückte
ihren Palast (Or San Michele) mit seinem Bildnis. Ist es einerseits gewiß,
obwohl von den geistlichen Berichterstattern nnr einer es andeutet, daß das
Bündnis der Patarener mit den ghibellinischen Magnaten ster die Partei¬
nahme der Bürger den Ausschlag gegeben hat, so braucht diese Parteinahme
deswegen noch nicht als religiöse Heuchelei ausgelegt zu werden. Der Mensch
handelt fast niemals aus einem einzigen ganz ungemischten Beweggründe.
Auch die gottesfürchtigsten Personen lassen eine sich darbietende Gelegenheit
zu irgend einer Art angenehmen Götzen- oder Teufelsdienst nicht gern unge-
nützt, und auch die frechsten Atheisten stecken wenigstens im Herzenskämmerlein
ttnserm Herrgott hie und da ein Lichtlein auf. Ju Italien zumal soll es
bis auf deu heutigen Tag Freigeister geben, die unter den Kleidern allerlei
Amulette zu Ehren Marias und andrer Heiligen tragen. Läßt sich das Volk,
noch dazu ein so eindrucksfähiges Volk wie das florentinische, zu jeder Art
Schwärmerei leicht hinreißen, so ist nicht abzusehen, warum die Leutchen nicht
in einem Augenblicke, wo die Kirche ihre» llnabhängigkeitsbestrebnngen zu


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[0424] Florenz und bin RUche Aber man begreift, das; es trotzdem bei der oben dargelegten Partei- grnppirnng einem geschickte» Agitator nicht schwer fallen konnte, das Volk gegen die Patarener im Harnisch zu bringen, deren Häupter ans den Schlössern der Magnaten weilten, und zu deren Schlitz diese bewaffnete Bauern in ihre Stadtfestungen legten. Einen solchen Demagogen fand der Papst endlich in jenein Pietro ti Verona, der nnter dem Namen Petrus Martyr auch in unheiligen Kreisen berühmt geworden ist dnrch ein Gemälde Tizians, das vor etwa fünfzehn Jahren, wenn wir uns recht erinnern, die Flammen zerstört haben. Petrus organisirte die Gegner der Magnaten als eine bewaffnete Brüderschaft der Capitani ti Santa Maria und teilte sie in 12 Kompagnien. Die Entscheidung dnrch Waffengewalt konnte nun nicht ausbleiben. Da die Berichte über diese Begebenheiten vorzugsweise von Geistlichen und Mönchen stammen, so versteht sichs von selbst, daß die Patarener als die Angreifer erscheinen. An ihrer Spitze stand im Jahre 1244 kein geringerer als der Pvdestü, dieses Jahres, Pace ti Pesannola ans Bergamo, ein aufrichtiger Ghibelliue. Am 24. August kam es zum Straßenknmpf. Im entscheidenden Augenblick übergab Peter die Marienritterfahne einem Rossi, der, einem katholisch gebliebner Zweige der Baroni entsprossen, vom Familienhasz entflammt den Ponte Veechio stürmte und ein Blutbad anrichtete. Die Sieger hielten strenges Gericht; wer von deu überlebenden Patareuern nicht in Santa Maria Novella das Glaubensbekenntnis ablegte und sich ein rotes Krenz auf die rechte Schulter befestigen ließ, wurde verbrannt. Die Männer, die deu Petrus kurz darauf in der Nähe von Como erschlugen, sollen Florentiner Flüchtlinge gewesen sein. Florenz wartete nicht auf die Heiligsprechung des Eiferers, sondern setzte ihm Denkmäler an den beiden Punkten, Um die Schlacht am heftigsten getobt hatte, und die mächtige Wolleuzuuft schmückte ihren Palast (Or San Michele) mit seinem Bildnis. Ist es einerseits gewiß, obwohl von den geistlichen Berichterstattern nnr einer es andeutet, daß das Bündnis der Patarener mit den ghibellinischen Magnaten ster die Partei¬ nahme der Bürger den Ausschlag gegeben hat, so braucht diese Parteinahme deswegen noch nicht als religiöse Heuchelei ausgelegt zu werden. Der Mensch handelt fast niemals aus einem einzigen ganz ungemischten Beweggründe. Auch die gottesfürchtigsten Personen lassen eine sich darbietende Gelegenheit zu irgend einer Art angenehmen Götzen- oder Teufelsdienst nicht gern unge- nützt, und auch die frechsten Atheisten stecken wenigstens im Herzenskämmerlein ttnserm Herrgott hie und da ein Lichtlein auf. Ju Italien zumal soll es bis auf deu heutigen Tag Freigeister geben, die unter den Kleidern allerlei Amulette zu Ehren Marias und andrer Heiligen tragen. Läßt sich das Volk, noch dazu ein so eindrucksfähiges Volk wie das florentinische, zu jeder Art Schwärmerei leicht hinreißen, so ist nicht abzusehen, warum die Leutchen nicht in einem Augenblicke, wo die Kirche ihre» llnabhängigkeitsbestrebnngen zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/424>, abgerufen am 24.07.2024.