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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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technischen Fragen die Meinungen der Sachverständigen häufig aufs schroffste
gegenüberstehen, daß aber etwas geschehen muß, wenn es nicht bei anerkannt
unhaltbaren Zuständen verbleiben soll, so erklärt sich, daß der Staat auch an
der Spitze rein technischer Behörden die Juristen nicht ganz hat missen mögen.
Der Stlchcntscheid wird dann wahrscheinlich ster die Meinung fallen, die es
verstanden hat, den betreffenden Minister oder geheimen oder öffentlichen Rat,
der zwar nicht technisch gebildet, aber zum Eindringen in das Wesen der
Dinge befähigt ist, von ihrer Nichtigkeit zu überzeugen. So darf ja anch der
Prozeßrichter trotz widerstreitender Gutachten der Sachverständigen sein Urteil
nicht verweigern. Es ist zehn gegen eins zu wetten, daß die Meinung, die
verständige und unbefangene Dritte zu überzeugen gewußt hat, auch sachlich
die richtigere ist. Den Mut, im Hochgefühle des Besserwissens sich über allen
sachverständigen Beirat hinwegzusetzen, hat doch so leicht kein Büreanlrat.
Unter Umständen wird aber der bahnbrechende Genius, gleichviel ob er einer
Faknltnt und welcher er entsprossen ist, auch diesen Entschluß zu finden wissen,
so wie es der höchste Beweis militärischer Befähigung ist, auch einmal einem
gegebenen Befehle zuwiderzuhandeln. Fürst Bismarck hat, wie er oft aus¬
gesprochen hat, die Gesundung unsrer wirtschaftlichen Verhältnisse erst zu Wege
gebracht, als er sich entschlossen hatte, die Dinge nicht mehr den Fachministerien
allein zu überlassen. Hoffentlich klingt das nicht, als wenn wir Juristen alle
etwas vom Bismarckschen Geiste in uns spürten; aber wir zählen ihn doch stolz
zu den Unsern, so wenig er heute von seinen ehemaligen Kollegen wissen mag.

In der eigentlichen Rechtspflege wirken bekanntlich die Laien nur bei den
amtsgerichtlichen Schöffengerichten und den Schwurgerichten, sowie bei den
Kammern für Handelssachen mit. In Strafsachen sind mithin nur noch die
Strafkammern der Landgerichte und die höhern Instanzen, Oberlandesgerichte,
Reichsgericht, bureaukratisch, d. h. nur aus juristischen Richtern zusammen¬
gesetzt. Man kann wohl sagen, daß diese Einrichtung nirgends weniger Anhänger
als in den Strafkammern hat. Es wird heute nnr wenig Richter geben, die
nicht freudig bereit wären, mit den Laien zusammenzuarbeiten. Nicht nnr,
weil das Vertrauen auf die Gerichte -- bekanntlich fast ebenso wertvoll, als
ihre Tüchtigkeit selbst -- hierdurch gekräftigt wird, fondern in der ehrlichen
Überzeugung, daß damit der Gefahr flüchtiger und schablonenhafter Behand¬
lung der massenhaften Straffnlle vorgebeugt, die Gewähr für eine richtige
Entscheidung der Schuldfrage gesteigert und eine allzu spitzfindige, vom ge¬
sunden Menschenverstande sich entfernende Gesetzesauslegung verhindert wird.
Ich hätte vor der Entscheidung auf manche Anklage wegen groben Unfugs
oder wegen Beleidigung gern die Meinung eines urteilsfähigen, anständigen
Mannes gehört, der in der beneidenswerten Lage wäre, von Gesetzesmaterialien,
Präjudizien, Kommentaren u. tgi. keine Ahnung zu haben. Also darüber,
daß die Mitwirkung der Laien bei allen Strafsachen erster Instanz erwünscht


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technischen Fragen die Meinungen der Sachverständigen häufig aufs schroffste
gegenüberstehen, daß aber etwas geschehen muß, wenn es nicht bei anerkannt
unhaltbaren Zuständen verbleiben soll, so erklärt sich, daß der Staat auch an
der Spitze rein technischer Behörden die Juristen nicht ganz hat missen mögen.
Der Stlchcntscheid wird dann wahrscheinlich ster die Meinung fallen, die es
verstanden hat, den betreffenden Minister oder geheimen oder öffentlichen Rat,
der zwar nicht technisch gebildet, aber zum Eindringen in das Wesen der
Dinge befähigt ist, von ihrer Nichtigkeit zu überzeugen. So darf ja anch der
Prozeßrichter trotz widerstreitender Gutachten der Sachverständigen sein Urteil
nicht verweigern. Es ist zehn gegen eins zu wetten, daß die Meinung, die
verständige und unbefangene Dritte zu überzeugen gewußt hat, auch sachlich
die richtigere ist. Den Mut, im Hochgefühle des Besserwissens sich über allen
sachverständigen Beirat hinwegzusetzen, hat doch so leicht kein Büreanlrat.
Unter Umständen wird aber der bahnbrechende Genius, gleichviel ob er einer
Faknltnt und welcher er entsprossen ist, auch diesen Entschluß zu finden wissen,
so wie es der höchste Beweis militärischer Befähigung ist, auch einmal einem
gegebenen Befehle zuwiderzuhandeln. Fürst Bismarck hat, wie er oft aus¬
gesprochen hat, die Gesundung unsrer wirtschaftlichen Verhältnisse erst zu Wege
gebracht, als er sich entschlossen hatte, die Dinge nicht mehr den Fachministerien
allein zu überlassen. Hoffentlich klingt das nicht, als wenn wir Juristen alle
etwas vom Bismarckschen Geiste in uns spürten; aber wir zählen ihn doch stolz
zu den Unsern, so wenig er heute von seinen ehemaligen Kollegen wissen mag.

In der eigentlichen Rechtspflege wirken bekanntlich die Laien nur bei den
amtsgerichtlichen Schöffengerichten und den Schwurgerichten, sowie bei den
Kammern für Handelssachen mit. In Strafsachen sind mithin nur noch die
Strafkammern der Landgerichte und die höhern Instanzen, Oberlandesgerichte,
Reichsgericht, bureaukratisch, d. h. nur aus juristischen Richtern zusammen¬
gesetzt. Man kann wohl sagen, daß diese Einrichtung nirgends weniger Anhänger
als in den Strafkammern hat. Es wird heute nnr wenig Richter geben, die
nicht freudig bereit wären, mit den Laien zusammenzuarbeiten. Nicht nnr,
weil das Vertrauen auf die Gerichte — bekanntlich fast ebenso wertvoll, als
ihre Tüchtigkeit selbst — hierdurch gekräftigt wird, fondern in der ehrlichen
Überzeugung, daß damit der Gefahr flüchtiger und schablonenhafter Behand¬
lung der massenhaften Straffnlle vorgebeugt, die Gewähr für eine richtige
Entscheidung der Schuldfrage gesteigert und eine allzu spitzfindige, vom ge¬
sunden Menschenverstande sich entfernende Gesetzesauslegung verhindert wird.
Ich hätte vor der Entscheidung auf manche Anklage wegen groben Unfugs
oder wegen Beleidigung gern die Meinung eines urteilsfähigen, anständigen
Mannes gehört, der in der beneidenswerten Lage wäre, von Gesetzesmaterialien,
Präjudizien, Kommentaren u. tgi. keine Ahnung zu haben. Also darüber,
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[0410] Unsre Büroaukrciten technischen Fragen die Meinungen der Sachverständigen häufig aufs schroffste gegenüberstehen, daß aber etwas geschehen muß, wenn es nicht bei anerkannt unhaltbaren Zuständen verbleiben soll, so erklärt sich, daß der Staat auch an der Spitze rein technischer Behörden die Juristen nicht ganz hat missen mögen. Der Stlchcntscheid wird dann wahrscheinlich ster die Meinung fallen, die es verstanden hat, den betreffenden Minister oder geheimen oder öffentlichen Rat, der zwar nicht technisch gebildet, aber zum Eindringen in das Wesen der Dinge befähigt ist, von ihrer Nichtigkeit zu überzeugen. So darf ja anch der Prozeßrichter trotz widerstreitender Gutachten der Sachverständigen sein Urteil nicht verweigern. Es ist zehn gegen eins zu wetten, daß die Meinung, die verständige und unbefangene Dritte zu überzeugen gewußt hat, auch sachlich die richtigere ist. Den Mut, im Hochgefühle des Besserwissens sich über allen sachverständigen Beirat hinwegzusetzen, hat doch so leicht kein Büreanlrat. Unter Umständen wird aber der bahnbrechende Genius, gleichviel ob er einer Faknltnt und welcher er entsprossen ist, auch diesen Entschluß zu finden wissen, so wie es der höchste Beweis militärischer Befähigung ist, auch einmal einem gegebenen Befehle zuwiderzuhandeln. Fürst Bismarck hat, wie er oft aus¬ gesprochen hat, die Gesundung unsrer wirtschaftlichen Verhältnisse erst zu Wege gebracht, als er sich entschlossen hatte, die Dinge nicht mehr den Fachministerien allein zu überlassen. Hoffentlich klingt das nicht, als wenn wir Juristen alle etwas vom Bismarckschen Geiste in uns spürten; aber wir zählen ihn doch stolz zu den Unsern, so wenig er heute von seinen ehemaligen Kollegen wissen mag. In der eigentlichen Rechtspflege wirken bekanntlich die Laien nur bei den amtsgerichtlichen Schöffengerichten und den Schwurgerichten, sowie bei den Kammern für Handelssachen mit. In Strafsachen sind mithin nur noch die Strafkammern der Landgerichte und die höhern Instanzen, Oberlandesgerichte, Reichsgericht, bureaukratisch, d. h. nur aus juristischen Richtern zusammen¬ gesetzt. Man kann wohl sagen, daß diese Einrichtung nirgends weniger Anhänger als in den Strafkammern hat. Es wird heute nnr wenig Richter geben, die nicht freudig bereit wären, mit den Laien zusammenzuarbeiten. Nicht nnr, weil das Vertrauen auf die Gerichte — bekanntlich fast ebenso wertvoll, als ihre Tüchtigkeit selbst — hierdurch gekräftigt wird, fondern in der ehrlichen Überzeugung, daß damit der Gefahr flüchtiger und schablonenhafter Behand¬ lung der massenhaften Straffnlle vorgebeugt, die Gewähr für eine richtige Entscheidung der Schuldfrage gesteigert und eine allzu spitzfindige, vom ge¬ sunden Menschenverstande sich entfernende Gesetzesauslegung verhindert wird. Ich hätte vor der Entscheidung auf manche Anklage wegen groben Unfugs oder wegen Beleidigung gern die Meinung eines urteilsfähigen, anständigen Mannes gehört, der in der beneidenswerten Lage wäre, von Gesetzesmaterialien, Präjudizien, Kommentaren u. tgi. keine Ahnung zu haben. Also darüber, daß die Mitwirkung der Laien bei allen Strafsachen erster Instanz erwünscht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/410>, abgerufen am 24.07.2024.