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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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da wohl sage", das sieht auf dem Papier ganz schön ans, in Wahrheit machen
aber die Juristen doch, was sie wollen, die Laien sind bloß Statisten. Aber
wo einmal ein beschließendes Zusammenwirken von Laien und Juristen statt¬
findet, da haben die erstem regelmäßig sogar die Mehrheit. Sie tragen
folglich, wie auch in der konstitutionellen Gesetzgebung, die Verantwortung mit
für die Entscheidungen, die man als formalistisch, unpraktisch, falsch, schlecht,
mit einem Worte als bureaukratisch schelten zu dürfen glaubt. Vielleicht giebt
es aber, wenn sich wirklich einmal die Laienmitglieder einer Behörde von den
Juristen haben "herumkriegen lassen," auch eine andre Erklärung. Vielleicht
standen die ursprünglichen Meinungen auf einem etwas einseitigen Jnteressen-
standpunkte, vielleicht ließen sie sich überzeugen, daß die Interessen des All¬
gemeinwohls den Vortritt hätten, vielleicht liehen sie den Gründen der Büreau-
kraten auch deshalb ihr Ohr, weil ihnen der Gedanke, es könne jenen um
etwas andres als um die Sache zu thun sein, ausgeschlossen schien. Dann
brauchten sie sich aber auch nicht zu schämen, daß sie sich, und wäre es auch
durch einen Juristen, eines Bessern belehren ließen. Dann wird aber mich
die Entscheidung selbst den Vorwurf, "vom grünen Tisch" ergangen zu sein,
schwerlich verdienen.

Man mag sagen, was man will, auch wenn der Jurist uicht in allen
göttlichen und weltlichen Dingen zu Hause ist, bringt er ihnen doch verhältnis¬
mäßig mehr Unbefangenheit, Objektivität entgegen, als die meisten andern
Gleichgebildeten. Aus den geistreichen Scherz, diese Unbefangenheit sei "durch
^Sachkenntnis uicht getrübt," bin ich gefaßt. Auch auf den Einwand, daß ich
xro clomo redete. Aber wer sonst nimmt sich heute wie zu den Zeiten unsers
Kollegen Cieero der Juristen an? Von jeher ist es der Zweck der Gesetze
gewesen, nach dem Satze: "Alle berechtigten Interessen sind harmonisch" die sich
widerstreitenden Interessen ans einer gerechten Mittellinie zu vereinigen. Den
verschiednen Völkern ist dies ans den verschiednen Kulturstufen mehr oder
weniger, keinem allerdings vollständig gelungen. Sollte aber nicht schon das
Studium alter und neuer Gesetze, um wie viel mehr ihre praktische Hand¬
habung, die den Richter wie den Verwaltungsbeamten jeden Augenblick in
die allerverschiedensten Lebensverhältnisse hineinstellt, den Juristen besser als
manche andre befähigen, diesen Verhältnissen gerecht zu werden, jene Mittel¬
linie zu finden? Es ist bezeichnend, daß die Juristen -- Beamte und Anwälte --
mich in den zahlreichen Laienämtern, die ihnen nicht vom Staate, sondern
mir durch das Vertrauen ihrer Mitbürger übertragen werden können, stark
begehrt und vertreten sind. Gewiß sind sie nicht die einzigen, die Gerechtig¬
keitssinn und die Kraft, ihm Geltung zu verschaffen, besitzen. Umgekehrt wird
es immer Juristen geben, denen diese Befähigung trotz glänzend bestandener
Prüfungen mehr oder minder abgeht. Aber in welchem Stande Hütte nicht
so mancher schon seinen Beruf verfehlt? Bedenkt man, daß sich auch in rein


da wohl sage», das sieht auf dem Papier ganz schön ans, in Wahrheit machen
aber die Juristen doch, was sie wollen, die Laien sind bloß Statisten. Aber
wo einmal ein beschließendes Zusammenwirken von Laien und Juristen statt¬
findet, da haben die erstem regelmäßig sogar die Mehrheit. Sie tragen
folglich, wie auch in der konstitutionellen Gesetzgebung, die Verantwortung mit
für die Entscheidungen, die man als formalistisch, unpraktisch, falsch, schlecht,
mit einem Worte als bureaukratisch schelten zu dürfen glaubt. Vielleicht giebt
es aber, wenn sich wirklich einmal die Laienmitglieder einer Behörde von den
Juristen haben „herumkriegen lassen," auch eine andre Erklärung. Vielleicht
standen die ursprünglichen Meinungen auf einem etwas einseitigen Jnteressen-
standpunkte, vielleicht ließen sie sich überzeugen, daß die Interessen des All¬
gemeinwohls den Vortritt hätten, vielleicht liehen sie den Gründen der Büreau-
kraten auch deshalb ihr Ohr, weil ihnen der Gedanke, es könne jenen um
etwas andres als um die Sache zu thun sein, ausgeschlossen schien. Dann
brauchten sie sich aber auch nicht zu schämen, daß sie sich, und wäre es auch
durch einen Juristen, eines Bessern belehren ließen. Dann wird aber mich
die Entscheidung selbst den Vorwurf, „vom grünen Tisch" ergangen zu sein,
schwerlich verdienen.

Man mag sagen, was man will, auch wenn der Jurist uicht in allen
göttlichen und weltlichen Dingen zu Hause ist, bringt er ihnen doch verhältnis¬
mäßig mehr Unbefangenheit, Objektivität entgegen, als die meisten andern
Gleichgebildeten. Aus den geistreichen Scherz, diese Unbefangenheit sei „durch
^Sachkenntnis uicht getrübt," bin ich gefaßt. Auch auf den Einwand, daß ich
xro clomo redete. Aber wer sonst nimmt sich heute wie zu den Zeiten unsers
Kollegen Cieero der Juristen an? Von jeher ist es der Zweck der Gesetze
gewesen, nach dem Satze: „Alle berechtigten Interessen sind harmonisch" die sich
widerstreitenden Interessen ans einer gerechten Mittellinie zu vereinigen. Den
verschiednen Völkern ist dies ans den verschiednen Kulturstufen mehr oder
weniger, keinem allerdings vollständig gelungen. Sollte aber nicht schon das
Studium alter und neuer Gesetze, um wie viel mehr ihre praktische Hand¬
habung, die den Richter wie den Verwaltungsbeamten jeden Augenblick in
die allerverschiedensten Lebensverhältnisse hineinstellt, den Juristen besser als
manche andre befähigen, diesen Verhältnissen gerecht zu werden, jene Mittel¬
linie zu finden? Es ist bezeichnend, daß die Juristen — Beamte und Anwälte —
mich in den zahlreichen Laienämtern, die ihnen nicht vom Staate, sondern
mir durch das Vertrauen ihrer Mitbürger übertragen werden können, stark
begehrt und vertreten sind. Gewiß sind sie nicht die einzigen, die Gerechtig¬
keitssinn und die Kraft, ihm Geltung zu verschaffen, besitzen. Umgekehrt wird
es immer Juristen geben, denen diese Befähigung trotz glänzend bestandener
Prüfungen mehr oder minder abgeht. Aber in welchem Stande Hütte nicht
so mancher schon seinen Beruf verfehlt? Bedenkt man, daß sich auch in rein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/409>, abgerufen am 24.07.2024.