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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Unsre Bureaukraten

französische Moden nachzuahmen. Einen schönen, leider nicht konsequent durch¬
geführten Anfang dazu hat die Militärverwaltung gemacht. Ans S. der
Felddienstvrduuug heißt es: "Die Adresse wird kurz geschrieben: An General¬
leutnant A."

Doch das sind Äußerlichkeiten. Schlimmer wäre es, wenn die Bureau¬
kraten ihrem Berufe, die Volkswohlfahrt zu Pflegen und Recht zu finden, anch
sachlich nicht gewachsen wären. Aber steht es denn so fest, daß es die Nicht-
juristen besser gemacht haben wurden? Vielleicht wäre manche unpraktische
und deshalb falsche Maßregel oder Entscheidung vermieden, dafür aber so
manche andre erlassen worden, die ohne oder anch gegen das Gesetz, nach sub¬
jektivem Befinden, mit andern Worten nach Willkür ergangen wäre. Was
ist wohl das Schlimmere von beiden? Auch sollte man sich doch immer
wieder vor der Gefahr hüte", einzelne unliebsame Erfahrungen zu verall¬
gemeinern. Es ist nun einmal mehr Freude, d. h. Schadenfreude über einen
Sünder, als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße uicht bedürfen.
Natürlich darf das Streben nach möglichster Vervollkommnung aller staat¬
lichen Einrichtungen nud ihrer Träger, der Beamten, die kein Staat der Welt,
namentlich in der Zeit der Arbeitsteilung, ganz entbehren kann, nie erlahmen.
Ob er sie aus den sogenannten gelehrten Ständen und ans welcher der vier
Fakultäten er sie nimmt, bleibt an und für sich gleichgiltig. So lange aber
die Definition um Eingange der Institutionen: ^uri8pruni6mein est clivin-nun
at-ano Iiunmng,rinn rsrum rollten, .justi allzus ii^usti svlsutm noch nicht ganz
zum Zerrbild geworden ist, werden im Zweifel doch die Juristen das brauch¬
barste Material liefern. Was am besten geschehen soll, um sie jenem er¬
habenen Bildungsideal zuzuführen, darüber naße ich mir kein Urteil an.
Sicher steht die Frage im engsten Zusammenhange mit der großen Tagesfrage
der Gestaltung unsers höhern Bildungswesens überhaupt. Das Eintreten
des Kaisers bürgt dafür, daß ihre Lösung uicht bureaukratisch, im schlechten
Sinne des Wortes, erfolgen wird.

Der Weg, das Volk selbst zur Erledigung der staatlichen Aufgaben mit
heranzuziehen und damit den büreaukratischen Einfluß zurückzudrängen, ist heute
überall in Deutschland so ausgiebig betreten worden, daß nnr im einzelnen
noch zu wünschen übrig bleibt. Die Selbstverwaltung der Gemeinden, Armen¬
pflege, Steuerabschützuug, Kirchenverwaltung, Berufsgenossenschaften, Kranken¬
versicherung u. s. w. sind ganz oder doch überwiegend in die Hände von Laien
gelegt. Auch in der reinen Staatsverwaltung sind sie als Mitglieder
der Kreis-, Bezirks-, Provinzialansschüsse, Eisenbahn- und Landwirtschafts¬
räte u. f. w. überall beteiligt. Die obersten Spitzen endlich erfreuen sich z. B.
bei den Etatsberatungen der ausgiebigste" Kontrolle durch die Herren Volks¬
vertreter. Der Spielraum für den reinen Büreaukratismus ist also, wie mau
billigerweise zugeben sollte, heutzutage doch recht sehr beengt. Ja, hört man


Unsre Bureaukraten

französische Moden nachzuahmen. Einen schönen, leider nicht konsequent durch¬
geführten Anfang dazu hat die Militärverwaltung gemacht. Ans S. der
Felddienstvrduuug heißt es: „Die Adresse wird kurz geschrieben: An General¬
leutnant A."

Doch das sind Äußerlichkeiten. Schlimmer wäre es, wenn die Bureau¬
kraten ihrem Berufe, die Volkswohlfahrt zu Pflegen und Recht zu finden, anch
sachlich nicht gewachsen wären. Aber steht es denn so fest, daß es die Nicht-
juristen besser gemacht haben wurden? Vielleicht wäre manche unpraktische
und deshalb falsche Maßregel oder Entscheidung vermieden, dafür aber so
manche andre erlassen worden, die ohne oder anch gegen das Gesetz, nach sub¬
jektivem Befinden, mit andern Worten nach Willkür ergangen wäre. Was
ist wohl das Schlimmere von beiden? Auch sollte man sich doch immer
wieder vor der Gefahr hüte», einzelne unliebsame Erfahrungen zu verall¬
gemeinern. Es ist nun einmal mehr Freude, d. h. Schadenfreude über einen
Sünder, als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße uicht bedürfen.
Natürlich darf das Streben nach möglichster Vervollkommnung aller staat¬
lichen Einrichtungen nud ihrer Träger, der Beamten, die kein Staat der Welt,
namentlich in der Zeit der Arbeitsteilung, ganz entbehren kann, nie erlahmen.
Ob er sie aus den sogenannten gelehrten Ständen und ans welcher der vier
Fakultäten er sie nimmt, bleibt an und für sich gleichgiltig. So lange aber
die Definition um Eingange der Institutionen: ^uri8pruni6mein est clivin-nun
at-ano Iiunmng,rinn rsrum rollten, .justi allzus ii^usti svlsutm noch nicht ganz
zum Zerrbild geworden ist, werden im Zweifel doch die Juristen das brauch¬
barste Material liefern. Was am besten geschehen soll, um sie jenem er¬
habenen Bildungsideal zuzuführen, darüber naße ich mir kein Urteil an.
Sicher steht die Frage im engsten Zusammenhange mit der großen Tagesfrage
der Gestaltung unsers höhern Bildungswesens überhaupt. Das Eintreten
des Kaisers bürgt dafür, daß ihre Lösung uicht bureaukratisch, im schlechten
Sinne des Wortes, erfolgen wird.

Der Weg, das Volk selbst zur Erledigung der staatlichen Aufgaben mit
heranzuziehen und damit den büreaukratischen Einfluß zurückzudrängen, ist heute
überall in Deutschland so ausgiebig betreten worden, daß nnr im einzelnen
noch zu wünschen übrig bleibt. Die Selbstverwaltung der Gemeinden, Armen¬
pflege, Steuerabschützuug, Kirchenverwaltung, Berufsgenossenschaften, Kranken¬
versicherung u. s. w. sind ganz oder doch überwiegend in die Hände von Laien
gelegt. Auch in der reinen Staatsverwaltung sind sie als Mitglieder
der Kreis-, Bezirks-, Provinzialansschüsse, Eisenbahn- und Landwirtschafts¬
räte u. f. w. überall beteiligt. Die obersten Spitzen endlich erfreuen sich z. B.
bei den Etatsberatungen der ausgiebigste» Kontrolle durch die Herren Volks¬
vertreter. Der Spielraum für den reinen Büreaukratismus ist also, wie mau
billigerweise zugeben sollte, heutzutage doch recht sehr beengt. Ja, hört man


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[0408] Unsre Bureaukraten französische Moden nachzuahmen. Einen schönen, leider nicht konsequent durch¬ geführten Anfang dazu hat die Militärverwaltung gemacht. Ans S. der Felddienstvrduuug heißt es: „Die Adresse wird kurz geschrieben: An General¬ leutnant A." Doch das sind Äußerlichkeiten. Schlimmer wäre es, wenn die Bureau¬ kraten ihrem Berufe, die Volkswohlfahrt zu Pflegen und Recht zu finden, anch sachlich nicht gewachsen wären. Aber steht es denn so fest, daß es die Nicht- juristen besser gemacht haben wurden? Vielleicht wäre manche unpraktische und deshalb falsche Maßregel oder Entscheidung vermieden, dafür aber so manche andre erlassen worden, die ohne oder anch gegen das Gesetz, nach sub¬ jektivem Befinden, mit andern Worten nach Willkür ergangen wäre. Was ist wohl das Schlimmere von beiden? Auch sollte man sich doch immer wieder vor der Gefahr hüte», einzelne unliebsame Erfahrungen zu verall¬ gemeinern. Es ist nun einmal mehr Freude, d. h. Schadenfreude über einen Sünder, als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße uicht bedürfen. Natürlich darf das Streben nach möglichster Vervollkommnung aller staat¬ lichen Einrichtungen nud ihrer Träger, der Beamten, die kein Staat der Welt, namentlich in der Zeit der Arbeitsteilung, ganz entbehren kann, nie erlahmen. Ob er sie aus den sogenannten gelehrten Ständen und ans welcher der vier Fakultäten er sie nimmt, bleibt an und für sich gleichgiltig. So lange aber die Definition um Eingange der Institutionen: ^uri8pruni6mein est clivin-nun at-ano Iiunmng,rinn rsrum rollten, .justi allzus ii^usti svlsutm noch nicht ganz zum Zerrbild geworden ist, werden im Zweifel doch die Juristen das brauch¬ barste Material liefern. Was am besten geschehen soll, um sie jenem er¬ habenen Bildungsideal zuzuführen, darüber naße ich mir kein Urteil an. Sicher steht die Frage im engsten Zusammenhange mit der großen Tagesfrage der Gestaltung unsers höhern Bildungswesens überhaupt. Das Eintreten des Kaisers bürgt dafür, daß ihre Lösung uicht bureaukratisch, im schlechten Sinne des Wortes, erfolgen wird. Der Weg, das Volk selbst zur Erledigung der staatlichen Aufgaben mit heranzuziehen und damit den büreaukratischen Einfluß zurückzudrängen, ist heute überall in Deutschland so ausgiebig betreten worden, daß nnr im einzelnen noch zu wünschen übrig bleibt. Die Selbstverwaltung der Gemeinden, Armen¬ pflege, Steuerabschützuug, Kirchenverwaltung, Berufsgenossenschaften, Kranken¬ versicherung u. s. w. sind ganz oder doch überwiegend in die Hände von Laien gelegt. Auch in der reinen Staatsverwaltung sind sie als Mitglieder der Kreis-, Bezirks-, Provinzialansschüsse, Eisenbahn- und Landwirtschafts¬ räte u. f. w. überall beteiligt. Die obersten Spitzen endlich erfreuen sich z. B. bei den Etatsberatungen der ausgiebigste» Kontrolle durch die Herren Volks¬ vertreter. Der Spielraum für den reinen Büreaukratismus ist also, wie mau billigerweise zugeben sollte, heutzutage doch recht sehr beengt. Ja, hört man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/408>, abgerufen am 24.07.2024.