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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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zielen auf die Erweckung derselben frischen Morgenstimmung ab. wie z. B.
der mit den Worten beginnende


ZÄi ol!>,r", vox ro<l!erz;u^
Odsoura ninno<ius, porsoiuuis:
l'rovul t'uxvntur somnia.

Askese und Mystik werdeu zwar in der katholischen Kirche von einem be¬
sondern Berufsstaude als eine zu erlernende Kunst fachmünuisch betrieben (im
Protestantismus haben kleinere Sekten die Aufgabe.übernommen, den Geist der
religiösen Orden weiter zu Pflegen), aber die Lehrbücher verfehlen nicht ein¬
zuschärfen, daß zwar die pig. pu-g'alio^ keinem, der selig werden wolle, erspart
bleiben könne, das Erklimmen der on contomxliMvii und rmitiva im sterblichen
Fleische aber allemal ein gefährliches Wagnis sei, das nicht selten mit dem
tragischen Sturz in Luzifers Abgrund gebüßt werde. Besonnenen Seelsorgern
wird immer angst, wenn eines ihrer Kirchkinder, gewöhnlich ist es ssvinnis
kenüinm, sich vom gewöhnlichen Wege zu entfernen beginnt und sich ans außer¬
ordentliche geistliche Übungen und auf das Studium der Mystiker verlegt.
(Übrigens sprechen diese Mystiker zwar stets von der Vernichtung ihres eignen
Ichs, verlieren dieses aber niemals so ganz, daß sie nicht die Wollust der
Versenkung in Gott empfanden; sie streben also nicht die buddhistische Nirwana,
sondern eine positive Seligkeit an. Die Hierarchie hat sich diesen Erscheinungen
gegenüber im ganzen wie ein nüchterner und besonnener Seelsorger verhalten.
Es ist zwar richtig, daß sie bei der Verfolgung und Ausrottung schwärmerischer
Sekten, bei der Verdammung mancher aus den Schriften der Mystiker auf-
gezognen Sätze zunächst von dem Triebe der Selbsterhaltung geleitet wurde,
denn die Verinnerlichung des Lebens führt allemal zur Aufhebung ber äußern
Ordnungen: Leute wie Huf behaupten, daß jede geistliche und weltliche Obrigkeit
durch eine Todsünde ihres Amtes verlustig gehe, andre erklären alle Obrig¬
keiten für überflüssig, und jeder echte Mystiker hegt das stolze Bewußtsein
Dantes, der sich von Virgil sagen läßt:


Nicht meines Worts, noch meines Wirth mehr harre,
Denn frei, gerad' ist und gesund dein Wille jetzt,
Und Fehler wärs, nicht seinem Sinn zu folgen;
Drum mach' ich dich zu deinem eignen Papst und Kaiser*)

Wenn nun auch wahrhaft große Geister diese vollkommne innere Freiheit,
diese Erhabenheit über jedes äußerliche Gesetz, deren sie sich bewußt sind, nicht
mißbrauchen, so ist es doch klar, welches Unheil die Verbreitung solcher Grund¬
sätze im Volke anrichten kann. Daher hat sich die Hierarchie, wenn sie deren
Verbreitung im eignen Interesse hinderte, doch zugleich auch um die bürgcr-



?proie' lo es hos>r!i to vornno n mitrio.
Schopenhauer i-LcUvivu»

zielen auf die Erweckung derselben frischen Morgenstimmung ab. wie z. B.
der mit den Worten beginnende


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Odsoura ninno<ius, porsoiuuis:
l'rovul t'uxvntur somnia.

Askese und Mystik werdeu zwar in der katholischen Kirche von einem be¬
sondern Berufsstaude als eine zu erlernende Kunst fachmünuisch betrieben (im
Protestantismus haben kleinere Sekten die Aufgabe.übernommen, den Geist der
religiösen Orden weiter zu Pflegen), aber die Lehrbücher verfehlen nicht ein¬
zuschärfen, daß zwar die pig. pu-g'alio^ keinem, der selig werden wolle, erspart
bleiben könne, das Erklimmen der on contomxliMvii und rmitiva im sterblichen
Fleische aber allemal ein gefährliches Wagnis sei, das nicht selten mit dem
tragischen Sturz in Luzifers Abgrund gebüßt werde. Besonnenen Seelsorgern
wird immer angst, wenn eines ihrer Kirchkinder, gewöhnlich ist es ssvinnis
kenüinm, sich vom gewöhnlichen Wege zu entfernen beginnt und sich ans außer¬
ordentliche geistliche Übungen und auf das Studium der Mystiker verlegt.
(Übrigens sprechen diese Mystiker zwar stets von der Vernichtung ihres eignen
Ichs, verlieren dieses aber niemals so ganz, daß sie nicht die Wollust der
Versenkung in Gott empfanden; sie streben also nicht die buddhistische Nirwana,
sondern eine positive Seligkeit an. Die Hierarchie hat sich diesen Erscheinungen
gegenüber im ganzen wie ein nüchterner und besonnener Seelsorger verhalten.
Es ist zwar richtig, daß sie bei der Verfolgung und Ausrottung schwärmerischer
Sekten, bei der Verdammung mancher aus den Schriften der Mystiker auf-
gezognen Sätze zunächst von dem Triebe der Selbsterhaltung geleitet wurde,
denn die Verinnerlichung des Lebens führt allemal zur Aufhebung ber äußern
Ordnungen: Leute wie Huf behaupten, daß jede geistliche und weltliche Obrigkeit
durch eine Todsünde ihres Amtes verlustig gehe, andre erklären alle Obrig¬
keiten für überflüssig, und jeder echte Mystiker hegt das stolze Bewußtsein
Dantes, der sich von Virgil sagen läßt:


Nicht meines Worts, noch meines Wirth mehr harre,
Denn frei, gerad' ist und gesund dein Wille jetzt,
Und Fehler wärs, nicht seinem Sinn zu folgen;
Drum mach' ich dich zu deinem eignen Papst und Kaiser*)

Wenn nun auch wahrhaft große Geister diese vollkommne innere Freiheit,
diese Erhabenheit über jedes äußerliche Gesetz, deren sie sich bewußt sind, nicht
mißbrauchen, so ist es doch klar, welches Unheil die Verbreitung solcher Grund¬
sätze im Volke anrichten kann. Daher hat sich die Hierarchie, wenn sie deren
Verbreitung im eignen Interesse hinderte, doch zugleich auch um die bürgcr-



?proie' lo es hos>r!i to vornno n mitrio.
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[0039] Schopenhauer i-LcUvivu» zielen auf die Erweckung derselben frischen Morgenstimmung ab. wie z. B. der mit den Worten beginnende ZÄi ol!>,r», vox ro<l!erz;u^ Odsoura ninno<ius, porsoiuuis: l'rovul t'uxvntur somnia. Askese und Mystik werdeu zwar in der katholischen Kirche von einem be¬ sondern Berufsstaude als eine zu erlernende Kunst fachmünuisch betrieben (im Protestantismus haben kleinere Sekten die Aufgabe.übernommen, den Geist der religiösen Orden weiter zu Pflegen), aber die Lehrbücher verfehlen nicht ein¬ zuschärfen, daß zwar die pig. pu-g'alio^ keinem, der selig werden wolle, erspart bleiben könne, das Erklimmen der on contomxliMvii und rmitiva im sterblichen Fleische aber allemal ein gefährliches Wagnis sei, das nicht selten mit dem tragischen Sturz in Luzifers Abgrund gebüßt werde. Besonnenen Seelsorgern wird immer angst, wenn eines ihrer Kirchkinder, gewöhnlich ist es ssvinnis kenüinm, sich vom gewöhnlichen Wege zu entfernen beginnt und sich ans außer¬ ordentliche geistliche Übungen und auf das Studium der Mystiker verlegt. (Übrigens sprechen diese Mystiker zwar stets von der Vernichtung ihres eignen Ichs, verlieren dieses aber niemals so ganz, daß sie nicht die Wollust der Versenkung in Gott empfanden; sie streben also nicht die buddhistische Nirwana, sondern eine positive Seligkeit an. Die Hierarchie hat sich diesen Erscheinungen gegenüber im ganzen wie ein nüchterner und besonnener Seelsorger verhalten. Es ist zwar richtig, daß sie bei der Verfolgung und Ausrottung schwärmerischer Sekten, bei der Verdammung mancher aus den Schriften der Mystiker auf- gezognen Sätze zunächst von dem Triebe der Selbsterhaltung geleitet wurde, denn die Verinnerlichung des Lebens führt allemal zur Aufhebung ber äußern Ordnungen: Leute wie Huf behaupten, daß jede geistliche und weltliche Obrigkeit durch eine Todsünde ihres Amtes verlustig gehe, andre erklären alle Obrig¬ keiten für überflüssig, und jeder echte Mystiker hegt das stolze Bewußtsein Dantes, der sich von Virgil sagen läßt: Nicht meines Worts, noch meines Wirth mehr harre, Denn frei, gerad' ist und gesund dein Wille jetzt, Und Fehler wärs, nicht seinem Sinn zu folgen; Drum mach' ich dich zu deinem eignen Papst und Kaiser*) Wenn nun auch wahrhaft große Geister diese vollkommne innere Freiheit, diese Erhabenheit über jedes äußerliche Gesetz, deren sie sich bewußt sind, nicht mißbrauchen, so ist es doch klar, welches Unheil die Verbreitung solcher Grund¬ sätze im Volke anrichten kann. Daher hat sich die Hierarchie, wenn sie deren Verbreitung im eignen Interesse hinderte, doch zugleich auch um die bürgcr- ?proie' lo es hos>r!i to vornno n mitrio.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/39>, abgerufen am 24.07.2024.