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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Altes und Neues vou Hans Hopfen

schönsten sind die Volksfiguren. Eine der gelungensten Episoden ist die Szene
Eisenharts mit der schonen Kellnerin: auch etwas, was Hopfen intuitio gefunden
hat. Packenden Humor bietet die wunderbare Genesung der Staatsrätiu vor
der Kapelle von Mariataunerl, und eine herrliche Satire ist die Schilderung
der schlauen Ausbeutung dieses Wunders von Bauern und Pfaffen. Dazu
kommen noch die zahlreichen, von innigem Naturgefühl erfüllten Stimmungs¬
bilder der Erzählung, wir erinnern nur an die Landschaftsbilder vom Schloß-
hügel aus und an das Gespräch in der Mondnacht des Waldes zwischen dem
Praktikanten und der Moosrainerin. Kurz, die ganze Dorfgeschichte ist eine
erfreuliche Schöpfung, die man nicht vergißt, wenn man sich auch ein bischen
über die billige und nicht vornehme Wendung des Schlusses (Eisenharts Mißver¬
ständnis der Zwillingsschwestern) ärgert. Aber das ist nun einmal so Hopfeusche
Art: ganz rein geht es nie bei ihm ab.

Über die harmlos muntere Stndentengeschichte von den fünfzig Semmeln
können wir kurz hinweggehen; es unterhalte sich an ihr, wer will, uns erschien
sie nur als ein etwas breit ausgeführter Spaß. Auffallend ist an ihr nur
die cingeslochteue Huldigung für Ibsen. In der Majorsgeschichte vom "pol¬
nischen Wachtmeister" hat sich Hopfen ziemlich schneidig gegen die Naturalisten
nnsgesprvchen; umso überraschender ist seine Verehrung Ibsens. Zum Glück
hat sie ihn noch nicht zur Nachahmung Ibsens verführt. Sein dieser Tage
im Burgtheater aufgeführtes "phantastisches Lustspiel": Der Hexenfang
bewegt sich in ganz andern Bahnen. Alle Eigenheiten des Hvpfenschen
Talents treffen wir hier in neuer Mischung als alte Bekannte wieder: ein
originelles und keckes Motiv, die Poesie des Junggeselleutums, die Freude
am Stimmungsbild, die sorgfältige Ausmalung alles Äußerlichen, satte Zeit-
fnrben, und schließlich läuft auch dieses bunt-schillerude, geistreiche, anmutig
fesselnde Gebilde in einen gut hausbacknen Schweif aus; jeder Anspruch auf
Wahrscheinlichkeit wird von vornherein durch die Bezeichnung des Lustspiels
als eines "phantastischen" abgelehnt.

Die kleine Hexengeschichte spielt in irgend einer deutschen Stadt im Mittel¬
alter. Wir befinden uns im Arbeitszimmer eiues Alchhmisteu. Mau steht die
bekannte Ausstattung eines solchen Gemachs: einen großen Herd mit Flaschen,
Totenkopf, Gerippen, ein aufgeschlagenes mystisches Buch, ein Fernrohr und
andre Apparate, ein hohes Fenster mit Butzenscheiben, durch das der Mond
hereinleuchtet, und zu dem hinaus so wie im "Faust" gesprochen werden kann.
Alles sehr malerisch. Der "weise Meister" Albertus steht in gespannter Er-
wartung der Dinge, die da kommen sollen, sein gutmütiger, einfältig kluger
Famulus ist bei ihm. Es ist gerade Walpurgisnacht, die Hexen eilen auf
Besenstielen auf den Blocksberg. Albertus hat über dem Rauchfang seiner
Küche ein Hexennetz ausgespannt. Es gelüstet ihn nach Liebkosungen von
schönen Hexen, er ist unbefriedigt von der Liebe der gemeinen Weiber, die


Altes und Neues vou Hans Hopfen

schönsten sind die Volksfiguren. Eine der gelungensten Episoden ist die Szene
Eisenharts mit der schonen Kellnerin: auch etwas, was Hopfen intuitio gefunden
hat. Packenden Humor bietet die wunderbare Genesung der Staatsrätiu vor
der Kapelle von Mariataunerl, und eine herrliche Satire ist die Schilderung
der schlauen Ausbeutung dieses Wunders von Bauern und Pfaffen. Dazu
kommen noch die zahlreichen, von innigem Naturgefühl erfüllten Stimmungs¬
bilder der Erzählung, wir erinnern nur an die Landschaftsbilder vom Schloß-
hügel aus und an das Gespräch in der Mondnacht des Waldes zwischen dem
Praktikanten und der Moosrainerin. Kurz, die ganze Dorfgeschichte ist eine
erfreuliche Schöpfung, die man nicht vergißt, wenn man sich auch ein bischen
über die billige und nicht vornehme Wendung des Schlusses (Eisenharts Mißver¬
ständnis der Zwillingsschwestern) ärgert. Aber das ist nun einmal so Hopfeusche
Art: ganz rein geht es nie bei ihm ab.

Über die harmlos muntere Stndentengeschichte von den fünfzig Semmeln
können wir kurz hinweggehen; es unterhalte sich an ihr, wer will, uns erschien
sie nur als ein etwas breit ausgeführter Spaß. Auffallend ist an ihr nur
die cingeslochteue Huldigung für Ibsen. In der Majorsgeschichte vom „pol¬
nischen Wachtmeister" hat sich Hopfen ziemlich schneidig gegen die Naturalisten
nnsgesprvchen; umso überraschender ist seine Verehrung Ibsens. Zum Glück
hat sie ihn noch nicht zur Nachahmung Ibsens verführt. Sein dieser Tage
im Burgtheater aufgeführtes „phantastisches Lustspiel": Der Hexenfang
bewegt sich in ganz andern Bahnen. Alle Eigenheiten des Hvpfenschen
Talents treffen wir hier in neuer Mischung als alte Bekannte wieder: ein
originelles und keckes Motiv, die Poesie des Junggeselleutums, die Freude
am Stimmungsbild, die sorgfältige Ausmalung alles Äußerlichen, satte Zeit-
fnrben, und schließlich läuft auch dieses bunt-schillerude, geistreiche, anmutig
fesselnde Gebilde in einen gut hausbacknen Schweif aus; jeder Anspruch auf
Wahrscheinlichkeit wird von vornherein durch die Bezeichnung des Lustspiels
als eines „phantastischen" abgelehnt.

Die kleine Hexengeschichte spielt in irgend einer deutschen Stadt im Mittel¬
alter. Wir befinden uns im Arbeitszimmer eiues Alchhmisteu. Mau steht die
bekannte Ausstattung eines solchen Gemachs: einen großen Herd mit Flaschen,
Totenkopf, Gerippen, ein aufgeschlagenes mystisches Buch, ein Fernrohr und
andre Apparate, ein hohes Fenster mit Butzenscheiben, durch das der Mond
hereinleuchtet, und zu dem hinaus so wie im „Faust" gesprochen werden kann.
Alles sehr malerisch. Der „weise Meister" Albertus steht in gespannter Er-
wartung der Dinge, die da kommen sollen, sein gutmütiger, einfältig kluger
Famulus ist bei ihm. Es ist gerade Walpurgisnacht, die Hexen eilen auf
Besenstielen auf den Blocksberg. Albertus hat über dem Rauchfang seiner
Küche ein Hexennetz ausgespannt. Es gelüstet ihn nach Liebkosungen von
schönen Hexen, er ist unbefriedigt von der Liebe der gemeinen Weiber, die


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[0387] Altes und Neues vou Hans Hopfen schönsten sind die Volksfiguren. Eine der gelungensten Episoden ist die Szene Eisenharts mit der schonen Kellnerin: auch etwas, was Hopfen intuitio gefunden hat. Packenden Humor bietet die wunderbare Genesung der Staatsrätiu vor der Kapelle von Mariataunerl, und eine herrliche Satire ist die Schilderung der schlauen Ausbeutung dieses Wunders von Bauern und Pfaffen. Dazu kommen noch die zahlreichen, von innigem Naturgefühl erfüllten Stimmungs¬ bilder der Erzählung, wir erinnern nur an die Landschaftsbilder vom Schloß- hügel aus und an das Gespräch in der Mondnacht des Waldes zwischen dem Praktikanten und der Moosrainerin. Kurz, die ganze Dorfgeschichte ist eine erfreuliche Schöpfung, die man nicht vergißt, wenn man sich auch ein bischen über die billige und nicht vornehme Wendung des Schlusses (Eisenharts Mißver¬ ständnis der Zwillingsschwestern) ärgert. Aber das ist nun einmal so Hopfeusche Art: ganz rein geht es nie bei ihm ab. Über die harmlos muntere Stndentengeschichte von den fünfzig Semmeln können wir kurz hinweggehen; es unterhalte sich an ihr, wer will, uns erschien sie nur als ein etwas breit ausgeführter Spaß. Auffallend ist an ihr nur die cingeslochteue Huldigung für Ibsen. In der Majorsgeschichte vom „pol¬ nischen Wachtmeister" hat sich Hopfen ziemlich schneidig gegen die Naturalisten nnsgesprvchen; umso überraschender ist seine Verehrung Ibsens. Zum Glück hat sie ihn noch nicht zur Nachahmung Ibsens verführt. Sein dieser Tage im Burgtheater aufgeführtes „phantastisches Lustspiel": Der Hexenfang bewegt sich in ganz andern Bahnen. Alle Eigenheiten des Hvpfenschen Talents treffen wir hier in neuer Mischung als alte Bekannte wieder: ein originelles und keckes Motiv, die Poesie des Junggeselleutums, die Freude am Stimmungsbild, die sorgfältige Ausmalung alles Äußerlichen, satte Zeit- fnrben, und schließlich läuft auch dieses bunt-schillerude, geistreiche, anmutig fesselnde Gebilde in einen gut hausbacknen Schweif aus; jeder Anspruch auf Wahrscheinlichkeit wird von vornherein durch die Bezeichnung des Lustspiels als eines „phantastischen" abgelehnt. Die kleine Hexengeschichte spielt in irgend einer deutschen Stadt im Mittel¬ alter. Wir befinden uns im Arbeitszimmer eiues Alchhmisteu. Mau steht die bekannte Ausstattung eines solchen Gemachs: einen großen Herd mit Flaschen, Totenkopf, Gerippen, ein aufgeschlagenes mystisches Buch, ein Fernrohr und andre Apparate, ein hohes Fenster mit Butzenscheiben, durch das der Mond hereinleuchtet, und zu dem hinaus so wie im „Faust" gesprochen werden kann. Alles sehr malerisch. Der „weise Meister" Albertus steht in gespannter Er- wartung der Dinge, die da kommen sollen, sein gutmütiger, einfältig kluger Famulus ist bei ihm. Es ist gerade Walpurgisnacht, die Hexen eilen auf Besenstielen auf den Blocksberg. Albertus hat über dem Rauchfang seiner Küche ein Hexennetz ausgespannt. Es gelüstet ihn nach Liebkosungen von schönen Hexen, er ist unbefriedigt von der Liebe der gemeinen Weiber, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/387>, abgerufen am 24.07.2024.