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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Altes und Neues von Haus Hopfen

Landgerichtes in den Ort gekommen; er hatte damals eine Stndenten-
liebschaft hinter sich, ans der sein zartes Herz etwas siech davongekommen
war, denn die Geliebte erwies sich treulos, und Eisenbart trug seinen Schmerz
gern in die Einsamkeit. Mit der Zeit gesiel er sich aber dermaßen in dem
weltentlegenen Neste, daß er sich gar nicht um das Fortkommen im Amte
bemühte, sondern sich mit Absicht von den vorgesetzten Behörden übergehen
und vergessen ließ und nnter Bauern mit Behagen verbauerte. Er hat durch
eine Nebenarbeit beim Notar des Ortes genügendes Einkommen, und seine
freie Zeit benutzt er, um der leidenschaftlich geliebten Jägerei nachzugehen.
Er steckt fast immer im Jagdnnzug. Wegen seiner Güte und Anspruchslosigkeit
ist er überall beliebt, besondre Freundschaft verbindet ihn mit dem Dorfpfarrer,
der -- echt süddeutsch -- in alle" praktischen Lebensfragen weit klüger als
der unbewußt poetische Jurist ist. Max ist in Geldsachen ein Kind, der gute
Pfarrer sein Vormund und Vermögensverwalter.

Nun ist der Praktikant vierzig Jahre alt geworden, und auch ihn reißt
die neugebaute Eisenbahn wider Willen aus seiner Träumerei heraus. Dieses
Erwachen, Widerstreben, Sichznrechtsinden und dann das eigne kräftige Hiunus-
strebcn aus dein poetische" Sumpf, in den der gute Mensch hineingeraten ist,
bildet den fesselnden Inhalt des Buches, wohl eine der hübschesten Dorf¬
geschichten, die es giebt. Denn nicht bloß Dorf und Stadt, sondern auch alte
und neue Zeit sind kräftig und geistvoll kontrastirt. Es giebt in der Gegend
noch zwei spezifisch bairische (tirolische) Originale: ein gnadenspendendes
Marienbild in einer abgelegenen Wnldkapclle und eine Bauerudoktorin, Maria-
tannerl und die Moosrainerin. Ein Prachtweib diese Doktorin; rasch ent¬
schlossen, kurz angebunden, mit starkem Verstand und gesundem Herzen weiß
sie die neue Lage der Dinge zum eignen Vorteil, der nie ein Nachteil andrer
Leute ist, auszunutzen, und ihre Thatkraft bringt ungeahntes Leben in die
Gegend. Den Ruf des alten Wallfahrtsvrtcs und die Nähe der neuen Eisen¬
bahn benutzt sie, um in aller Geschwindigkeit im Walde von Mariatannerl
eine Anstalt für allerlei Kranke aufzubauen; kaum nnter Dach, sind die Villen
schon von reichen Leuten aus aller Herren Länder besetzt, von Kranken ans
Langerweile, die mit ihrem Gelde nichts anzufangen wissen. In diese Unter-
nehmung ist der alte Praktikant, ohne es zu wollen, mit hineingezogen worden,
sie gereicht auch ihm zum klingenden Nutzen, und als er sich in ein schönes
Mädchen, eine Staatsratstvchter, verliebt und nun selbst mit Macht aus dem
Sumpf hinaufstrebt, hat er auch genügendes Kapital, etwas zu thun.

Aber wir wollen nicht die mannichfach verschlungenen Fäden der Hand¬
lung auflösen; so anmutig sie ist, so liegt doch nicht in ihr die Schönheit
der Dichtung, sondern in dem Reichtum der Charakteristik. Die ganze süd¬
deutsche Welt wird dort umspannt. In lebenswahren Skizzen sehen wir alle
Stände vom gemeinen Bauern bis hinauf zum Minister vertreten. Am


Altes und Neues von Haus Hopfen

Landgerichtes in den Ort gekommen; er hatte damals eine Stndenten-
liebschaft hinter sich, ans der sein zartes Herz etwas siech davongekommen
war, denn die Geliebte erwies sich treulos, und Eisenbart trug seinen Schmerz
gern in die Einsamkeit. Mit der Zeit gesiel er sich aber dermaßen in dem
weltentlegenen Neste, daß er sich gar nicht um das Fortkommen im Amte
bemühte, sondern sich mit Absicht von den vorgesetzten Behörden übergehen
und vergessen ließ und nnter Bauern mit Behagen verbauerte. Er hat durch
eine Nebenarbeit beim Notar des Ortes genügendes Einkommen, und seine
freie Zeit benutzt er, um der leidenschaftlich geliebten Jägerei nachzugehen.
Er steckt fast immer im Jagdnnzug. Wegen seiner Güte und Anspruchslosigkeit
ist er überall beliebt, besondre Freundschaft verbindet ihn mit dem Dorfpfarrer,
der — echt süddeutsch — in alle» praktischen Lebensfragen weit klüger als
der unbewußt poetische Jurist ist. Max ist in Geldsachen ein Kind, der gute
Pfarrer sein Vormund und Vermögensverwalter.

Nun ist der Praktikant vierzig Jahre alt geworden, und auch ihn reißt
die neugebaute Eisenbahn wider Willen aus seiner Träumerei heraus. Dieses
Erwachen, Widerstreben, Sichznrechtsinden und dann das eigne kräftige Hiunus-
strebcn aus dein poetische« Sumpf, in den der gute Mensch hineingeraten ist,
bildet den fesselnden Inhalt des Buches, wohl eine der hübschesten Dorf¬
geschichten, die es giebt. Denn nicht bloß Dorf und Stadt, sondern auch alte
und neue Zeit sind kräftig und geistvoll kontrastirt. Es giebt in der Gegend
noch zwei spezifisch bairische (tirolische) Originale: ein gnadenspendendes
Marienbild in einer abgelegenen Wnldkapclle und eine Bauerudoktorin, Maria-
tannerl und die Moosrainerin. Ein Prachtweib diese Doktorin; rasch ent¬
schlossen, kurz angebunden, mit starkem Verstand und gesundem Herzen weiß
sie die neue Lage der Dinge zum eignen Vorteil, der nie ein Nachteil andrer
Leute ist, auszunutzen, und ihre Thatkraft bringt ungeahntes Leben in die
Gegend. Den Ruf des alten Wallfahrtsvrtcs und die Nähe der neuen Eisen¬
bahn benutzt sie, um in aller Geschwindigkeit im Walde von Mariatannerl
eine Anstalt für allerlei Kranke aufzubauen; kaum nnter Dach, sind die Villen
schon von reichen Leuten aus aller Herren Länder besetzt, von Kranken ans
Langerweile, die mit ihrem Gelde nichts anzufangen wissen. In diese Unter-
nehmung ist der alte Praktikant, ohne es zu wollen, mit hineingezogen worden,
sie gereicht auch ihm zum klingenden Nutzen, und als er sich in ein schönes
Mädchen, eine Staatsratstvchter, verliebt und nun selbst mit Macht aus dem
Sumpf hinaufstrebt, hat er auch genügendes Kapital, etwas zu thun.

Aber wir wollen nicht die mannichfach verschlungenen Fäden der Hand¬
lung auflösen; so anmutig sie ist, so liegt doch nicht in ihr die Schönheit
der Dichtung, sondern in dem Reichtum der Charakteristik. Die ganze süd¬
deutsche Welt wird dort umspannt. In lebenswahren Skizzen sehen wir alle
Stände vom gemeinen Bauern bis hinauf zum Minister vertreten. Am


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[0386] Altes und Neues von Haus Hopfen Landgerichtes in den Ort gekommen; er hatte damals eine Stndenten- liebschaft hinter sich, ans der sein zartes Herz etwas siech davongekommen war, denn die Geliebte erwies sich treulos, und Eisenbart trug seinen Schmerz gern in die Einsamkeit. Mit der Zeit gesiel er sich aber dermaßen in dem weltentlegenen Neste, daß er sich gar nicht um das Fortkommen im Amte bemühte, sondern sich mit Absicht von den vorgesetzten Behörden übergehen und vergessen ließ und nnter Bauern mit Behagen verbauerte. Er hat durch eine Nebenarbeit beim Notar des Ortes genügendes Einkommen, und seine freie Zeit benutzt er, um der leidenschaftlich geliebten Jägerei nachzugehen. Er steckt fast immer im Jagdnnzug. Wegen seiner Güte und Anspruchslosigkeit ist er überall beliebt, besondre Freundschaft verbindet ihn mit dem Dorfpfarrer, der — echt süddeutsch — in alle» praktischen Lebensfragen weit klüger als der unbewußt poetische Jurist ist. Max ist in Geldsachen ein Kind, der gute Pfarrer sein Vormund und Vermögensverwalter. Nun ist der Praktikant vierzig Jahre alt geworden, und auch ihn reißt die neugebaute Eisenbahn wider Willen aus seiner Träumerei heraus. Dieses Erwachen, Widerstreben, Sichznrechtsinden und dann das eigne kräftige Hiunus- strebcn aus dein poetische« Sumpf, in den der gute Mensch hineingeraten ist, bildet den fesselnden Inhalt des Buches, wohl eine der hübschesten Dorf¬ geschichten, die es giebt. Denn nicht bloß Dorf und Stadt, sondern auch alte und neue Zeit sind kräftig und geistvoll kontrastirt. Es giebt in der Gegend noch zwei spezifisch bairische (tirolische) Originale: ein gnadenspendendes Marienbild in einer abgelegenen Wnldkapclle und eine Bauerudoktorin, Maria- tannerl und die Moosrainerin. Ein Prachtweib diese Doktorin; rasch ent¬ schlossen, kurz angebunden, mit starkem Verstand und gesundem Herzen weiß sie die neue Lage der Dinge zum eignen Vorteil, der nie ein Nachteil andrer Leute ist, auszunutzen, und ihre Thatkraft bringt ungeahntes Leben in die Gegend. Den Ruf des alten Wallfahrtsvrtcs und die Nähe der neuen Eisen¬ bahn benutzt sie, um in aller Geschwindigkeit im Walde von Mariatannerl eine Anstalt für allerlei Kranke aufzubauen; kaum nnter Dach, sind die Villen schon von reichen Leuten aus aller Herren Länder besetzt, von Kranken ans Langerweile, die mit ihrem Gelde nichts anzufangen wissen. In diese Unter- nehmung ist der alte Praktikant, ohne es zu wollen, mit hineingezogen worden, sie gereicht auch ihm zum klingenden Nutzen, und als er sich in ein schönes Mädchen, eine Staatsratstvchter, verliebt und nun selbst mit Macht aus dem Sumpf hinaufstrebt, hat er auch genügendes Kapital, etwas zu thun. Aber wir wollen nicht die mannichfach verschlungenen Fäden der Hand¬ lung auflösen; so anmutig sie ist, so liegt doch nicht in ihr die Schönheit der Dichtung, sondern in dem Reichtum der Charakteristik. Die ganze süd¬ deutsche Welt wird dort umspannt. In lebenswahren Skizzen sehen wir alle Stände vom gemeinen Bauern bis hinauf zum Minister vertreten. Am

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/386>, abgerufen am 24.07.2024.