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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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mischten Gefühlen ans der Hand, denn man freut sich nicht, sich wegen der
Geschichte einer abgeschmackten Schufterei so aufgeregt zu haben.

Hans Hopfen hat die nicht üble Gewohnheit, am Schlüsse seiner Er¬
zählungen mit einigen Ziffern das Datum ihrer Entstehung anzugeben, sowie
die Maler in eine Ecke ihrer Gemälde zu ihrer Unterschrift auch noch die
Jahreszahl hinzufügen. Den "Stellvertreter" hat er vom März 1879 bis
zum Juni 1880 gedichtet; zwei Jahre vorher, 1877, ist seine dänische Dorf¬
geschichte "Der alte Praktikant" entstanden, die wir ohne Bedenken hoch über
die spätere Erzählung stellen. Hier atmet man wirklich poetische Luft, schon
die Grundlage der Erzählung ist dichterisch stimmungsvoll; hier bewegt sich
Hopfen in einer Welt, die er aus reicher Anschauung und innerer Verwandt¬
schaft genau kennt, die Charakteristik ist meisterlich, die Figuren, so zahlreich
sie sind, treten uns rund und leiblich vor Augen, Handlung und Episode sind
harmonisch mit einander verbunden. Leidet der Schluß hier auch wieder an
allerlei UuU'ahrscheiulichkeiteu (Hopfen liebt es, seine Menschen hinterher gar
zu viel erraten zu lassen; sein Graf Ladislaus leistet darin Fabelhaftes), so
vermag er doch nicht die vielen schönen Erinnerungen an alles, was vorher¬
gegangen ist, zu verderben. In dieser Dorfgeschichte ist es dem Erzähler, sehr
zu seinem Vorteile, weniger um das zu thun, was mau eine spannende Ge¬
schichte nennt, als um die freudige und innige Darstellung des Zustäudlicheu.
Man kaun sagen, er schreitet von Episode zu Episode, aber jede ist schön für
sich, das Ganze ruht auf dein sichern Boden heimischer Anschauung.

Schon der äußere Nahmen, der dieses Bild bairischen Volkstums zu¬
sammenheilt, ist sehr anmutend. Wir werden in die Zeit vor etwa dreißig
Jahren in ein kleines bairisches Gebirgsnest versetzt, das drei Meilen abseits
von München liegt. Eben wird die Eisenbahn eröffnet, die das Dorf endlich
mit der Welt verbinden soll. Die dummschlcium Bauern haben sich nämlich
ein kleines Menschenalter vorher, wo die ersten Eisenbahnen gebaut wurde",
einem solchen Bau widersetzt. Den Vorteil davon hatten nur wenige Bauern,
der Krämer, der Bräuer, aber nicht die Gemeinde. Diese blieb hinter der Zeit
zurück. Schließlich sah man doch die begangene Thorheit ein, und die Dörfler
bettelten beim König und beim Parlament um dieselbe Eisenbahn, der sie sich
zwei Jahrzehnte zuvor widersetzt hatten. Die Aufregung und die Umwandlung,
die nun die durchjagende Lokomotive in allen Schichten der Bevölkerung, beim
Pfarrer wie beim Krämer hervorruft, schildert Hopfen mit großer Sachkenntnis
und mit fesselnden Humor. Es ist ein Bild des ganzen Jcchrhnndertö kunst-
voll auf engen Raum zusammengedrängt und vou innerer Wahrheit erwärmt
und durchleuchtet. Und dazu tritt noch die allerschönste Erfindung, die Gestalt
des alten Praktikanten.

Max Eisenbart ist ein beschauliches Menschenkind, ein Original von
liebenswürdigster Art. Er ist vor achtzehn Jahren als Nechtopraktikaut des

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mischten Gefühlen ans der Hand, denn man freut sich nicht, sich wegen der
Geschichte einer abgeschmackten Schufterei so aufgeregt zu haben.

Hans Hopfen hat die nicht üble Gewohnheit, am Schlüsse seiner Er¬
zählungen mit einigen Ziffern das Datum ihrer Entstehung anzugeben, sowie
die Maler in eine Ecke ihrer Gemälde zu ihrer Unterschrift auch noch die
Jahreszahl hinzufügen. Den „Stellvertreter" hat er vom März 1879 bis
zum Juni 1880 gedichtet; zwei Jahre vorher, 1877, ist seine dänische Dorf¬
geschichte „Der alte Praktikant" entstanden, die wir ohne Bedenken hoch über
die spätere Erzählung stellen. Hier atmet man wirklich poetische Luft, schon
die Grundlage der Erzählung ist dichterisch stimmungsvoll; hier bewegt sich
Hopfen in einer Welt, die er aus reicher Anschauung und innerer Verwandt¬
schaft genau kennt, die Charakteristik ist meisterlich, die Figuren, so zahlreich
sie sind, treten uns rund und leiblich vor Augen, Handlung und Episode sind
harmonisch mit einander verbunden. Leidet der Schluß hier auch wieder an
allerlei UuU'ahrscheiulichkeiteu (Hopfen liebt es, seine Menschen hinterher gar
zu viel erraten zu lassen; sein Graf Ladislaus leistet darin Fabelhaftes), so
vermag er doch nicht die vielen schönen Erinnerungen an alles, was vorher¬
gegangen ist, zu verderben. In dieser Dorfgeschichte ist es dem Erzähler, sehr
zu seinem Vorteile, weniger um das zu thun, was mau eine spannende Ge¬
schichte nennt, als um die freudige und innige Darstellung des Zustäudlicheu.
Man kaun sagen, er schreitet von Episode zu Episode, aber jede ist schön für
sich, das Ganze ruht auf dein sichern Boden heimischer Anschauung.

Schon der äußere Nahmen, der dieses Bild bairischen Volkstums zu¬
sammenheilt, ist sehr anmutend. Wir werden in die Zeit vor etwa dreißig
Jahren in ein kleines bairisches Gebirgsnest versetzt, das drei Meilen abseits
von München liegt. Eben wird die Eisenbahn eröffnet, die das Dorf endlich
mit der Welt verbinden soll. Die dummschlcium Bauern haben sich nämlich
ein kleines Menschenalter vorher, wo die ersten Eisenbahnen gebaut wurde»,
einem solchen Bau widersetzt. Den Vorteil davon hatten nur wenige Bauern,
der Krämer, der Bräuer, aber nicht die Gemeinde. Diese blieb hinter der Zeit
zurück. Schließlich sah man doch die begangene Thorheit ein, und die Dörfler
bettelten beim König und beim Parlament um dieselbe Eisenbahn, der sie sich
zwei Jahrzehnte zuvor widersetzt hatten. Die Aufregung und die Umwandlung,
die nun die durchjagende Lokomotive in allen Schichten der Bevölkerung, beim
Pfarrer wie beim Krämer hervorruft, schildert Hopfen mit großer Sachkenntnis
und mit fesselnden Humor. Es ist ein Bild des ganzen Jcchrhnndertö kunst-
voll auf engen Raum zusammengedrängt und vou innerer Wahrheit erwärmt
und durchleuchtet. Und dazu tritt noch die allerschönste Erfindung, die Gestalt
des alten Praktikanten.

Max Eisenbart ist ein beschauliches Menschenkind, ein Original von
liebenswürdigster Art. Er ist vor achtzehn Jahren als Nechtopraktikaut des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/385>, abgerufen am 24.07.2024.