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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Altes und Neues von Haus Hopfen

guten Nvderich, der ihr nach Paris nachgereist ist. Die Ehe ist glücklich, beide
leben fünf Jahre ganz zufrieden mit einander.

So weit ist auch die Erzählung recht hübsch; die Schwächen treten erst
im zweiten Teile hervor. Mit dem zunehmenden Alter wird Graf Ladislaus
immer bigotter, sodaß er schließlich mit seiner Tochter nach Rom fährt, um
sich vom Papste (Pius IX.) segnen zu lassen. In Rom treffen Vater und
Tochter den Grafen Egbert, der sich -- echt Hopfensche Phantasie! -- als
Offizier der päpstlichen Ehrengarde zu einem frivolen Genußmenschen aus¬
gebildet hat; er hat da ein wahres Lotterleben geführt und obendrein jesuitische
Moral eingesogen. Beim Wiedersehen der verlassenen Geliebten erwacht die
alte Leidenschaft in ihm, und in echt romantischer Weise -- in der halbdunkeln
Peterskirche, wo die Leiche des eben gestorbenen Pius aufgebahrt ist und von
einer zahllosen Volksmenge betrachtet wird -- flüstert er Stephanie in teuf¬
lischer Weise Verleumdungen ihres Gatten ins Ohr: Nvderich hätte die alte
Duellgeschichte ihres Vaters mit Berechnung aufgewärmt, um ihn, Egbert,
aus dem Herzen Stephaniens zu verdrängen. Stephanie ist merkwürdigerweise
einfältig genug, dem Verleumder zu glauben; ihre Ehe erleidet so eiuen
schweren Stoß, sie Null sich von Nvderich trennen. Als dieser einige Monate
darauf rasend, empört den hinterlistigen Jugendfreund mit dem Degen in der
Hand zur Rechenschaft ziehen will, entwaffnet ihn Egbert durch das inzwischen
erworbene Gewand des katholischen Priesters. Nur in Flüchen kann Nvderich
seiner Wut Ausdruck geben. Seine Ehe behält einen Riß, bis sie der alte
Ladislaus auf seinem Sterbelager wieder kittet.

Die Schwächen der Geschichte liegen, wie gesagt, in der nicht genügend
fesselnden Charakteristik der drei Hauptfiguren; die Exposition dieser Charaktere,
namentlich Egberts, hätte auf die Schlußwenduug mehr vorbereiten sollen.
Egberts Teufelei wirkt überraschend, man hat sich ihrer nicht versehen. Darum
wirkt auch die in seiner Gestalt gegebene Satire jesuitischer Moral tendenziös
aufdringlich, sie wächst nicht künstlerisch aus dem Stoff Heralls. Wie gut
Hopfen etwas darstellen kann, was er nicht bloß ersonnen, sondern auch ge¬
sehen hat, erkennt man an der Episode des tollen Hundes, die dem alten
Ladislaus Gelegenheit zur Bekundung seines mit Unrecht bezweifelten persön¬
lichen Mutes giebt. Dieses kraftvolle, höchst bewegte Stück ragt wie eine
leuchtende Oase aus dem Buche hervor; Hopfen hat es auch mit sichtlicher
Freude ausgeführt. Ebenso die Schilderung Roms bei der Leichenfeier des
Papstes: sie beruht eben auch auf Anschauung. Auch die Zeichnung des alten
Ladislaus, eines edeln, religiösen Mannes von Geist, ist gelungen; nur ist sie
gegen deu Schluß hin verzeichnet, die Hand des Dichters ist da ins Schwanken
geraten. Weil ihn Hopfen so braucht, ist Ladislaus in Rom ein thörichter
Greis; von Rom zurückgekehrt ist er wieder kräftig nud besonnen, weil ihn
Hopfen eben wieder anders braucht. Man legt also die Erzählung mit ge-


Altes und Neues von Haus Hopfen

guten Nvderich, der ihr nach Paris nachgereist ist. Die Ehe ist glücklich, beide
leben fünf Jahre ganz zufrieden mit einander.

So weit ist auch die Erzählung recht hübsch; die Schwächen treten erst
im zweiten Teile hervor. Mit dem zunehmenden Alter wird Graf Ladislaus
immer bigotter, sodaß er schließlich mit seiner Tochter nach Rom fährt, um
sich vom Papste (Pius IX.) segnen zu lassen. In Rom treffen Vater und
Tochter den Grafen Egbert, der sich — echt Hopfensche Phantasie! — als
Offizier der päpstlichen Ehrengarde zu einem frivolen Genußmenschen aus¬
gebildet hat; er hat da ein wahres Lotterleben geführt und obendrein jesuitische
Moral eingesogen. Beim Wiedersehen der verlassenen Geliebten erwacht die
alte Leidenschaft in ihm, und in echt romantischer Weise — in der halbdunkeln
Peterskirche, wo die Leiche des eben gestorbenen Pius aufgebahrt ist und von
einer zahllosen Volksmenge betrachtet wird — flüstert er Stephanie in teuf¬
lischer Weise Verleumdungen ihres Gatten ins Ohr: Nvderich hätte die alte
Duellgeschichte ihres Vaters mit Berechnung aufgewärmt, um ihn, Egbert,
aus dem Herzen Stephaniens zu verdrängen. Stephanie ist merkwürdigerweise
einfältig genug, dem Verleumder zu glauben; ihre Ehe erleidet so eiuen
schweren Stoß, sie Null sich von Nvderich trennen. Als dieser einige Monate
darauf rasend, empört den hinterlistigen Jugendfreund mit dem Degen in der
Hand zur Rechenschaft ziehen will, entwaffnet ihn Egbert durch das inzwischen
erworbene Gewand des katholischen Priesters. Nur in Flüchen kann Nvderich
seiner Wut Ausdruck geben. Seine Ehe behält einen Riß, bis sie der alte
Ladislaus auf seinem Sterbelager wieder kittet.

Die Schwächen der Geschichte liegen, wie gesagt, in der nicht genügend
fesselnden Charakteristik der drei Hauptfiguren; die Exposition dieser Charaktere,
namentlich Egberts, hätte auf die Schlußwenduug mehr vorbereiten sollen.
Egberts Teufelei wirkt überraschend, man hat sich ihrer nicht versehen. Darum
wirkt auch die in seiner Gestalt gegebene Satire jesuitischer Moral tendenziös
aufdringlich, sie wächst nicht künstlerisch aus dem Stoff Heralls. Wie gut
Hopfen etwas darstellen kann, was er nicht bloß ersonnen, sondern auch ge¬
sehen hat, erkennt man an der Episode des tollen Hundes, die dem alten
Ladislaus Gelegenheit zur Bekundung seines mit Unrecht bezweifelten persön¬
lichen Mutes giebt. Dieses kraftvolle, höchst bewegte Stück ragt wie eine
leuchtende Oase aus dem Buche hervor; Hopfen hat es auch mit sichtlicher
Freude ausgeführt. Ebenso die Schilderung Roms bei der Leichenfeier des
Papstes: sie beruht eben auch auf Anschauung. Auch die Zeichnung des alten
Ladislaus, eines edeln, religiösen Mannes von Geist, ist gelungen; nur ist sie
gegen deu Schluß hin verzeichnet, die Hand des Dichters ist da ins Schwanken
geraten. Weil ihn Hopfen so braucht, ist Ladislaus in Rom ein thörichter
Greis; von Rom zurückgekehrt ist er wieder kräftig nud besonnen, weil ihn
Hopfen eben wieder anders braucht. Man legt also die Erzählung mit ge-


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[0384] Altes und Neues von Haus Hopfen guten Nvderich, der ihr nach Paris nachgereist ist. Die Ehe ist glücklich, beide leben fünf Jahre ganz zufrieden mit einander. So weit ist auch die Erzählung recht hübsch; die Schwächen treten erst im zweiten Teile hervor. Mit dem zunehmenden Alter wird Graf Ladislaus immer bigotter, sodaß er schließlich mit seiner Tochter nach Rom fährt, um sich vom Papste (Pius IX.) segnen zu lassen. In Rom treffen Vater und Tochter den Grafen Egbert, der sich — echt Hopfensche Phantasie! — als Offizier der päpstlichen Ehrengarde zu einem frivolen Genußmenschen aus¬ gebildet hat; er hat da ein wahres Lotterleben geführt und obendrein jesuitische Moral eingesogen. Beim Wiedersehen der verlassenen Geliebten erwacht die alte Leidenschaft in ihm, und in echt romantischer Weise — in der halbdunkeln Peterskirche, wo die Leiche des eben gestorbenen Pius aufgebahrt ist und von einer zahllosen Volksmenge betrachtet wird — flüstert er Stephanie in teuf¬ lischer Weise Verleumdungen ihres Gatten ins Ohr: Nvderich hätte die alte Duellgeschichte ihres Vaters mit Berechnung aufgewärmt, um ihn, Egbert, aus dem Herzen Stephaniens zu verdrängen. Stephanie ist merkwürdigerweise einfältig genug, dem Verleumder zu glauben; ihre Ehe erleidet so eiuen schweren Stoß, sie Null sich von Nvderich trennen. Als dieser einige Monate darauf rasend, empört den hinterlistigen Jugendfreund mit dem Degen in der Hand zur Rechenschaft ziehen will, entwaffnet ihn Egbert durch das inzwischen erworbene Gewand des katholischen Priesters. Nur in Flüchen kann Nvderich seiner Wut Ausdruck geben. Seine Ehe behält einen Riß, bis sie der alte Ladislaus auf seinem Sterbelager wieder kittet. Die Schwächen der Geschichte liegen, wie gesagt, in der nicht genügend fesselnden Charakteristik der drei Hauptfiguren; die Exposition dieser Charaktere, namentlich Egberts, hätte auf die Schlußwenduug mehr vorbereiten sollen. Egberts Teufelei wirkt überraschend, man hat sich ihrer nicht versehen. Darum wirkt auch die in seiner Gestalt gegebene Satire jesuitischer Moral tendenziös aufdringlich, sie wächst nicht künstlerisch aus dem Stoff Heralls. Wie gut Hopfen etwas darstellen kann, was er nicht bloß ersonnen, sondern auch ge¬ sehen hat, erkennt man an der Episode des tollen Hundes, die dem alten Ladislaus Gelegenheit zur Bekundung seines mit Unrecht bezweifelten persön¬ lichen Mutes giebt. Dieses kraftvolle, höchst bewegte Stück ragt wie eine leuchtende Oase aus dem Buche hervor; Hopfen hat es auch mit sichtlicher Freude ausgeführt. Ebenso die Schilderung Roms bei der Leichenfeier des Papstes: sie beruht eben auch auf Anschauung. Auch die Zeichnung des alten Ladislaus, eines edeln, religiösen Mannes von Geist, ist gelungen; nur ist sie gegen deu Schluß hin verzeichnet, die Hand des Dichters ist da ins Schwanken geraten. Weil ihn Hopfen so braucht, ist Ladislaus in Rom ein thörichter Greis; von Rom zurückgekehrt ist er wieder kräftig nud besonnen, weil ihn Hopfen eben wieder anders braucht. Man legt also die Erzählung mit ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/384>, abgerufen am 24.07.2024.