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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Altes und Neues von Hans Hopfen

gewesen ist. Wir finde" alle Merkmale der Hvpfenschen Muse wieder: große
Gewandtheit in der Schilderung von Sitten, hier sogar recht ni kresoo, und
auf einen Ulanen vereinigt die Bilder deutscher, slawischer, französischer und
italienischer Sitten und Nationalcharaktere; aber die rein menschliche Charakteristik
ist nicht warm, uicht tief, uicht durchsichtig genug geraten, es fehlt nicht
an Verstößen gegen die Wahrscheinlichkeit der Erzählung. Am gelungensten sind
alle Nebensachen, auch die Nebenfiguren. Die Anregung zu der Erzählung
hat Hopfen sehr wahrscheinlich einer wirklichen Begebenheit zu verdanken, die
er sich dann in seiner Weise poetisch zurechtgelegt hat. Die Geschichte ist kurz
die folgende.

Zwei Freunde, Graf Egbert und Baron Rvderich, beide deutsche Offiziere,
lernen gleichzeitig ein und dasselbe Mädchen, Stephanie, die Tochter eines
reichen polnischen Gutsbesitzers, des Grafen Ladislaus in Schlesien kennen und
lieben. Egbert und Nvderich sind grundverschiedne Charaktere, und darnach
bildet sich ihr Verhältnis zu einander und zu dem Mädchen ans. Egbert, ein
sehr schöner Mann, ist der naive Egoist, dem Roderich, der auch nicht gerade
häßlich ist, in seltener Güte immer und überall die Vorhand und deu Vortritt
läßt. Egbert ist gewöhnt, überall zuzugreifen, Roderich, überall zuzusehen.
Nvderich ist in seiner ruhigen Sachlichkeit der Vertraute aller Welt und trägt
alle Lasten und alle Freude" dieses Amtes mit Bescheidenheit. Da Egbert in
seiner mitteilsamen Weise Noderich zum Vertrauten seiner Leidenschaft für
Stephanie macht, so fühlt sich dieser verpflichtet, die eigne Neigung zu ver¬
schweigen, ja zu unterdrücken, umso mehr, als er merkt, daß Stephanie die
Liebe seines Freundes erwidert. Es kommt in der That so weit, daß Egbert
und Stephanie sich öffentlich verloben sollen, der alte Graf Ladislaus ist mit
der Wahl seiner Tochter völlig einverstanden. Da erfährt Noderich, daß sich
dieser Graf in seiner Jugend nicht kavaliermäßig benommen hat und deswegen
den Militärdienst -- in Petersburg -- hat verlassen müssen. Ladislaus hat sich
nämlich infolge seiner tiefern religiösen Gesinnung gegen das Duell in Wort
und That ausgesprochen und sich deshalb mit seinen eidlichen Standesgenossen
überworfen, sodaß er gezwungen wurde, den Offiziersrock abzulegen. Das ist
vor dreißig Jahre" geschehe"; es lagert Vergessenheit auf dieser Geschichte,
Noderich erfährt sie zufällig n"d erzählt sie seinem Freunde. Obwohl beide
bei einer drastischen Gelegenheit die stärkste Überzeugung gewinnen können, daß
Ladislaus wirklich nnr aus Frömmigkeit und nicht ans Feigheit jenen Bruch
mit dem Adel herbeigeführt hat, ist Egbert doch so kleinlich und so abgeschmackt,
ans diesem Grunde seine geliebte Stephanie Knall und Fall zu verlasse".
Das trostlose Mädchen wird halb wahnsinnig vor Schmerz über diese Tünschnng;
sie führt mit dein nicht weniger gebeugten Vater nach Paris, versucht es, sich
im Strudel der Vergnügungen zu zerstreuen, es gelingt ihr aber doch nicht
recht; schließlich heiratet sie den Vertrauten ihres treulosen Geliebten, den


Altes und Neues von Hans Hopfen

gewesen ist. Wir finde» alle Merkmale der Hvpfenschen Muse wieder: große
Gewandtheit in der Schilderung von Sitten, hier sogar recht ni kresoo, und
auf einen Ulanen vereinigt die Bilder deutscher, slawischer, französischer und
italienischer Sitten und Nationalcharaktere; aber die rein menschliche Charakteristik
ist nicht warm, uicht tief, uicht durchsichtig genug geraten, es fehlt nicht
an Verstößen gegen die Wahrscheinlichkeit der Erzählung. Am gelungensten sind
alle Nebensachen, auch die Nebenfiguren. Die Anregung zu der Erzählung
hat Hopfen sehr wahrscheinlich einer wirklichen Begebenheit zu verdanken, die
er sich dann in seiner Weise poetisch zurechtgelegt hat. Die Geschichte ist kurz
die folgende.

Zwei Freunde, Graf Egbert und Baron Rvderich, beide deutsche Offiziere,
lernen gleichzeitig ein und dasselbe Mädchen, Stephanie, die Tochter eines
reichen polnischen Gutsbesitzers, des Grafen Ladislaus in Schlesien kennen und
lieben. Egbert und Nvderich sind grundverschiedne Charaktere, und darnach
bildet sich ihr Verhältnis zu einander und zu dem Mädchen ans. Egbert, ein
sehr schöner Mann, ist der naive Egoist, dem Roderich, der auch nicht gerade
häßlich ist, in seltener Güte immer und überall die Vorhand und deu Vortritt
läßt. Egbert ist gewöhnt, überall zuzugreifen, Roderich, überall zuzusehen.
Nvderich ist in seiner ruhigen Sachlichkeit der Vertraute aller Welt und trägt
alle Lasten und alle Freude» dieses Amtes mit Bescheidenheit. Da Egbert in
seiner mitteilsamen Weise Noderich zum Vertrauten seiner Leidenschaft für
Stephanie macht, so fühlt sich dieser verpflichtet, die eigne Neigung zu ver¬
schweigen, ja zu unterdrücken, umso mehr, als er merkt, daß Stephanie die
Liebe seines Freundes erwidert. Es kommt in der That so weit, daß Egbert
und Stephanie sich öffentlich verloben sollen, der alte Graf Ladislaus ist mit
der Wahl seiner Tochter völlig einverstanden. Da erfährt Noderich, daß sich
dieser Graf in seiner Jugend nicht kavaliermäßig benommen hat und deswegen
den Militärdienst — in Petersburg — hat verlassen müssen. Ladislaus hat sich
nämlich infolge seiner tiefern religiösen Gesinnung gegen das Duell in Wort
und That ausgesprochen und sich deshalb mit seinen eidlichen Standesgenossen
überworfen, sodaß er gezwungen wurde, den Offiziersrock abzulegen. Das ist
vor dreißig Jahre» geschehe»; es lagert Vergessenheit auf dieser Geschichte,
Noderich erfährt sie zufällig n»d erzählt sie seinem Freunde. Obwohl beide
bei einer drastischen Gelegenheit die stärkste Überzeugung gewinnen können, daß
Ladislaus wirklich nnr aus Frömmigkeit und nicht ans Feigheit jenen Bruch
mit dem Adel herbeigeführt hat, ist Egbert doch so kleinlich und so abgeschmackt,
ans diesem Grunde seine geliebte Stephanie Knall und Fall zu verlasse«.
Das trostlose Mädchen wird halb wahnsinnig vor Schmerz über diese Tünschnng;
sie führt mit dein nicht weniger gebeugten Vater nach Paris, versucht es, sich
im Strudel der Vergnügungen zu zerstreuen, es gelingt ihr aber doch nicht
recht; schließlich heiratet sie den Vertrauten ihres treulosen Geliebten, den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/383>, abgerufen am 24.07.2024.