Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.Zur Aussprache des Altgriechischeli schieden, und es wird Wohl noch viel Wasser den Ilissos hinabfließen, ehe Auf die Frage "Wie haben die alten Griechen ihre Sprache ausgesprochen?" Zur Aussprache des Altgriechischeli schieden, und es wird Wohl noch viel Wasser den Ilissos hinabfließen, ehe Auf die Frage „Wie haben die alten Griechen ihre Sprache ausgesprochen?" <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0364" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/210231"/> <fw type="header" place="top"> Zur Aussprache des Altgriechischeli</fw><lb/> <p xml:id="ID_1007" prev="#ID_1006"> schieden, und es wird Wohl noch viel Wasser den Ilissos hinabfließen, ehe<lb/> diese drei Richtungen zu einem Ausgleich gelangen, bei dem — daran ist nicht<lb/> zu zweifeln — die Litterntursprache sehr, sehr viel von ihrer Altertümlichkeit<lb/> wird aufgeben müssen. Das jetzige Griechisch ist eben nicht mehr das Alt¬<lb/> griechische, sondern eine ans diesen: hervorgegangene neue Sprache, die sich zu<lb/> jenem, ungefähr verhält wie das Italienische, das Spanische oder das Rumä¬<lb/> nische zum Altlateinischen. Mit demselben Rechte wie die Deutschen in Athen<lb/> für die neugriechische Aussprache des Altgriechischen eintreten, konnten anch die<lb/> Deutschen in Bukarest kommen und für die Sprache der alten Römer die<lb/> Aussprache der jetzigen Rumänier verlangen, oder die Deutschen in Rom und<lb/> Madrid die Aussprache des Italienischen und des Spanischen für das Alt¬<lb/> lateinische.</p><lb/> <p xml:id="ID_1008" next="#ID_1009"> Auf die Frage „Wie haben die alten Griechen ihre Sprache ausgesprochen?"<lb/> muß zunächst geantwortet werden, daß mau nicht in allen Punkten völlige<lb/> Gewißheit erlangen kann, sondern vielfach mit Wahrscheinlichkeiten zufrieden<lb/> sein muß. Den Phonographen des Herrn Edison oder etwas ähnliches gab<lb/> es im Altertum nicht,' wir können uns daher keinen Vortrag des Perikles, kein<lb/> Stückchen aus einer athenischen Theatervorstellung von einem Mechanismus<lb/> aufsagen lassen, der das Gesprochene an Ort und Stelle lautgetreu in sich<lb/> aufgenommen hätte. Die Hilfsmittel zur Bestimmung der altgriechischen Aus¬<lb/> sprache werden uns von der Sprachwissenschaft geliefert. Durch die allgemeine<lb/> Sprachwissenschaft lernen wir z. B. die Gesetze kennen, nach denen sich die<lb/> einzelnen Laute bei ihrem Zusammentreffen beeinflussen und verändern können,<lb/> und daraus entspringt die Möglichkeit, von dein sichtbaren Äquivalent der<lb/> Laute, d. h. von den Buchstaben ans deren Aussprache zu schließen. Ebenso<lb/> bieten die Fehler der oft ungebildeten Steinhnner in den von ihnen gemeißelten<lb/> altgrichischen Inschriften schätzbare Anhaltepunkte für die Erforschung der<lb/> Aussprache, iusoferu wiederholte Verwechslung verschiedener Buchstaben auf<lb/> Ähnlichkeit in der Aussprache deutet. Die vergleichende Sprachwissenschaft<lb/> aber lehrt uns z. B. aus dem Verhältnis der altgrichischen Sprachformen zu<lb/> den entsprechenden der urverwandten indogermanischen Sprachen die Entwicklung<lb/> der Wörter und Wortformen verfolgen, deren Kenntnis für die Vestimmnng<lb/> der Aussprache von großer Wichtigkeit ist. Sie zeigt uns ferner, wie wir bei<lb/> den Gattnngs- und Eigennamen, die aus dem. Griechischen in andre Sprachen,<lb/> besonders ius Lateinische und Indische übergegangen sind oder umgekehrt, durch<lb/> Vergleichung der beiderseitigen Formen die Aussprache ergründen können.<lb/> Endlich erfahren wir durch die vergleichende Sprachwissenschaft in besondrer<lb/> Anwendung ans das Griechische, wie sich die Sprache der Hellenen im Laufe<lb/> der Jahrhunderte entwickelt hat, wie neben der Schriftsprache schon vor Beginn<lb/> unsrer Zeitrechnung das Nulgärgriechische als eigentliche Mutter des neu¬<lb/> griechischen vorhanden gewesen ist, welche Einwirkungen die beiden Strömungen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0364]
Zur Aussprache des Altgriechischeli
schieden, und es wird Wohl noch viel Wasser den Ilissos hinabfließen, ehe
diese drei Richtungen zu einem Ausgleich gelangen, bei dem — daran ist nicht
zu zweifeln — die Litterntursprache sehr, sehr viel von ihrer Altertümlichkeit
wird aufgeben müssen. Das jetzige Griechisch ist eben nicht mehr das Alt¬
griechische, sondern eine ans diesen: hervorgegangene neue Sprache, die sich zu
jenem, ungefähr verhält wie das Italienische, das Spanische oder das Rumä¬
nische zum Altlateinischen. Mit demselben Rechte wie die Deutschen in Athen
für die neugriechische Aussprache des Altgriechischen eintreten, konnten anch die
Deutschen in Bukarest kommen und für die Sprache der alten Römer die
Aussprache der jetzigen Rumänier verlangen, oder die Deutschen in Rom und
Madrid die Aussprache des Italienischen und des Spanischen für das Alt¬
lateinische.
Auf die Frage „Wie haben die alten Griechen ihre Sprache ausgesprochen?"
muß zunächst geantwortet werden, daß mau nicht in allen Punkten völlige
Gewißheit erlangen kann, sondern vielfach mit Wahrscheinlichkeiten zufrieden
sein muß. Den Phonographen des Herrn Edison oder etwas ähnliches gab
es im Altertum nicht,' wir können uns daher keinen Vortrag des Perikles, kein
Stückchen aus einer athenischen Theatervorstellung von einem Mechanismus
aufsagen lassen, der das Gesprochene an Ort und Stelle lautgetreu in sich
aufgenommen hätte. Die Hilfsmittel zur Bestimmung der altgriechischen Aus¬
sprache werden uns von der Sprachwissenschaft geliefert. Durch die allgemeine
Sprachwissenschaft lernen wir z. B. die Gesetze kennen, nach denen sich die
einzelnen Laute bei ihrem Zusammentreffen beeinflussen und verändern können,
und daraus entspringt die Möglichkeit, von dein sichtbaren Äquivalent der
Laute, d. h. von den Buchstaben ans deren Aussprache zu schließen. Ebenso
bieten die Fehler der oft ungebildeten Steinhnner in den von ihnen gemeißelten
altgrichischen Inschriften schätzbare Anhaltepunkte für die Erforschung der
Aussprache, iusoferu wiederholte Verwechslung verschiedener Buchstaben auf
Ähnlichkeit in der Aussprache deutet. Die vergleichende Sprachwissenschaft
aber lehrt uns z. B. aus dem Verhältnis der altgrichischen Sprachformen zu
den entsprechenden der urverwandten indogermanischen Sprachen die Entwicklung
der Wörter und Wortformen verfolgen, deren Kenntnis für die Vestimmnng
der Aussprache von großer Wichtigkeit ist. Sie zeigt uns ferner, wie wir bei
den Gattnngs- und Eigennamen, die aus dem. Griechischen in andre Sprachen,
besonders ius Lateinische und Indische übergegangen sind oder umgekehrt, durch
Vergleichung der beiderseitigen Formen die Aussprache ergründen können.
Endlich erfahren wir durch die vergleichende Sprachwissenschaft in besondrer
Anwendung ans das Griechische, wie sich die Sprache der Hellenen im Laufe
der Jahrhunderte entwickelt hat, wie neben der Schriftsprache schon vor Beginn
unsrer Zeitrechnung das Nulgärgriechische als eigentliche Mutter des neu¬
griechischen vorhanden gewesen ist, welche Einwirkungen die beiden Strömungen
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