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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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so unbedingt günstige Auf- und Annahme gefunden, daß Kant zur Verdeut¬
lichung, welch ein Unterschied sei zwischen Denken und Sein, das Beispiel von
hundert Thalern gebraucht hat, die dem Inhalte nach gleich hundert seien,
gleichviel ob sie nur möglich oder wirklich sind; aber für meinen Bermvgens-
zustcmd mache dies einen sehr wesentlichen Unterschied ans. Nichts kann so
einleuchtend sein, als daß dergleichen, was ich mir denke oder vorstelle, darum
noch nicht wirklich ist. Abgesehen davon, daß es nicht mit Unrecht eine Bar¬
barei genannt werden könnte, dergleichen wie hundert Thaler einen Begriff zu
nennen, so sollten doch wohl diejenigen, die immer und immer wiederholen,
daß Denken und Sein verschieden seien, voraussetzen, den Philosophen sei dies
gleichfalls nicht unbekannt; was kann es in der That für eine trivialere
Kenntnis geben? Alsdann aber müßte bedacht werden, daß, wenn von Gott
die Rede ist, dies ein Gegenstand andrer Art sei, als hundert Thaler und
irgend ein besondrer Begriff. In der That gehört es eben zum Wesen alles
Endlichen, daß sein Dnsein von seinem Begriff verschieden (daß es nicht not¬
wendig da) ist. Gott aber soll eben das sein, dessen Begriff das Sein ein¬
schließt, das also als nur existirend gedacht werden kann." Ein Zeitgenosse
Urseins, der Mönch Gaunilo, hatte denselben Einwurf erhoben wie Kant,
aber ihn mit einem passenderen Beispiele verdeutlicht. Wenn jemand von
einer Jusel spreche, die vollkommener und herrlicher als alle bekannten Inseln
sei, und daraus ihre Existenz ableite, weil sie als nicht existirend ja nicht
vollkommener, sondern unvollkommener als alle übrigen Inseln sein würde, so
wisse er nicht, ob er den, der einen solchen Beweis führe, oder einen, der sich
ihn gefallen lasse, für einen größern Thoren halten müßte. Darauf erwiderte
Anselm: wenn Gaunilo sich eine Insel denken könne, über die hinaus keine voll-
kommnere gedacht werden könne, so schenke er sie ihm. "Dem Anselm -- sagt
Möhler -- war der Gedanke des vollkommensten Wesens ein notwendiger Ver-
nunftbegriff, der mit dem willkürlichen Phantasiegebilde einer herrlichsten Insel
gar nicht zu vergleichen sei." Der Sinn des ontologischen Beweises ist also
der, daß jenes Wesen, aus dem alle Kräfte, Schönheiten und Vollkommen¬
heiten der Welt entspringen, nicht als nichtseiend gedacht werden könne, oder
daß das Wesen, aus dem alle Vollkommenheiten der Welt hervorgehen, diese
Vollkommenheiten, namentlich die höchste, die bewußte Intelligenz, selbst be¬
sitzen müsse, und es war nur ein Fehler, diesem Gedanken, der sich den
meisten sinnenden Menschenseelen aufdrängt, die Form eines Syllogismus zu
geben, der wie ein Trugschluß aussieht.

Wenden wir uus nnn dem zweiten Giftpilze zu. Der Pessimismus ist
schon so oft und so gründlich, u. a. auch in der oben erwähnten Abhandlung
von Fuchs, aä üdsurclunr geführt worden, daß uns in dieser Hinsicht nichts
mehr zu thun übrig bleibt. Nur seine Schädlichkeit wollen- wir ein wenig
beleuchten. Nicht etwa daß wir den Herren Pessimisten eine schlechte Moral


Schopenhauer reclivivu»

so unbedingt günstige Auf- und Annahme gefunden, daß Kant zur Verdeut¬
lichung, welch ein Unterschied sei zwischen Denken und Sein, das Beispiel von
hundert Thalern gebraucht hat, die dem Inhalte nach gleich hundert seien,
gleichviel ob sie nur möglich oder wirklich sind; aber für meinen Bermvgens-
zustcmd mache dies einen sehr wesentlichen Unterschied ans. Nichts kann so
einleuchtend sein, als daß dergleichen, was ich mir denke oder vorstelle, darum
noch nicht wirklich ist. Abgesehen davon, daß es nicht mit Unrecht eine Bar¬
barei genannt werden könnte, dergleichen wie hundert Thaler einen Begriff zu
nennen, so sollten doch wohl diejenigen, die immer und immer wiederholen,
daß Denken und Sein verschieden seien, voraussetzen, den Philosophen sei dies
gleichfalls nicht unbekannt; was kann es in der That für eine trivialere
Kenntnis geben? Alsdann aber müßte bedacht werden, daß, wenn von Gott
die Rede ist, dies ein Gegenstand andrer Art sei, als hundert Thaler und
irgend ein besondrer Begriff. In der That gehört es eben zum Wesen alles
Endlichen, daß sein Dnsein von seinem Begriff verschieden (daß es nicht not¬
wendig da) ist. Gott aber soll eben das sein, dessen Begriff das Sein ein¬
schließt, das also als nur existirend gedacht werden kann." Ein Zeitgenosse
Urseins, der Mönch Gaunilo, hatte denselben Einwurf erhoben wie Kant,
aber ihn mit einem passenderen Beispiele verdeutlicht. Wenn jemand von
einer Jusel spreche, die vollkommener und herrlicher als alle bekannten Inseln
sei, und daraus ihre Existenz ableite, weil sie als nicht existirend ja nicht
vollkommener, sondern unvollkommener als alle übrigen Inseln sein würde, so
wisse er nicht, ob er den, der einen solchen Beweis führe, oder einen, der sich
ihn gefallen lasse, für einen größern Thoren halten müßte. Darauf erwiderte
Anselm: wenn Gaunilo sich eine Insel denken könne, über die hinaus keine voll-
kommnere gedacht werden könne, so schenke er sie ihm. „Dem Anselm — sagt
Möhler — war der Gedanke des vollkommensten Wesens ein notwendiger Ver-
nunftbegriff, der mit dem willkürlichen Phantasiegebilde einer herrlichsten Insel
gar nicht zu vergleichen sei." Der Sinn des ontologischen Beweises ist also
der, daß jenes Wesen, aus dem alle Kräfte, Schönheiten und Vollkommen¬
heiten der Welt entspringen, nicht als nichtseiend gedacht werden könne, oder
daß das Wesen, aus dem alle Vollkommenheiten der Welt hervorgehen, diese
Vollkommenheiten, namentlich die höchste, die bewußte Intelligenz, selbst be¬
sitzen müsse, und es war nur ein Fehler, diesem Gedanken, der sich den
meisten sinnenden Menschenseelen aufdrängt, die Form eines Syllogismus zu
geben, der wie ein Trugschluß aussieht.

Wenden wir uus nnn dem zweiten Giftpilze zu. Der Pessimismus ist
schon so oft und so gründlich, u. a. auch in der oben erwähnten Abhandlung
von Fuchs, aä üdsurclunr geführt worden, daß uns in dieser Hinsicht nichts
mehr zu thun übrig bleibt. Nur seine Schädlichkeit wollen- wir ein wenig
beleuchten. Nicht etwa daß wir den Herren Pessimisten eine schlechte Moral


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[0036] Schopenhauer reclivivu» so unbedingt günstige Auf- und Annahme gefunden, daß Kant zur Verdeut¬ lichung, welch ein Unterschied sei zwischen Denken und Sein, das Beispiel von hundert Thalern gebraucht hat, die dem Inhalte nach gleich hundert seien, gleichviel ob sie nur möglich oder wirklich sind; aber für meinen Bermvgens- zustcmd mache dies einen sehr wesentlichen Unterschied ans. Nichts kann so einleuchtend sein, als daß dergleichen, was ich mir denke oder vorstelle, darum noch nicht wirklich ist. Abgesehen davon, daß es nicht mit Unrecht eine Bar¬ barei genannt werden könnte, dergleichen wie hundert Thaler einen Begriff zu nennen, so sollten doch wohl diejenigen, die immer und immer wiederholen, daß Denken und Sein verschieden seien, voraussetzen, den Philosophen sei dies gleichfalls nicht unbekannt; was kann es in der That für eine trivialere Kenntnis geben? Alsdann aber müßte bedacht werden, daß, wenn von Gott die Rede ist, dies ein Gegenstand andrer Art sei, als hundert Thaler und irgend ein besondrer Begriff. In der That gehört es eben zum Wesen alles Endlichen, daß sein Dnsein von seinem Begriff verschieden (daß es nicht not¬ wendig da) ist. Gott aber soll eben das sein, dessen Begriff das Sein ein¬ schließt, das also als nur existirend gedacht werden kann." Ein Zeitgenosse Urseins, der Mönch Gaunilo, hatte denselben Einwurf erhoben wie Kant, aber ihn mit einem passenderen Beispiele verdeutlicht. Wenn jemand von einer Jusel spreche, die vollkommener und herrlicher als alle bekannten Inseln sei, und daraus ihre Existenz ableite, weil sie als nicht existirend ja nicht vollkommener, sondern unvollkommener als alle übrigen Inseln sein würde, so wisse er nicht, ob er den, der einen solchen Beweis führe, oder einen, der sich ihn gefallen lasse, für einen größern Thoren halten müßte. Darauf erwiderte Anselm: wenn Gaunilo sich eine Insel denken könne, über die hinaus keine voll- kommnere gedacht werden könne, so schenke er sie ihm. „Dem Anselm — sagt Möhler — war der Gedanke des vollkommensten Wesens ein notwendiger Ver- nunftbegriff, der mit dem willkürlichen Phantasiegebilde einer herrlichsten Insel gar nicht zu vergleichen sei." Der Sinn des ontologischen Beweises ist also der, daß jenes Wesen, aus dem alle Kräfte, Schönheiten und Vollkommen¬ heiten der Welt entspringen, nicht als nichtseiend gedacht werden könne, oder daß das Wesen, aus dem alle Vollkommenheiten der Welt hervorgehen, diese Vollkommenheiten, namentlich die höchste, die bewußte Intelligenz, selbst be¬ sitzen müsse, und es war nur ein Fehler, diesem Gedanken, der sich den meisten sinnenden Menschenseelen aufdrängt, die Form eines Syllogismus zu geben, der wie ein Trugschluß aussieht. Wenden wir uus nnn dem zweiten Giftpilze zu. Der Pessimismus ist schon so oft und so gründlich, u. a. auch in der oben erwähnten Abhandlung von Fuchs, aä üdsurclunr geführt worden, daß uns in dieser Hinsicht nichts mehr zu thun übrig bleibt. Nur seine Schädlichkeit wollen- wir ein wenig beleuchten. Nicht etwa daß wir den Herren Pessimisten eine schlechte Moral

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/36>, abgerufen am 24.07.2024.