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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Das gleiche Wahlrecht

sich darin gefallen, die Jtalianissimi zu spielen, wenn sie nicht gerade vom
Staate Osterreich Begünstigungen zu erbitten haben, wogegen die Stamm-
bevölkerung slawisch ist. Und angenommen, es wohnten dort lauter unzweifel¬
hafte Welsche: wohin es führen würde, wenn die Karte Europas streug nach
den Sprachgrenzen umgearbeitet werden sollte, das braucht nicht zum tausend-
steumal auseinandergesetzt zu werden. Doch was ficht das die einmal rege¬
gemachte politische Leidenschaft und Begehrlichkeit an?

Nun hat sich bisher zwar auch in Italien die Erfahrung bewährt, das;
die tapfersten Oppvsitiousmänner Wasser in ihren Wein thun, sobald sie mit
der Macht auch die Verantwortlichkeit übernommen haben. Aber niemand
kann verbürgen, daß nicht einmal äußere oder innere Verhältnisse die gerade
am Ruder stehenden ermutigen, ihren geheimen Wünschen zu folgen oder sie
zwingen, gegen ihre bessere Einsicht der öffentlichen Stimme nachzugeben.
Trotz der von Depretis und Crispi gegen die Jrredenta aufgewandten Energie
ist die Strömung unverkennbar im Wachsen, Leute von Namen unterstützen
sie offen oder in zweideutiger Weise, und abgesehen von der Italw in Rom
und dem Leeolo in Mailand, die einfach als französische Organe gelten, giebt
es eine leider sehr große Zahl von Blättern, die die eine oder die andre
Schwäche des leicht erregbaren Volkes benutzen, um gegen die angebliche
Unterordnung des Landes unter fremde Mächte zu Hetzen: das übertriebene
Nationalgefühl, deu Stolz auf die Abstammung von den römischen Welt-
ervberern, die Einbildung von der Solidarität der lateinischen Völker, den
Wahn, der materiellen Not durch Verschwörungen und Putsche abhelfen zu
können u. s. w. Ist es nicht bezeichnend genug, daß Vereine bestehen können,
die sich nach dem Meuchelmörder Obcrdank nennen? Für Frankreich cirbeiteu
dort zahllose Kräfte, manche vielleicht, ohne sich dessen bewußt zu sein, gegen
Osterreich glimmt immer uoch der alte Haß, der Dreibuud wird fort und fort
als eine Erniedrigung der Nation, als ein Hindernis der Befriedigung ihrer
gerechten Forderungen dargestellt. Und König Umberto ist -- das Muster
eines konstitutionellen Fürsten. Drängte ihm die Mehrheit des Parlaments
ein Ministerium auf, das den Bruch des Bündnisses, Krieg gegen Österreich
als Programm aufstellte, er würde es für seine Pflicht halten, auch das an¬
zunehmen. Krieg? wird mau fragen. Ja Wohl, aber natürlich nicht allein.
Das IwliÄ ein'!>, lui. 8v ist vergesse". Einmal von Frankreich, dann von
Preußen beschirmt, ist Italien ein Reich geworden, es würde sich auch von
Frankreich nud Nußland in die Mitte nehmen lassen, um sich weiter abzurunden.
Wurden doch schou einmal zarte Beziehungen mit Rußland angeknüpft, 1858
durch die damals großes Aussehen machende Einräumung einer Kohlenstation
in der Bucht vou Villafranca, das heute Villefranche heißt. Folgen hat dieser
allgemein als Drohung gegen Österreich verstandene Schritt Cnvvurs aller¬
dings uicht gehabt, allein er kann einen Präzedeuzfall für irgend einen unter-


Das gleiche Wahlrecht

sich darin gefallen, die Jtalianissimi zu spielen, wenn sie nicht gerade vom
Staate Osterreich Begünstigungen zu erbitten haben, wogegen die Stamm-
bevölkerung slawisch ist. Und angenommen, es wohnten dort lauter unzweifel¬
hafte Welsche: wohin es führen würde, wenn die Karte Europas streug nach
den Sprachgrenzen umgearbeitet werden sollte, das braucht nicht zum tausend-
steumal auseinandergesetzt zu werden. Doch was ficht das die einmal rege¬
gemachte politische Leidenschaft und Begehrlichkeit an?

Nun hat sich bisher zwar auch in Italien die Erfahrung bewährt, das;
die tapfersten Oppvsitiousmänner Wasser in ihren Wein thun, sobald sie mit
der Macht auch die Verantwortlichkeit übernommen haben. Aber niemand
kann verbürgen, daß nicht einmal äußere oder innere Verhältnisse die gerade
am Ruder stehenden ermutigen, ihren geheimen Wünschen zu folgen oder sie
zwingen, gegen ihre bessere Einsicht der öffentlichen Stimme nachzugeben.
Trotz der von Depretis und Crispi gegen die Jrredenta aufgewandten Energie
ist die Strömung unverkennbar im Wachsen, Leute von Namen unterstützen
sie offen oder in zweideutiger Weise, und abgesehen von der Italw in Rom
und dem Leeolo in Mailand, die einfach als französische Organe gelten, giebt
es eine leider sehr große Zahl von Blättern, die die eine oder die andre
Schwäche des leicht erregbaren Volkes benutzen, um gegen die angebliche
Unterordnung des Landes unter fremde Mächte zu Hetzen: das übertriebene
Nationalgefühl, deu Stolz auf die Abstammung von den römischen Welt-
ervberern, die Einbildung von der Solidarität der lateinischen Völker, den
Wahn, der materiellen Not durch Verschwörungen und Putsche abhelfen zu
können u. s. w. Ist es nicht bezeichnend genug, daß Vereine bestehen können,
die sich nach dem Meuchelmörder Obcrdank nennen? Für Frankreich cirbeiteu
dort zahllose Kräfte, manche vielleicht, ohne sich dessen bewußt zu sein, gegen
Osterreich glimmt immer uoch der alte Haß, der Dreibuud wird fort und fort
als eine Erniedrigung der Nation, als ein Hindernis der Befriedigung ihrer
gerechten Forderungen dargestellt. Und König Umberto ist — das Muster
eines konstitutionellen Fürsten. Drängte ihm die Mehrheit des Parlaments
ein Ministerium auf, das den Bruch des Bündnisses, Krieg gegen Österreich
als Programm aufstellte, er würde es für seine Pflicht halten, auch das an¬
zunehmen. Krieg? wird mau fragen. Ja Wohl, aber natürlich nicht allein.
Das IwliÄ ein'!>, lui. 8v ist vergesse». Einmal von Frankreich, dann von
Preußen beschirmt, ist Italien ein Reich geworden, es würde sich auch von
Frankreich nud Nußland in die Mitte nehmen lassen, um sich weiter abzurunden.
Wurden doch schou einmal zarte Beziehungen mit Rußland angeknüpft, 1858
durch die damals großes Aussehen machende Einräumung einer Kohlenstation
in der Bucht vou Villafranca, das heute Villefranche heißt. Folgen hat dieser
allgemein als Drohung gegen Österreich verstandene Schritt Cnvvurs aller¬
dings uicht gehabt, allein er kann einen Präzedeuzfall für irgend einen unter-


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[0358] Das gleiche Wahlrecht sich darin gefallen, die Jtalianissimi zu spielen, wenn sie nicht gerade vom Staate Osterreich Begünstigungen zu erbitten haben, wogegen die Stamm- bevölkerung slawisch ist. Und angenommen, es wohnten dort lauter unzweifel¬ hafte Welsche: wohin es führen würde, wenn die Karte Europas streug nach den Sprachgrenzen umgearbeitet werden sollte, das braucht nicht zum tausend- steumal auseinandergesetzt zu werden. Doch was ficht das die einmal rege¬ gemachte politische Leidenschaft und Begehrlichkeit an? Nun hat sich bisher zwar auch in Italien die Erfahrung bewährt, das; die tapfersten Oppvsitiousmänner Wasser in ihren Wein thun, sobald sie mit der Macht auch die Verantwortlichkeit übernommen haben. Aber niemand kann verbürgen, daß nicht einmal äußere oder innere Verhältnisse die gerade am Ruder stehenden ermutigen, ihren geheimen Wünschen zu folgen oder sie zwingen, gegen ihre bessere Einsicht der öffentlichen Stimme nachzugeben. Trotz der von Depretis und Crispi gegen die Jrredenta aufgewandten Energie ist die Strömung unverkennbar im Wachsen, Leute von Namen unterstützen sie offen oder in zweideutiger Weise, und abgesehen von der Italw in Rom und dem Leeolo in Mailand, die einfach als französische Organe gelten, giebt es eine leider sehr große Zahl von Blättern, die die eine oder die andre Schwäche des leicht erregbaren Volkes benutzen, um gegen die angebliche Unterordnung des Landes unter fremde Mächte zu Hetzen: das übertriebene Nationalgefühl, deu Stolz auf die Abstammung von den römischen Welt- ervberern, die Einbildung von der Solidarität der lateinischen Völker, den Wahn, der materiellen Not durch Verschwörungen und Putsche abhelfen zu können u. s. w. Ist es nicht bezeichnend genug, daß Vereine bestehen können, die sich nach dem Meuchelmörder Obcrdank nennen? Für Frankreich cirbeiteu dort zahllose Kräfte, manche vielleicht, ohne sich dessen bewußt zu sein, gegen Osterreich glimmt immer uoch der alte Haß, der Dreibuud wird fort und fort als eine Erniedrigung der Nation, als ein Hindernis der Befriedigung ihrer gerechten Forderungen dargestellt. Und König Umberto ist — das Muster eines konstitutionellen Fürsten. Drängte ihm die Mehrheit des Parlaments ein Ministerium auf, das den Bruch des Bündnisses, Krieg gegen Österreich als Programm aufstellte, er würde es für seine Pflicht halten, auch das an¬ zunehmen. Krieg? wird mau fragen. Ja Wohl, aber natürlich nicht allein. Das IwliÄ ein'!>, lui. 8v ist vergesse». Einmal von Frankreich, dann von Preußen beschirmt, ist Italien ein Reich geworden, es würde sich auch von Frankreich nud Nußland in die Mitte nehmen lassen, um sich weiter abzurunden. Wurden doch schou einmal zarte Beziehungen mit Rußland angeknüpft, 1858 durch die damals großes Aussehen machende Einräumung einer Kohlenstation in der Bucht vou Villafranca, das heute Villefranche heißt. Folgen hat dieser allgemein als Drohung gegen Österreich verstandene Schritt Cnvvurs aller¬ dings uicht gehabt, allein er kann einen Präzedeuzfall für irgend einen unter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/358>, abgerufen am 04.07.2024.