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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Nationaldramas erschienen, die neben Schacks "Geschichte der dramatischen
Litteratur und Kunst in Spanien" tritt. Der Verfasser des neuen Werkes
äußert sich über das Verhältnis seines Buches zu der anerkannten frühern
Arbeit und über das besondre Ziel und Verdienst, das er erstrebt habe, in seiner
Vorrede dahin, daß das bahnbrechende Werk des Grafen Schack das höchste
Lob verdiene, aber jeder Kenner der nltspanischen Litteratur, vor alleu Graf
Schack selbst, zugeben werde, "daß in dieser Jünglingsarbeit noch manche Lücke
auszufüllen bleibt. Außerdem nimmt darin die Geschichte der dramatischen
Kunst einen verhältnismäßig sehr große" Platz ein. Durch Beschränkung
dieses Stoffes auf das notwendigste, Verweisung der Vorgänger Lope de Vegas
in die Einleitung und Ausscheidung der neuern dramatischen Litteratur ist in
vorliegendem Werk ein weit ausgedehnterer Raum zur möglichst erschöpfenden
Darstellung der altspanischen Nationalkomödie selbst gewonnen worden."

Die wissenschaftliche Vollständigkeit, die Schäffer so erstrebt und erreicht
hat, ist aber nicht bloß eine Vollzähligkeit von Namen und Titeln, die am
Ende nicht viel bedeuten würde, weil die Zahl der in der Blütezeit des spa¬
nischen Theaters verfaßten und wirklich aufgeführten Stücke die Zahl der im
Druck erhaltnen doch beträchtlich überstiegen hat. Nein, es handelt sich in
der That um den Nachweis gewisser Gruppen, gewisser eigentümlicher Per¬
sönlichkeiten und Bestrebungen in den Reihen der spanischen Dramatiker, die
bei uns auch den wenigen Freunden des spanischen Dramas noch unbekannt,
wenigstens teilweise unbekannt waren. Daneben hat der Verfasser, der im
strengsten Sinne nach den Quellen gearbeitet, das heißt alle besprochnen Dramen,
von denen er durchgängig einen kurzen oder lungern Handlnngsauszug giebt,
im spanischen Original gelesen hat (ein Verdienst, das übrigens auch Schack
in Anspruch nehmen darf), eine große Zahl interessanter Nachweise über die
Eigenart und namentlich über die geniale Flüchtigkeit, die unglaubliche Un¬
befangenheit in der Benutzung von Erfindungen und Ausführungen ihrer Vor¬
gänger gegeben, die diese spanischen Dramatiker entfalteten. Er weist hierauf
schon in der Einleitung hin, wo er geradezu als Hauptmerkmal der zweiten
(Calderonschen) Periode des spanischen Nationalschauspiels "die Nachbildung
der aus der erste" überlieferten Stoffe" bezeichnet. "Nicht allein wurden
diese in andre Form gegossen, sondern oft geradezu in unverfrorenster (!) Weise
in Besitz genommen. Hat doch sogar der große Calderon den zweiten Akt
seines Dramas 1^08 "ziellos as ^ki^ulo" beinahe Wort für Wort dem dritten
Akt des Tirsoschen I^i vvuMiiW alö liniier nachgeschrieben, eine Thatsache,
die man für unmöglich hielte, wenn man sich nicht jeden Augenblick davon über¬
zeugen könnte. Bei der Besprechung des berühmten Moreto werden wir sogar
sehen, daß fast dessen ganzes Repertoire ein Echo von Dichtern der ersten Pe¬
riode ist." Daß der Nachweis vieler hierher gehörigen Einzelheiten sür den
Litteraturfreund im engsten Sinne wichtig ist, bedarf keiner besondern Aus-


spanisches

Nationaldramas erschienen, die neben Schacks „Geschichte der dramatischen
Litteratur und Kunst in Spanien" tritt. Der Verfasser des neuen Werkes
äußert sich über das Verhältnis seines Buches zu der anerkannten frühern
Arbeit und über das besondre Ziel und Verdienst, das er erstrebt habe, in seiner
Vorrede dahin, daß das bahnbrechende Werk des Grafen Schack das höchste
Lob verdiene, aber jeder Kenner der nltspanischen Litteratur, vor alleu Graf
Schack selbst, zugeben werde, „daß in dieser Jünglingsarbeit noch manche Lücke
auszufüllen bleibt. Außerdem nimmt darin die Geschichte der dramatischen
Kunst einen verhältnismäßig sehr große» Platz ein. Durch Beschränkung
dieses Stoffes auf das notwendigste, Verweisung der Vorgänger Lope de Vegas
in die Einleitung und Ausscheidung der neuern dramatischen Litteratur ist in
vorliegendem Werk ein weit ausgedehnterer Raum zur möglichst erschöpfenden
Darstellung der altspanischen Nationalkomödie selbst gewonnen worden."

Die wissenschaftliche Vollständigkeit, die Schäffer so erstrebt und erreicht
hat, ist aber nicht bloß eine Vollzähligkeit von Namen und Titeln, die am
Ende nicht viel bedeuten würde, weil die Zahl der in der Blütezeit des spa¬
nischen Theaters verfaßten und wirklich aufgeführten Stücke die Zahl der im
Druck erhaltnen doch beträchtlich überstiegen hat. Nein, es handelt sich in
der That um den Nachweis gewisser Gruppen, gewisser eigentümlicher Per¬
sönlichkeiten und Bestrebungen in den Reihen der spanischen Dramatiker, die
bei uns auch den wenigen Freunden des spanischen Dramas noch unbekannt,
wenigstens teilweise unbekannt waren. Daneben hat der Verfasser, der im
strengsten Sinne nach den Quellen gearbeitet, das heißt alle besprochnen Dramen,
von denen er durchgängig einen kurzen oder lungern Handlnngsauszug giebt,
im spanischen Original gelesen hat (ein Verdienst, das übrigens auch Schack
in Anspruch nehmen darf), eine große Zahl interessanter Nachweise über die
Eigenart und namentlich über die geniale Flüchtigkeit, die unglaubliche Un¬
befangenheit in der Benutzung von Erfindungen und Ausführungen ihrer Vor¬
gänger gegeben, die diese spanischen Dramatiker entfalteten. Er weist hierauf
schon in der Einleitung hin, wo er geradezu als Hauptmerkmal der zweiten
(Calderonschen) Periode des spanischen Nationalschauspiels „die Nachbildung
der aus der erste« überlieferten Stoffe" bezeichnet. „Nicht allein wurden
diese in andre Form gegossen, sondern oft geradezu in unverfrorenster (!) Weise
in Besitz genommen. Hat doch sogar der große Calderon den zweiten Akt
seines Dramas 1^08 «ziellos as ^ki^ulo» beinahe Wort für Wort dem dritten
Akt des Tirsoschen I^i vvuMiiW alö liniier nachgeschrieben, eine Thatsache,
die man für unmöglich hielte, wenn man sich nicht jeden Augenblick davon über¬
zeugen könnte. Bei der Besprechung des berühmten Moreto werden wir sogar
sehen, daß fast dessen ganzes Repertoire ein Echo von Dichtern der ersten Pe¬
riode ist." Daß der Nachweis vieler hierher gehörigen Einzelheiten sür den
Litteraturfreund im engsten Sinne wichtig ist, bedarf keiner besondern Aus-


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[0347] spanisches Nationaldramas erschienen, die neben Schacks „Geschichte der dramatischen Litteratur und Kunst in Spanien" tritt. Der Verfasser des neuen Werkes äußert sich über das Verhältnis seines Buches zu der anerkannten frühern Arbeit und über das besondre Ziel und Verdienst, das er erstrebt habe, in seiner Vorrede dahin, daß das bahnbrechende Werk des Grafen Schack das höchste Lob verdiene, aber jeder Kenner der nltspanischen Litteratur, vor alleu Graf Schack selbst, zugeben werde, „daß in dieser Jünglingsarbeit noch manche Lücke auszufüllen bleibt. Außerdem nimmt darin die Geschichte der dramatischen Kunst einen verhältnismäßig sehr große» Platz ein. Durch Beschränkung dieses Stoffes auf das notwendigste, Verweisung der Vorgänger Lope de Vegas in die Einleitung und Ausscheidung der neuern dramatischen Litteratur ist in vorliegendem Werk ein weit ausgedehnterer Raum zur möglichst erschöpfenden Darstellung der altspanischen Nationalkomödie selbst gewonnen worden." Die wissenschaftliche Vollständigkeit, die Schäffer so erstrebt und erreicht hat, ist aber nicht bloß eine Vollzähligkeit von Namen und Titeln, die am Ende nicht viel bedeuten würde, weil die Zahl der in der Blütezeit des spa¬ nischen Theaters verfaßten und wirklich aufgeführten Stücke die Zahl der im Druck erhaltnen doch beträchtlich überstiegen hat. Nein, es handelt sich in der That um den Nachweis gewisser Gruppen, gewisser eigentümlicher Per¬ sönlichkeiten und Bestrebungen in den Reihen der spanischen Dramatiker, die bei uns auch den wenigen Freunden des spanischen Dramas noch unbekannt, wenigstens teilweise unbekannt waren. Daneben hat der Verfasser, der im strengsten Sinne nach den Quellen gearbeitet, das heißt alle besprochnen Dramen, von denen er durchgängig einen kurzen oder lungern Handlnngsauszug giebt, im spanischen Original gelesen hat (ein Verdienst, das übrigens auch Schack in Anspruch nehmen darf), eine große Zahl interessanter Nachweise über die Eigenart und namentlich über die geniale Flüchtigkeit, die unglaubliche Un¬ befangenheit in der Benutzung von Erfindungen und Ausführungen ihrer Vor¬ gänger gegeben, die diese spanischen Dramatiker entfalteten. Er weist hierauf schon in der Einleitung hin, wo er geradezu als Hauptmerkmal der zweiten (Calderonschen) Periode des spanischen Nationalschauspiels „die Nachbildung der aus der erste« überlieferten Stoffe" bezeichnet. „Nicht allein wurden diese in andre Form gegossen, sondern oft geradezu in unverfrorenster (!) Weise in Besitz genommen. Hat doch sogar der große Calderon den zweiten Akt seines Dramas 1^08 «ziellos as ^ki^ulo» beinahe Wort für Wort dem dritten Akt des Tirsoschen I^i vvuMiiW alö liniier nachgeschrieben, eine Thatsache, die man für unmöglich hielte, wenn man sich nicht jeden Augenblick davon über¬ zeugen könnte. Bei der Besprechung des berühmten Moreto werden wir sogar sehen, daß fast dessen ganzes Repertoire ein Echo von Dichtern der ersten Pe¬ riode ist." Daß der Nachweis vieler hierher gehörigen Einzelheiten sür den Litteraturfreund im engsten Sinne wichtig ist, bedarf keiner besondern Aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/347>, abgerufen am 24.07.2024.