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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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spanisches

wissen, ist die Periode, wo man mit besondrer Vorliebe die spanische Dramatik
und Novellistik durch zahlreiche Übersetzungen in Deutschland einzubürgern
versuchte und wo eine starke Nachwirkung spanischer Muster auf deutsche Dichter
und Dichterlinge stattfand, noch niemals im Zusammenhange mit allen ihren
Erscheinungen und Verzweigungen dargestellt worden. Das letzte Ergebnis
jedoch, zu dem jede solche einigermaßen sachkundige und unbefangene Darstellung
gelangen mußte, kennen wir gut genug. Die litterarisch gebildeten erhoben
sich zu der Einsicht und Empfindung, daß sich Spanien vom fünfzehnten bis
zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts einer poetischen Litteratur vom reichsten
Gehalt und von stärkster, ausgeprägtester nationaler Eigentümlichkeit erfrent
habe. Einzelne faßten ein leidenschaftliches Interesse an der Phantasiefülle
und dem formellen Reiz spanischer Dichtung. Die große Masse des deutschen
Publikums -- und der Begriff der Masse schloß hier auch eine ziemliche An¬
zahl poetisch empfänglicher und ästhetisch bildsamer Menschen ein -- hegte und
behielt eine kalte Gleichgiltigkeit gegen die Mehrzahl der in Deutschland über¬
setzten, aufgeführten oder im Druck veröffentlichten spanischen Werke. Kaum
ein halbes Dutzend der vorzüglichsten Dramen fand so viel nachhaltige Teil¬
nahme, daß sie sich auf dein Repertoire der deutschen Bühne erhielten. Im
Grunde genommen vermochten nur Moretos "Donna Diana" (in Wests, d. i.
Schreivogels Theaterbearbeituug) und Ccilderons ,,Leben ein Traum" wahrhaft
Wurzel zu schlagen; ein paar andre hatten nur an einzelnen Bühnen Erfolg
oder erschienen, wie "Der Richter von Zalamea," immer wieder in neuen
Bearbeitungen, weil man sich schwer dazu verstehen konnte, so wahrhaft be¬
deutende lebensvolle Schöpfungen als bloße Objekte der historischen Wissenschaft
zu betrachten. Selbst wenn es schließlich gelingen sollte, das halbe Dutzend
wirklich gelesener, genossener spanischer Dichtungen (zu denen natürlich für
einzelne Lebenskreise auch der "Don Quixote" zu rechnen ist) ans ein Dutzend
zu erhöhen, so würde dies doch nur ein Tropfen aus übervollen: Becher
spanischer Poesie bleiben. Wie reich und eigentümlich auch die spanische Lit¬
teratur ist, sie kaun uns Deutschen nie das werden, was in verschiednen
Perioden unsrer Kulturentwicklung die französische und englische Litteratur
uns gewesen sind, und sie soll es auch nicht. Denn gerade wer sich am
tiefsten in die Eigenart der spanischen Dichtung versenkt hat und von der
lebhaftesten Bewunderung für ihre Vorzüge durchdrungen ist, weiß auch am
besten, daß aller Lebensauffassung und Lebenswiedergabe der Spanier Gefühle
und Überlieferungen zu Grunde liegen, die uns in der Hauptsache fremd bleiben,
die wohl unsre Phantasie fesseln, aber keine lebendige Mitempfindung wecken
können. Keine ästhetische Begeisterung für die Macht, die Pracht, die Anmut
und den Humor spanischer Schauspiele und Novellen vermag uns in der Lebens¬
luft der spanischen Dichter frei atmen, zu lassen und uns mit den Idealen der
Kastilianer zu befreunden. Im Guten und Schlimmen weichen die Seelen und


spanisches

wissen, ist die Periode, wo man mit besondrer Vorliebe die spanische Dramatik
und Novellistik durch zahlreiche Übersetzungen in Deutschland einzubürgern
versuchte und wo eine starke Nachwirkung spanischer Muster auf deutsche Dichter
und Dichterlinge stattfand, noch niemals im Zusammenhange mit allen ihren
Erscheinungen und Verzweigungen dargestellt worden. Das letzte Ergebnis
jedoch, zu dem jede solche einigermaßen sachkundige und unbefangene Darstellung
gelangen mußte, kennen wir gut genug. Die litterarisch gebildeten erhoben
sich zu der Einsicht und Empfindung, daß sich Spanien vom fünfzehnten bis
zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts einer poetischen Litteratur vom reichsten
Gehalt und von stärkster, ausgeprägtester nationaler Eigentümlichkeit erfrent
habe. Einzelne faßten ein leidenschaftliches Interesse an der Phantasiefülle
und dem formellen Reiz spanischer Dichtung. Die große Masse des deutschen
Publikums — und der Begriff der Masse schloß hier auch eine ziemliche An¬
zahl poetisch empfänglicher und ästhetisch bildsamer Menschen ein — hegte und
behielt eine kalte Gleichgiltigkeit gegen die Mehrzahl der in Deutschland über¬
setzten, aufgeführten oder im Druck veröffentlichten spanischen Werke. Kaum
ein halbes Dutzend der vorzüglichsten Dramen fand so viel nachhaltige Teil¬
nahme, daß sie sich auf dein Repertoire der deutschen Bühne erhielten. Im
Grunde genommen vermochten nur Moretos „Donna Diana" (in Wests, d. i.
Schreivogels Theaterbearbeituug) und Ccilderons ,,Leben ein Traum" wahrhaft
Wurzel zu schlagen; ein paar andre hatten nur an einzelnen Bühnen Erfolg
oder erschienen, wie „Der Richter von Zalamea," immer wieder in neuen
Bearbeitungen, weil man sich schwer dazu verstehen konnte, so wahrhaft be¬
deutende lebensvolle Schöpfungen als bloße Objekte der historischen Wissenschaft
zu betrachten. Selbst wenn es schließlich gelingen sollte, das halbe Dutzend
wirklich gelesener, genossener spanischer Dichtungen (zu denen natürlich für
einzelne Lebenskreise auch der „Don Quixote" zu rechnen ist) ans ein Dutzend
zu erhöhen, so würde dies doch nur ein Tropfen aus übervollen: Becher
spanischer Poesie bleiben. Wie reich und eigentümlich auch die spanische Lit¬
teratur ist, sie kaun uns Deutschen nie das werden, was in verschiednen
Perioden unsrer Kulturentwicklung die französische und englische Litteratur
uns gewesen sind, und sie soll es auch nicht. Denn gerade wer sich am
tiefsten in die Eigenart der spanischen Dichtung versenkt hat und von der
lebhaftesten Bewunderung für ihre Vorzüge durchdrungen ist, weiß auch am
besten, daß aller Lebensauffassung und Lebenswiedergabe der Spanier Gefühle
und Überlieferungen zu Grunde liegen, die uns in der Hauptsache fremd bleiben,
die wohl unsre Phantasie fesseln, aber keine lebendige Mitempfindung wecken
können. Keine ästhetische Begeisterung für die Macht, die Pracht, die Anmut
und den Humor spanischer Schauspiele und Novellen vermag uns in der Lebens¬
luft der spanischen Dichter frei atmen, zu lassen und uns mit den Idealen der
Kastilianer zu befreunden. Im Guten und Schlimmen weichen die Seelen und


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[0345] spanisches wissen, ist die Periode, wo man mit besondrer Vorliebe die spanische Dramatik und Novellistik durch zahlreiche Übersetzungen in Deutschland einzubürgern versuchte und wo eine starke Nachwirkung spanischer Muster auf deutsche Dichter und Dichterlinge stattfand, noch niemals im Zusammenhange mit allen ihren Erscheinungen und Verzweigungen dargestellt worden. Das letzte Ergebnis jedoch, zu dem jede solche einigermaßen sachkundige und unbefangene Darstellung gelangen mußte, kennen wir gut genug. Die litterarisch gebildeten erhoben sich zu der Einsicht und Empfindung, daß sich Spanien vom fünfzehnten bis zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts einer poetischen Litteratur vom reichsten Gehalt und von stärkster, ausgeprägtester nationaler Eigentümlichkeit erfrent habe. Einzelne faßten ein leidenschaftliches Interesse an der Phantasiefülle und dem formellen Reiz spanischer Dichtung. Die große Masse des deutschen Publikums — und der Begriff der Masse schloß hier auch eine ziemliche An¬ zahl poetisch empfänglicher und ästhetisch bildsamer Menschen ein — hegte und behielt eine kalte Gleichgiltigkeit gegen die Mehrzahl der in Deutschland über¬ setzten, aufgeführten oder im Druck veröffentlichten spanischen Werke. Kaum ein halbes Dutzend der vorzüglichsten Dramen fand so viel nachhaltige Teil¬ nahme, daß sie sich auf dein Repertoire der deutschen Bühne erhielten. Im Grunde genommen vermochten nur Moretos „Donna Diana" (in Wests, d. i. Schreivogels Theaterbearbeituug) und Ccilderons ,,Leben ein Traum" wahrhaft Wurzel zu schlagen; ein paar andre hatten nur an einzelnen Bühnen Erfolg oder erschienen, wie „Der Richter von Zalamea," immer wieder in neuen Bearbeitungen, weil man sich schwer dazu verstehen konnte, so wahrhaft be¬ deutende lebensvolle Schöpfungen als bloße Objekte der historischen Wissenschaft zu betrachten. Selbst wenn es schließlich gelingen sollte, das halbe Dutzend wirklich gelesener, genossener spanischer Dichtungen (zu denen natürlich für einzelne Lebenskreise auch der „Don Quixote" zu rechnen ist) ans ein Dutzend zu erhöhen, so würde dies doch nur ein Tropfen aus übervollen: Becher spanischer Poesie bleiben. Wie reich und eigentümlich auch die spanische Lit¬ teratur ist, sie kaun uns Deutschen nie das werden, was in verschiednen Perioden unsrer Kulturentwicklung die französische und englische Litteratur uns gewesen sind, und sie soll es auch nicht. Denn gerade wer sich am tiefsten in die Eigenart der spanischen Dichtung versenkt hat und von der lebhaftesten Bewunderung für ihre Vorzüge durchdrungen ist, weiß auch am besten, daß aller Lebensauffassung und Lebenswiedergabe der Spanier Gefühle und Überlieferungen zu Grunde liegen, die uns in der Hauptsache fremd bleiben, die wohl unsre Phantasie fesseln, aber keine lebendige Mitempfindung wecken können. Keine ästhetische Begeisterung für die Macht, die Pracht, die Anmut und den Humor spanischer Schauspiele und Novellen vermag uns in der Lebens¬ luft der spanischen Dichter frei atmen, zu lassen und uns mit den Idealen der Kastilianer zu befreunden. Im Guten und Schlimmen weichen die Seelen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/345>, abgerufen am 24.07.2024.